Gerhard Warlich ist eine echte Genazino-Figur. Nach einem Testgeher für Herrenschuhe (Ein Regenschirm für einen Tag) und dem Apokalypse-Spezialisten (Die Liebesblödigkeit) folgen wir nun dem über Heidegger promovierten Gerhard Warlich als Leiter einer Großwäscherei auf seiner Suche nach dem Glück in glücksfernen Zeiten.
Was ist Warlich für ein Mensch? “Wenn ich könnte, würde ich das Projekt HALBTAGS erfinden. Jeder Mensch sollte das Recht haben, sich in der zweiten Hälfte des Tages von der ersten zu erholen,“(59) denkt Warlich. Sein Zustand gleicht dem eines „Dauerschrecks“ und sein Leben besteht nur darin, „das Eintreffen der Desaster ruhig abzuwarten und ihre Verschmelzung mit meinem Leben zu erwarten.“(136). Immerhin verfügt Warlich über eine Partnerin (Traudel), die ihm im viel Verständnis entgegenbringt „Wenn wir zusammenstecken und der Samen aus mir herauszuckt, streichelt sie mir den Kopf wie einem Kind, dem man in schwerer Stunde beistehen muss.“(26) Aber nun will sie plötzlich auch noch geheiratet werden – mehr noch: sie wünscht sich mehr oder weniger deutlich ein Kind, was den Protagonisten schon auf der Ebene der reinen Imagination fast aus der Bahn wirft.
Damit sind wir beim Thema des Buches. Denn im Grunde besteht die ganze Geschichte aus der Beschreibung der Techniken, mit denen Warlich versucht, sein seelisches Gleichgewicht zu erhalten und nicht aus der Kurve zu fliegen. Wie aber gelingt ihm das? Was ist seine Methode, ein wenig „Glück in glücksfernen Zeiten zu finden?“ Warlichs Methode der Alltagsbewältigung besteht darin, dass er mit seinem Insektenforscherblick das Banale seiner Außenwelt, das Schmerzliche seiner Erinnerung (z. B. an die Mutter, dieses „öde Huhn“), das Absurde und das Beiläufige permanent durchscannt und in Sprache verwandelt, ausformuliert und als eine eigene, zweite, freundlichere mitunter komische Welt fokussiert, über die man gelegentlich sogar lachen kann. Dem dergleichen unentwegt produktiven Protagonisten auf seinen Spaziergängen durch die Stadt, durch seine Innenwelt und seine Biographie zu folgen, hat deswegen etwas ungemein Unterhaltsames, es ist frappierend und immer wieder überraschend, welchen Sinn und Witz der selbst distanzierte Beobachter der Alltäglichkeit abzwackt.
Das ist in etwa die Stelle, an der die meisten Leser denken werden: das ist aber eine schöne Alltagsbewältigungsstrategie, das muss ich auch mal versuchen – da folgt urplötzlich die kalte Dusche. Die absonderliche Verdoppelung der Welt durch die Beschwörung der Wörter drängt am Ende des Buches mit kuriosen Verhaltensweisen nach außen und führt Warlich, ehe man sich versieht, ruck-zuck in die Psychiatrie. Inmitten einer vollkommen neuen Wirklichkeit, die sich aber schnell als durchaus angemessen herausstellt, kommt der Protagonist zur (tablettenerzeugten) Ruhe.
Am sieht, die Geschichte, so herzallerliebst sie beginnt, so kuschelig sie den Leser über weiter Strecken an die Hand nimmt, so unterhaltsam sie daherkommt, gewinnt am Ende eine fast ungenazinohafte Schärfe. Ist denn die Absonderlichkeit, die ich wie Warlich auch in mir trage, der Keim des Wahnsinns, der irgendwann nach außen drängen wird? Oder ist es die Wirklichkeit selbst, die die Absonderlichkeit in mir erzeugt und als unangepasstes Verhalten aus mir herauspresst wie der Daumendruck aus der Zahnpastatube? Ein Buch, das man lächelnd beginnt und beunruhigt zur seit erlegt. Was kann ein Autor mehr erreichen? Große Klasse.