Hirschhausen/Leonhard: Empires. Eine globale Geschichte 1780-1820.

Die Jahre 1780 bis 1920 kennzeichnen die Hochphase des weltweiten Imperialismus. Nationen galten nur als lebensfähig, wenn sie imperialistische Agenden verfolgen und durchsetzen konnten, schreiben die Autoren in der Einleitung ihres Buches: „Welche Relevanz Empires für die Globalgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts hatten, verdeutlicht bereits ein Blick auf die räumliche Struktur der Welt. 1800 gehörten 35 Prozent der Weltoberfläche zu einem imperialen Herrschaftsgebiet, 1914 waren es 84 Prozent.“  Interessanterweise beziehen bei ihrer Betracchtung der Imperien auch die drei kontinentalen Reiche wie das osmanische Reich, Österreich-Ungarn und Russland in ihrer Betrachtung mit rein.

Was hatten diese Empires gemein und was unterscheid sie? Allen gemeinsam war der Gegensatz von Zentrum und Peripherie, wobei sich die imperialen Zentren einer Vielzahl höchst unterschiedlicher Peripherien gegenübersahen, was ihre Herrschaft enorm erschwerte. Die Vielfalt der Peripherien ergab sich aus der Vielfalt, der Traditionen, Religionen und Ethnien, die sich gegen Versuche der Vereinheitlichung von Steuerpflicht,  Recht und Infrastruktur wehren. Die Widerstandsformen der Unterworfenen (etwa der Kampf der arabischen Beduinen gegen die Hedschas Bahn, der Widerstand der Lombarden gegen den Abfluss ihrer Steuern in andere Reichsteile  oder die Streik ägyptischer Arbeiter am Suezkanal) und ihre Grenzen stehen dabei im besonderen Fokus des Interesses.

Der geradezu unübersehbare Stoff einer Geschichte der großen Empires zwischen 1770-1920 wird von den Autoren aus fünf Perspektiven betrachtet. Im Kapitel über „Erobern und Erschließen“,  geht es um die Etablierung Kolonialherrschaft über Besteuerung und Unterwerfung. Ohne zu sehr in die Details zu gehen: die Darstellung des wilden „Siedlerkolonialismus“ auf Kosten der australischen Aborigines ist nichts für zarte Gemüter. „Herrschen und Verhandeln“  beleuchtet einen Aspekt, der bislang in der Geschichte des Imperialismus unterrepräsentiert ist, nämlich die Notwendigkeit der Zentrale, im Interesse ihrer Kontrolle mit lokalen einheimischen Eliten und Institutionen zu kooperieren, um Aufstände zu verhindern. „Glauben und Repräsentieren“ thematisiert die Techniken des Umgangs mit der Vielfalt religiöser Ausdrucksformen in den großen kolonialen Siedlungszentren. Um die Frage der wirtschaftlichen Effizienz geht es in „Prosperieren und Profitieren“. Hier zeigt sich, dass die Stabilität der Imperien maßgeblich davon abhängt, dass es ihnen gelingt, innerhalb der Unterworfenen profitierende Gruppen zu etablieren, die als verlängerter Arm der imperialen Herrschaft fungieren. So wurden etwa aufgrund der enormen Steuererhöhungen in der Gangesebene in der Mitte des 19. Jhdts. etwa 80 % der Höfe versteigert, was den indischen Steuerbeamten ermöglichte umfangreichen Landbesitz zu erwerben.  „Kämpfen und Verteidigen“ beschreibt die Praxis der multiethnischen Armeen am Beginn des 20. Jahrhunderts und damit  verbundenen Effekte der Selbstbewusstwerdung der Kolonialvölker und ihre Bedeutung für den sich anbahnen Freiheitskampf.
Innerhalb dieser fünf Kapitel präsentieren die Autoren im Leser ein ganzes Universum geschichtlicher Details, die selbst den Kenner der Geschichte überraschen werden. Besonders erhellend ist der direkte Vergleich imperialer Provinzen in Europa, etwa der Lombardei oder Neurusslands, mit überseeischen Kolonien in  Indien oder Ostafrika. Zahlreiche Kurzbiografien von imperialen Gestaltern runden das Werk ab, das von der ersten bis zur letzten Seite durch seine geschliffene Sprache überzeugt.

Was ist die Moral von der Geschicht´,  fragen die Autoren am Ende ihres monumentalen Werkes.   Obwohl die Imperien nicht überlebt haben, sind die Ihnen ein innewohnende Denkmuster, Größenfantasien und Phantomschmerzen nach wie vor virulent und handlungsleitend wie die Beispiele, Russland und China zeigen.