Eine indische Sekte flieht vor der staatlichen Steuerbehörde und zieht mit einem Haufen Geld und tausender fanatischer Anhänger vom südindischen Poona auf eine Farm im wilden Hinterland von Oregon. Eine fantastische Geschichte, von der man bereits ahnt dass sie nicht gut ausgehen wird. Dass sie aber derart in die Hose ging, erlaubt tiefe Einblicke in das Wesen der Moderne im Allgemeinen und das Sektenwesens im Besonderen.
Jane Stork, die Autorin des vorliegenden Buches hat die Sekte in Oregon aus nächster Nähe miterlebt und darüber einen kritischen Bericht vorgelegt – kritisch aber erst im Rückblick, als sie mit der Sekte gebrochen hatte. Ursprünglich war Jane Stork eine glühende Anhängerin des Bhagwan, mit anderen Worten: mit eine modernen Frau mit spirituellem und sexuellem Unterdruck, die die Erlösung bei einem Guru suchte. Das es dergleichen übrigens auch bei Männern gibt, siehe hier. Für diese Erlösung Jane Stork eine intakte Existenz in Australien auf und zog mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern zum Bhagwan nach Oregon.
In Oregon wird sie Teil einer aufopferungsvollen Gemeinschaft von Sanyasins, der es innerhalb kürzester Zeit gelingt in Washo County/Oregon Rajneeshpuram, eine Stadt für mehrere tausend Menschen, aus dem Boden zu stampfen. Jane Stork erlebt die Übernahme der kleinen Nachbargemeinde Antelope, deren Mitglieder der Invasion der rotgewandeten Bhagwan-Jünger hilflos gegenüberstehen. Plötzlich hat der Stadtrat von Antelope eine Bhagwanmehrheit und in den Fahrzeuge der lokalen Polizei sitzen Sanyassins und patrouillieren in Stadt und Camp.
Die weitere Geschichte von Rajneeshpuram, die die Autorin Jane Stork erzählt, klingt wie eine Kolportage, entspricht aber den Tatsachen. Während seine Anhänger schuften wie die Schweine, fährt der Bhagwan mit einem seiner 93 Roll Royce über Land und lässt sich von seinen Anhängern bejubeln. Übrigens ist er privat alles andere als ein Ausbund an Gelassenheit, liest man nur die Buchpassage, in der beschrieben wird, wie der Bhagwan seiner englischen Geliebten die Zähne ausschlägt. Aber er ist nicht nur temperamentvoll, sondern auch findig. Um lästige Visa-Probleme aus der Welt zu schaffen, gelingt es ihm, seine Weltanschauung unter dem Namen „Raijneeshismus“ als Religion zu etablieren, was ihm erhebliche Steuerersparnisse einbringt und erlaubt, Priester zu ordinieren, die Ehen segnen und scheiden können. Kinder mag der Bhagwan nicht so gerne, woraus sich der Druck zur Abtreibng erklärte, der die schwangeren Frauen im Camp ausgesetzt wurden.
Aber kein Bösewicht, hinter dem nicht noch ein perfiderer Bösewicht steckte. Deise Rolle spielt die junge Inderin Ma Anand Sheela, die zur rechten Hand des Bhagwan aufsteigt und die das ganze Projekt schließlich gegen die Wand fahren wird. Jane Stork, die inzwischen den Kontakt zu Mann und Sohn im Camp verloren hat, wird zur Vertrauten von Sheela und erlebt ihre kriminellen Machenschaften aus nächster Nähe. Denn Sheela hat große Pläne. Nachdem die Sekte die kleine Gemeinde Antelope übernommen hatte, versucht sie die Macht im ganzen County zu übernehmen. Zu diesem Zweck werden aus ganz Amerika tausende Obdachlose nach Oregon gekarrt, um sie als frisch Eingemeindete bei den anstehenden County-Wahlen als Wähler einzusetzen. Allerdings untersagt die Staatsregierung nach Protesten der Anwohner die Teilnahme der frisch zugewanderten Obdachlosen. Da der größte Teil der Obdachlosen nun keinen Nutzen mehr für die Sekte bringt, wirft man sie einfach wieder raus der Kommune heraus und setzt sie zu großen Teilen in der Stadt The Dallas am Columbia ab, wo sie die Gegend unsicher machen.
Aber es sollte noch besser kommen. In ihre Wut über die gescheiterte Machtübernahme im Washo County, organisiert Sheela einen bioterroristischen Salmonellenanschlag auf die Bürger von The Dallas, bei dem 751 Menschen zum Teil schwer erkranken. Inwieweit der Bhagwan in diese kriminellen Aktivitäten involviert war, ist bis heute ungeklärt. Klar aber ist, dass er mit Sheela zunehmend unzufrieden wird, als sie sich außerstande sieht, seine grotesken Luxusansprüche zu erfüllen. So sinkt Sheelas Stern und ein anderer, der persönlichen Arzt des Guru, gewinnt sein Vertrauen. Auf diesen Arzt unternimmt Sheela einen Mordanschlag, bei dem sogar die Autorin eine tragende Rolle spielt. Dieser Mordanschlag scheitert, so dass Sheela zusammen mit ihren Getreuen fluchtartig das Camp verlassen muss. Sofort bricht der Bhagwan öffentlich den Stab über seine ehemalige Assistentin, gibt sich als komplett ahnungslos und bezichtigt sie aller nur denkbaren Verbrechen, um sich selbst von jeder Schuld reinzuwaschen. Allerdings kann er nicht mehr die Augen davor verschließen, dass das Oregon-Projekt gescheitert ist. So erklärt er kurzerhand seine Religion für beendet und bereitet seine Flucht aus Amerika vor, nicht ohne reichlich Geld und Schmuck einzupacken. Diese Flucht aber misslingt. Der Bhagwan wird verhaftet und ausgewiesen. Sheela und ihr Anhang werden in Deutschland inhaftiert und in die USA ausgeliefert, wo sie zu deftigen Haftstrafen verurteilt werden. Die Autorin kommt mit einem blauen Auge davon und kehrt wie viele andere Sanyassins nach Poona zurück.
Als der Bhagwan kurz darauf in Indiern (1990) stirbt, wird die Erinnerung an den Oregon-Skandal unter der Trauer seiner weltweiten Gemeinde begraben. Als ich selbst 1991 die Bhagwan-Sekte in Poona besuchte, florierte das neue Camp schon wieder. Unter dem neuen Etikett „Osho“ bot es spirituelle Selbstertüchtigungstherapien für wohlhabende Anywheres aus dem Westen. Nach wie vor werden die Lehren des Bhagwan_Oshos als eine dünne Melange altindischer Mystik und moderner Popkultur millionenfach in der Welt popularisiert, denn die Sinnsuche der Menschen ist ebenso grenzenlos wie ihre Blödheit, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Das ungefähr ist die Moral von der Geschicht´
Inzwischen ist die Autorin nach Australien zurückgekehrt, um dort das vorliegende Buch zu verfassen. Als eine der Stichwortgeberin der Netflix-Serie „Wild-Wild Country“, die das Oregon-Desaster als Filmdokumentation aufarbeitete, hat sie immerhin damit noch ein wenig Kasse gemacht. Auch Sheela hat nach ihrem Gefängnisaufenthalt die psychopathische Episode in ihrem Leben hinter sich gelassen und arbeitet heute als Altenpflegerin in der Schweiz.