Hamsun: „Unter Herbststernen“ und „Gedämpftes Saitenspiel“

Im Jahre 1906, nach dem Erfolg von „Hunger“ bereits als Autor eabliert, veröffentlichte Knut Hamsun „Unter Herbststernen“, den ersten Band seiner Wanderer-Trilogie. Die beiden anderen Romane tragen die Titel „Gedämpftes Saitenspiel“ und „Die letzte Freude“. Die ersten beiden Bände, die den erzählerischen Schwerpunkt der Trilogie bilden ( der dritte ist mehr reflexiv gehalten) habe ich anlässlich eines Norwegenurlaubs noch einmal gelesen.

Ein alter ego des Autos mit dem Namen Knut Pedersen streicht als ein schon etwas älterer Gelegenheitsarbeiter durch die Dörfer Nordnorwegens. Er ist von dem Leben in der Stadt angeödet und sucht Ruhe und Frieden in der Natur. Als Wanderer tut er  sich mit Gefährten zusammen, solange es funktioniert und verlässt sie wieder, wenn der Vorrat an Gemeinsamkeiten aufgebraucht ist. Jeden Tag saugt der Wanderer die Geräusche und Düfte des Waldes ein und berauscht sich am Leben der Pflanzen und Tiere. Der Wanderer ist aber nicht nur ein Naturenthusiast, sondern auch erstaunlich praktisch veranlagt. Auf den Höfen, auf denen er Arbeit findet, repariert er die Zäune, hilft bei der Ernte, fällt Bäume oder konstruiert eine Wasserleitung für seine Arbeitgeber. Dabei verliebt er sich in Lovise Falkenberg, die Gattin Kapitän Falkenbergs, auf dessen Hof er einige Monate lebt und  steigert  sich qua Einbildung in eine Liebesgeschichte hinein, von der er gar nicht merkt, dass sie nur einseitig ist. Hamsun versteht es meisterhaft, seine Figuren in ihrem Irrtümern heimisch werden zu lassen, aber so, das der Leser sie zugleich versteht und dorch mehr weiß als der Protagonist.

Der Fortsetzungsroman „Gedämpftes Saitenspiel“ setzt sechs Jahre später am gleichen Ort wieder ein. Knut Pedersen kehrt zurück und  stellt fest, dass die leichten Unstimmigkeiten, die bereits bei seinem ersten Aufenthalt zwischen den Eheleuten bemerkbar gewesen waren, sich zu einer Ehekrise  ausgewachsen haben. Die Ehefrau turtelt mit einem jungen Ingenieur herum, um sich für das Techtelmechtel ihres Gatten mit der Pfarrerstochter zu rächen. Die Irrungen und Wirrungen dieses Ehezusammenbruchs werden von Hamsun akribisch entfaltet, ohne dass der Text auch nur eine  Sekunde langweilig wird. Es verblüfft, mit welcher psychologischen und sprachlichen Finesse der Autor das traurige Gebräu aus Lüge und Liebe, in dem sich die Protagonisten verheddern, entwirrt. Geht man fehl in der Annahme, dass der Autor hier auch die Erfahrungen aus seiner eigenen, erst kurz zurückliegenden Ehescheidung verarbeitet? Wie dem auch sei, eine traurige und tragische Geschichte nimmt ihren Lauf, wie sie jeder kennt, der schon einmal das Pech gehabt hat, den Zusammenbruch einer Ehe miterleben zu müssen.

Am Ende verlässt Lovise Falkenberg  ihren Mann, um zu ihrem jugendlichen Geliebten in die Stadt zu ziehen, was natürlich entsetzlich schief geht.  Enttäuscht und schwanger kehrt sie zu ihrem Mann zurück, der ihr versucht, zu verzeihen, ohne es zu können. All dies beobachtet Knut Pedersen als Erzähler und Mitleidender, während er mit anderen Knechten auf dem Hof des Kapitäns so schön herrichtet, wie das Gut noch nie gewesen ist. Am Ende, als der  Hof in frischen Farben glänzt, verunglückt Lovise Falkenberg tödlich, und der Kapitän bleibt allein zurück in seine prachtvoll wiederhergestellten Bleibe. Resigniert und unglücklich verlässt der Wanderer den Hof und geht in die die Berge, um in der Einsamkeit zu leben.

 

 

 

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