Hamsun: Segen der Erde

„Ein Mann kommt in nördlicher Richtung gegangen. Er trägt einen Sack,   der den Mundvorrat bewahrt und einige Handwerkszeug enthält. Der Mann ist stark und derb, er hat einen rostigen Bart  und kleine Narben im Gesicht und an den Händen.“  Sein Name ist Isak, woher er kommt, welche Gefühle er hat, wird nicht erzählt. Er beginnt er das Land zu bearbeiten und Holz zu schlagen, das er gegen neue Werkzeuge und Lebensmittel eintauscht.  Er baut sich eine Gamme für sich und sein erstes Tier, eine Ziege, und überlebt den ersten Winter in der Einsamkeit. Eines Tages kommt eine Frau vorbei. Ihr Name ist Inga, sie ist hässlich, hat eine Hasenscharte und erklärt sich bereit, Isak als Magd zu dienen. „Nachts lag er da und war gierig nach ihr und bekam sie.“

 Nun arbeiten sie zu zweit, entwässern die Moore, fällen die Bäume, entfernen die Steine, bringen Aussaat und Ernte ein und vergrößern Schritt für Schritt ihr Gut „Sellenra“. Zu den Ziegen gesellen sich Schweine, Schafe, später eine Kuh und ein Pferd. Zwei Kinder werden geboren, Eleus und Sivert. Sie wachsen heran zwischen Aussaat und Abwasch, werden älter im gnadenlosen Rhythmus einer immerwährenden Plackerei. Andere Personen tauchen auf, der Lappe Os-Anders, der immer nur schlechte Nachrichten bringt, die alte Oline, die wandelnde Niedertracht, und der Lensmann Geißler, der dafür sorgt, dass Isak das Land, das er urbar gemacht hat, auch als Eigentum vom Staat überschrieben bekommt.

Dann die erste Klimax. Als das dritte Kind, das im Verborgenen zur Welt kommt, eine  Hasenscharte hat, bringt Inga das Kind um. Dieser Kindsmord kommt heraus, und Inga muss für acht Jahre ins Gefängnis nach Drondheim. Der Vater und die Söhne bleiben zurück und arbeiten weiter. Als Inga nach sechs Jahren vorzeitig entlassen wird, kommt sie mit der im Gefängnis geborenen Tochter Leopoldine zurück. Aber was noch erstaunlicher ist: eine Operation hatte Ingas Hasenscharte beseitigt, so dass sie plötzlich als stattliche Frau vor ihrem verblüfften Gatten steht. Nun geht das Leben weiter, neue Bauern siedeln sich im Ödland an, darunter fähige Nachbarn wie Axel und unfähige wie Brede. In dieser Zeit wird kupferhaltiges Gestein auf Isaks Land gefunden, und Isak wird durch den Verkauf von  Schürfrechten ein wohlhabender Mann. Inspektoren und Spekulanten kommen aus  Schweden über die Berge und plane den Bau einer Mine und einer Telegraphenleitung.  Nun kommt mächtig Geld in die Gegend, aber nur kurz, denn plötzlich stoppen die Arbeiten am Berg. Obwohl gutes Kupfer gefördert wird, war irgendwo in Montana eine Mine eröffnet worden, die noch billigeres und noch besseres Kupferboot. Ein Präludium globalistischer Dramen, wie sie sich heute hundertfach ereignen. Der gerade neu etablierte Wirtschaftskreislauf bricht zusammen, viele Anwohner werden ruiniert, nicht aber Isak, der sein Gut weiter bestellt und ausbaut. Selbst die Verirrungen seines ältesten Sohnes Eleus, der lieber Händler oder Schreiber statt Bauer werden will, werfen ihn nicht aus der Bahn.

Am Ende seines Lebens ist Isaks Werk getan. Sein Sohn Sivert übernimmt den Hof, die Tochter Leopoldina heiratet den tüchtigen Axel, Eleus, der aus der Art geschlagene, wandert bezeichnenderweise nach Amerika aus. Das Geld aus dem Kupfergeschäft ist ausgegeben, aber das macht nichts, denn die Erde, durch harte Arbeit bezwungen, ernährt Isak und die Seinen. „Er ist Ödlandbauer und Landwirt vom Scheitel bis zur Sohle. Ein Überbleibsel  einer aus der Vorzeit, die in die Zukunft hinein deutet, ein Mann aus der ersten Zeit des Ackerbaus,  hunderte Jahre alt und doch auch wieder der Mann des Tages.“ Mit diesen Sentenzen endet der Roman mit einem bezaubernden, wenngleich  trügerischen happy-end, das man wie folgt beschreiben könnte:  Der Landmann ist ewig, beständig und verletzlich, viel nachhaltiger als die verschiedenen Versionen des Städters, die im Roman auftreten. Ehrliche Arbeit braucht keine Spekulation und keine Konjunktur. Sie braucht nur Land und den „Segen der Erde“.

Kein Zweifel, dass diese Sicht der Dinge verkürzt ist, denn auch der Landmann braucht Maschinen, Handel, Medizin und Straßen. Aber es ist eine Sicht der Dinge, die etwas Faszinierendes und Märchenhaftes besitzt, getreu dem Motto, dass das Vergängliche sich selbst kurz vor seinem Verschwinden die schönsten Lieder singt. Unvergänglich aber ist die poetische Kraft, die diesem Roman innnewohnt, verbunden mit einer meisterlichen Handlungsführung und Figurenzeichnung. Die Menschen bei Hamsun ist nie ganz gut oder ganz schlecht, sie sind Geschöpfe ihrer Anlagen und der Umstände und versuchen, mehr schlecht als recht zurande zu kommen. Mal sind sie schwach, mal stark, aber immer so einzigartig, wie Romanfiguren nur sein können.

 

 

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