Wer genug hat von der Selbst- und Leibesbespiegelung a la Houllebecq, Philip Roth oder Updike, wer die reflexiv-erbauliche Emanzipationsliteratur nicht mehr lesen kann und wer sich stattdessen wieder einmal wie in Kindertagen in das Zauberreich der großen Epik zurückziehen möchte, dem schenkt das vorliegende Buch des norwegischen Nobelpreisträgers ein glückliches Wochenende. Eine Welt, die unterschiedlicher als unsere kaum sein könnte – Norwegen nördlich von Drontheim mit seinen Schären und Buchten, seinen Jahreszeiten, Wasserfällen und Bauernhöfen – ist die Bühne dieser nordischen Saga. Edward, der Fischer, Schiffer, Leidende und Liebende ist seine Hauptperson. Im Winter fährt er mit den Männern seines kleinen Dorfes zum Fischfang auf die Lofoten, im Sommer tingelt er als Händler und Landstreicher mit seinen Waren durch die Dörfer der Küste – mal ist er oben mit einem goldenen Ring am Finger und einem eigenen Laden am Kai, mal ist er unten ohne einen einzigen Taler, so dass er noch nicht einmal seinen beiden Schwestern ein Geschenk mitbringen kann. Er verkörpert das halb heitere, halb melancholische Wesen des Nordländers, eine Existenz zwischen Fernweh und Heimweh, der am Ende nichts bleibt als die unwandelbare Liebe zu der wunderschönen Marie Lovise Doppen, der er schließlich nach Amerika folgt. Sein Antagonist ist August Weltumsegler, der weitgereiste Mann mit der Ziehharmonika und den goldenen Zähnen, der den sozialen Wandel, den Fortschritt und den Eigennutz verkörpert. Die Trockenlegung des Moores, die Anlegung eines Steinkais, die Säuberung der Strände zur Vorbereitung der Fischtrocknung, lauter kleine ökonomische Revolutionen werden von ihm in Gang gesetzt, von denen alle profitieren – nur er nicht. Denn August Weltumsegler verstrickt sich immer aufs Neue in unselige Liebeleien, verschenkt sich hemmungslos, um am Ende nichts weiter zu erhalten als einen Tritt in den Hintern. Er ist feige und heldisch, visionär und verschlagen, ein seekranker Seemann, ein Freund und Filou in einem. Rund um diese beiden eng befreundeten Hauptfiguren entfaltet Hamsun ein ganzes Kaleidoskop blutvoll gezeichneter Figuren: der hitzige Haakon Doppen, von dem die schöne Marie Lovise nicht loskommt, der Bürgermeister Karolus und seine Frau Anne Maria, die den Schiffer Skaaroo aus gekränkter Eitelkeit in das Moor lockt und sterben läßt, der alte und der junge Knoff, die Herren der Handelsstation, die langsam verblühende Ragna, die alle zwei Jahre ein Kind in die Welt setzt, der Uhrenjude Papst, die steife Jungfer Ellison mit den geraden Armen und der tüchtige Bruder Joakim bilden zusammen mit vielen anderen Gestalten die Komparsen der Küste, unter denen man sich schon nach einer kurzen Lesestunde wunderbar heimisch fühlt. Kein Handlungsfaden, der irgendwann einmal geknüpft wurde, wird vergessen – ein jeder wird wunderbar folgerichtig und doch überraschend zum Gesamtmuster eines prächtigen Romans verwoben. Ein vollkommenes Buch von einem skandinavischen Homer in einer wunderbaren Sprache – an dem man nur eines auszusetzen hat: das es einmal zu Ende geht.