Die Geschichte ist ein stetiger Fluss, wer wüsste das nicht? Immer ist irgendwo was los, und es ist vollkommen sinnlos, nach wirklichen Anfängen zu suchen. Trotzdem forschen die Historiker nach „Mega-Daten“, nach so genannten geschichlichen Epochenbrüchen, nach denen nichts mehr so ist, wie es vorher war. Das überzeugendste Mega-Datum der Weltgeschichte ist zweifellos die Entdeckung Amerikas, deren Folgen die ganze Welt veränderten. Wie stark, hat vor kurzem Michael Borgholte in seiner Theorie der Trikontinentalität nachgewiesen Ganz anders sieht es schon mit dem Jahre 476 aus, in dem man klassischerweise, die Antike enden und das Mittelalter beginnen lässt. Ihm könnte man mit Fug und Recht 375, 568, 622 oder gar 800 zur Seite stellen.
Unübersehbar ist die Zahl der Bücher, die über diese und andere Epochengrenzen geschrieben wurden. Es gibt aber auch Bücher die sich rein aus der Lust an der Gleichzeitigkeit laben wie etwa John E. Wills „1688. Was geschah in einem Jahr rund um den Globus?“, in dem der Leser zur Kenntnis nimmt, dass im gleichen Jahr der Potala in Lhasa vollendet wurde, der Großmogul Aurangazeb seine letzten großen Kriege in Indien begann, die „Glorious Revolution in England ausbrach und die Österreicher mit der Eroberung des Balkans begannen.
Das vorliegende Buch der Yale Historikerin Valerie Hansen folgt im Grunde beiden Motiven: der Suche nach einem überzeugenden Einschnitt in der Weltgeschichte und der reinen Erzählfreude über die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.
Wie es der Titel bereits ausdrückt, versteht Valerie Hansen die Jahrtausendwende (plus minus einiger Jahrzehnte) als eine Epochengrenze, „in der die Globalisierung“ begann. Das wird im Wesentlichen durch drei Entwicklungsstränge begründet?
(1) Rund um das Jahr 1000 intensiviert sich weltweit der Handel. „Waren und Menschen, Ideen und Mikroben – alles beginnt zu zirkulieren. Könige wie der fromme Muslim Mansa Musa ziehen mit unvorstellbaren Mengen an Gold von Mali nach Mekka, in Skandinavien werden Münzen mit arabischen Waagen gewogen, Sklaven werden über drei Erdteile hinweg verkauft, und Fürsten wie Wladimir von Kiew suchen sich aus dem Angebot der Weltreligionen jene aus, die ihnen für ihr Reich am passendsten erscheinen.“ Motor dieser Intensivierung ist China, das, so Hansen, während der längsten Zeit der Weltgeschichte, immer etwa ein Viertel der Menschheitsbevölkerung ausmachte. (Erst in der Gegenwart wurde dieser Anteil drastisch reduziert). Das China der Song Dynastie (969-1279) entwickelt einen derartigen Nachfragesog nach den Gütern Arabiens, Indiens und Indochinas, aber auch nach Bernstein aus dem „Slawischen Meer“, dass es sogar zu einer Arbeitsteilung der Märkte kommt. Gleichzeitig exportiert es, wie die Archäologie belegt, Seide, Porzellan, Keramik und hochfertige Fertigwaren in alle Welt. Quangzhou und Guangzhou (Kanton) waren damals die mit Abstand „am meisten globalisierten Städte der Welt“.
(2) Die geographischen Erkundungen von Entdeckern, Kriegern und Händlern bringen immer mehr Licht selbst in fernste Regionen. Dankenswerterweise entdecken die Wikinger punktgenau im Jahre 1000 Amerika. Möglicherweise, so Hansen, haben sie sogar Mittelamerika erreicht, weil Tempelmalereien der Mayas von Yucatan den einen oder anderen blonden Langhaarigen zeigen, in dem man vielleicht einen Ole aus Norwegen erkennen könnte.
(3) Um die Jahrtausendwende findet eine „religiöse Verdichtung“ statt, d.h. die unübersehbare Vielfalt polytheistischer Religionen tritt zurück zugunsten des Christentums und des Islams . So werden die Russen christlich die Ghanaer muslimisch, die Skandinavier werden christlich, diese Seldschuken islamisch – nur China passt nicht ganz in dieses Schema, weil sich hier die Gemengelage aus Buddhismus-Konfuzianismus-Daoismus nicht sonderlich verändert. Trotzdem wertet Hansen diese religiöse Verdichtung als ein Moment der Globalisierung, weil nun die frisch bekehrten Herrscher sich in der Ferne nach religiös ähnlich orientierten Bündnern umsehen.
Was hier als großes Karo nachgezeichnet wird, kommt in dem vorliegenden 500-Seiten-Werk in beachtlicher Kleinschrittigkeit daher. Keine wichtige Handelsreise, keine Missionierung, kein internationales Treffen (etwa die Gesellschaft der Kitan zum Hof des Ghaznavidenherrschers Mohammed um die Jahrtausendwende), das nicht ausführlich beschrieben wird, von den Feinheiten des internationalen Handels mit Ölen, Duftstoffen, Keramik und Rohstoffen alle Art ganz zu schweigen. Sogar afrikanische Sklaven tauchen on den chinesischen Häfen auf, haben aber große Schwierigkeiten, sich an die fremde Kost zu gewöhnen, was es ihnen nach dem Dafürhalten der Chinesen unmöglich macht, die chinesische Sprache zu lernen. Es ist nicht zuletzt die Vielzahl von dergleichen Anekdoten, die eine wesentlichen Teil der Lektürelust ausmachen.
Wie aber steht es am Ende um die Tragfähigkeit der Hypothese? Brach um das Jahr 1000 tatsächlich eine neue Zeit an? Nicht jeder, der das vorliegende Buch aufmerksam liest, wird davon überzeugt sein Für mich ist das vorliegenden Werk eher eine detaillierte Weltgeschichte des Jahres 1000, die ich mit viel Freude und Gewinn gelesen habe. Ach ja, fast hätte ich es vergessen. In ihrem Bemühen, überall in der Welt epochale Kipppunkte rund um das Jahr 1000 zu finden, weist Valerie Hansen darauf hin, dass in der chinesischen Provinz Szechuan im Jahre 1024 zum ersten Mal staatlicherseits Papiergeld ausgegeben wurde. Wenn das nicht Globalisierung ist, dann weiß ich es nicht. Dass die wirkliche Verbreitung des Papiergelds erst in der Yüan-Dynastie, also ein Vierteljahrtausend später, Pla