Hartmann: Aus kontrolliertem Raubbau

Hartmann Aus kontrolliertem Raubbau _Die kundigste Kritik kommt immer von denen, die dem Kritisierten am nächsten stehen. So war es bei Rosa Luxemburgs Kritik an Lenin oder Ernst Jüngers Verdikt über den Nationalsozialismus. Und so verhält es sich auch mit dem vorliegenden Buch. Eine engagierte Naturschützerin fragt nach den beabsichtigten oder unbeabsichtigten Folgen der sogenannten „Nachhaltigkeit“, der „grünen Revolution“ oder der „Green Economy“ und enttarnt sie als eine Moralattrappe, die es der rotgrünen Ökoschickeria erlaubt, weiter guten Gewissens ihrem Konsumtausch zu frönen.

Ganz gleich, ob man dieser harschen These in ihrer Gesamtheit zustimmt – wie die Autorin sie auf über 400 Seiten belegt, macht dieses Buch zu einem lesenswerten Standardwerk der planetarischen Umweltpolitik. Vor Ort, in Borneo, Sumatra oder Bangladesch hat die Autorin mit eigenen Augen gesehen, was die „marktkonforme“ grüne Revolution anrichten kann, wenn man ihre Nebenwirkungen außer Acht lässt. Die Vielfalt der dabei angesprochenen Aspekte können in dieser Rezension auch nicht im Ansatz angedeutet werden, aber ein besonders prägnantes Beispiel soll doch erwähnt werden: das Biosprit Desaster der Europäischen Union. Bekanntlich beschloss die EU im Jahre 2003 im Sinne einer öffentlichkeitswirksamen Nachhaltigkeitspolitik eine verpflichtende Beimischung von 5 % Biosprit aller Kraftstoffe. Dass die dafür erforderlichen Ölpalmenplantagen und Rapsfelder in Europa überhaupt nicht zur Verfügung standen sondern aus der Dritten Welt eingeführt werden mussten, erschien als ein willkommener Nebeneffekt, konnte man doch auf diese Weise die Kleinbauern Indonesiens und Malaysias am Biospritgeschäft und Ölpalmenanbau teilhaben lassen. Die Wirklichkeit aber sah ganz anders aus. Die Kleinbauen gerieten schnell in die Abhängigkeit großer Ölpalmenproduzenten, die es verstanden, ganze Dörfer zu enteignen und in Windeseile riesige Waldflächen zu roden. Inzwischen sind nicht weniger 125.000 qkm Regenwald in Borneo verschwunden. Und das mit Hilfe eines Zertifizierungsschwindels, der den ganzen Wahnsinn der grünen Ökologie verdeutlicht. Die europäischen Zertifizierungsbehörden, die die Umweltverträglichkeit des Ölpalmenanbaus und die Interessen der örtlichen Kleinbauen beachten sollten, sprachen ausweislich vorliegender Protokolle oft gar nicht mit den betroffenen Einwohnern sondern interviewten Kapitalgeber und Investoren und gaben ihnen grünes Licht. Die Folge: weltweit sanken die Flächen für die Nahrungsmittelerzeugung zugunsten des Anbaus von Biosprit. Die Nahrungsmittelpreise stiegen an, in manchen Gebieten Asiens und Afrikas kam es zu Nahrungsmittelenpässen und Hungersnöten. Selbst der IWF warnte im Jahre 2008 vor den Folgen des Biospritprojektes. Trotzdem wurde die Biospritverordnung von der EU im Jahre 2009 verlängert und sogar ein Beimsichungsanteil von 10 % für alle Kraftstoffe ins Auge gefasst. Der Hauptimporteuer innerhalb Europas ist natürlich Deutschland, dessen Politiker dieses unselige Geschäft als „nachhaltige Umweltpolitik“ verkaufen.
Das ist nur ein Beispiel für die zahlreichen Paradoxien der modernen Umweltökonomie, die die Autorin aufdeckt. Und man wird nicht sagen können, dass sie in ihrem heiligen Zorn bei ihrer Darstellung nicht kräftig austeilen würde. Von Fücks bis Gates bekommen alle ihr Fett weg und wie man nach der Lektüre zugeben muss: größtenteils verdient.
Allerdings bleibt am Ende ein Unbehagen. Mir kommt es so vor, als rücke die Autorin die gesamte Nachhaltigkeit ein wenig zu vollständig in die Schurkenecke und als würde sie nicht erkennen, dass planetarische Prozesse immer Nebenwirkungen erzeugen, die mitunter den ursprünglichen Zielen diametral entgegenlaufen. Und was die Alternative? Selbstverständlich sollen die Rechte der Ureinwohner bewahrt werden, sollen Orang Utans ihren Lebensraum behalten und Eingeborene durch Naturparkprojekte nicht vertrieben werden. All das liegt im Argen. Wie aber könnte es besser gehen? Ohne es explizit zu sagen, scheint der Autorin zunächst eine weitgehende Entmachtung der privaten Umweltakteure vorzuschweben, die in ihrer Sicht nur ihre eigenen Interessen im Blick hätten. Ihre weitergehenden Rezepte, die sie allerdings nur andeutet, verraten dann eine merkwürdig bekannte Herkunft: Staatliche Stellen sollen eingreifen und gemeinwohlorientiert agieren. Mit anderen Worten: statt Bill Gates und Warren Buffet spenden zu lassen, sollen lieber die Steuern erhöht und staatliche Behörden mit besonderen Vollmachen ausgestattet werden. Diese Vorstellung kommt mir allerdings noch abseitiger vor als die gesamte grüne Ökowirtschaft. Das mindert aber nicht den darstellerischen Wert dieses Buches, dessen Lektüre jedem ans Herz gelegt sei, der sich abseits von Verblödungsparolen wirklich für Umweltpolitik und Nachhaltigkeit interessiert.

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