Haley: Roots

Auf einer Reise durch Georgia und South  Carolina habe ich den Roman „Roots“ von Alex Haley gelesen, das afroamerikanische Pendant zum Südstaatenepos „Vom Winde verweht“ von Margaret Mitchell. Beschreibt Mitchell die Südstaaten als einen Hort aristokratischer Ritterlichkeit, beleuchtet Haley das Unterfutter dieser Glorie: das Leben der Sklaven in den Südstaaten der USA, und zwar anhand seiner eigenen Familiengeschichte vom 18. Jahrhundert bis heute.   Alles begann mit Kunta Kinte, einem jungen Mann  aus einem kleinen Dorf in Gambia, der im Alter von 17 Jahren beim Holzsammeln von Sklavenjägern entführt und nach Amerika verschleppt wird. Mit den Augen des stolzen Kunta Kinte lernt der Leser die hässlichen „toubos“, die Weißen, kennen, die mit ihrer fahlblassen Haut, ihren verfilzten Haaren und winzigen „fotos“ wie Ausgeburten der Hölle daherkommen. Zu den schockierendsten Passagen des Romans gehört die Schilderung der Überfahrt, bei der hunderte Männer, Frauen und Kinder unter Deck angekettet waren, alles unter sich ließen, an Geschwüren Ratten und Durchfall  litten und einfach über Bord geworfen wurden, wenn sie zu schwach wurden. Erst nach viereinhalb Monaten kommt der völlig entkräftete Kunta Kinte in  Amerika an und wird unter seinem Sklavennamen „Toby“ sofort zur Plantagenarbeit eingesetzt. Doch Kunta Kinte-Toby will sich mit seiner Gefangenschaft nicht abfinden, er flieht bei jeder sich bietenden Gelegenheit, bis ihm sein „Herr“ einen Fuß abhacken lässt. An einen anderen Herrn verkauft, findet er sich schließlich mit seiner Existenzweise ab, wird aber weiter von seiner Sehnsucht nach Afrika gequält. Den armen weißen Farmern geht er aus dem Weg, weil sie noch viel grausamer sind als die Feudalherren. Derweil ziehen die Unabhängigkeitskriege vorbei, die USA entstehen, also auch die ersten Konflikte mit dem Norden, wo schon um 1790 die ersten Staaten die Sklaverei abschaffen und die Quäler damit beginnen, den Sklaven aus dem Süden zur Flucht zu verhelfen. Schließlich heiratet Kunta Kinte die Köchin Belle. Die beiden bekommen Kizzy, ein kleines Mädchen, das als Freundin der Massa-Nichte Anne wie eine Prinzessin heranwächst. Inzwischen wird die Idee der Rückführung der Schwarzen nach Afrika diskutiert, doch die Erfindung der Baumwollentkörnungsmaschine macht den Sklaveneinsatz wieder rentabel.  Sklavenhändler durchstreifen den Süden und bieten Höchstpreise. In der Ferne tobt der Sklavenaufstand von Haiti, in deren Verlauf die sklavenhaltende Oberschicht massakriert wird.   Als ein junger Sklave davonläuft und man Kizzy, Kunta Kintes schreibkundige Tochter, der Fluchthilfe überführt,  wird sie vom Eigentümer unter dem Geschrei ihre Eltern an einen weißen Kleinfarmer verkauft, der sie vergewaltigt. Kizzy bringt einen Mischling zur Welt, der als „Hühner-George“ zu einem der besten Hahnenkampftrainer des Südens wird. Hühner-Georges heiratet die Sklavin Mathilde und zeugt mit ihr sechs Kinder.  Hühner-Georges vierter Sohn, ein Vorfahr des Autors, heiratet die Halbindianerin Irene und zeugt mit ihr weitere sechs Kinder. Nach der Befreiung durch den Bürgerkrieg zieht die ganze Familie nach Tennessee, wo sie sich ausbreitet und zwei Generationen später schließlich den Autor Alex Haley hervorbringt. Die letzten Kapitel des Buches beschreiben die Suche des Autors nach seinen Vorfahren als Motivation für dieses Buch.

Ich habe dieses Buch die ersten 450 Seiten mit Interesse und Anteilnahme gelesen. Vor allem die Schilderung der Gefangennahme und der Überfahrt, aber auch die Darstellung der Eingewöhnung auf der Farm hatten epische Qualität. Die letzten 250 Seiten fiel das Buch ein wenig ab. Die Situationsschilderungen wurden holzschnittartig, und man merkte dem Buch an, dass es der Autor eilig hatte, in der Gegenwart anzukommen. Literatur wird man dieses Buch nur mit Einschränkungen nennen können, dafür enthalten die meisten Charaktere zu wenig Tiefe. Aber als erzählerische Einführung in die US-amerikanische Sklaventhematik ist es unschlagbar, Dass im ganzen Buch nahezu ausschließlich gute „Neger“ (Achtung: Buchzitat)  vorkommen (außer denen, die in Afrika andere Afrikaner fangen und an die Sklavenhändler ausliefern)  wird man dem Autor verzeihen müssen.

 

 

 

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