Im Vorfeld einer Reise nach Tschechien las ich die vorliegende Autobiographie von Arnost Kolman, der 1978 international bekannt wurde, als er ( natürlich im Exil ) einen offenen Brief an Breschnew schrieb, in dem er seinen Austritt aus der kommunistischen Partei verkündete. Am Ende eines langen Lebens, in dem er als Kommunist die Demokratie wo es nur ging gewaltsam bekämpft hatte, gleicht er plötzlich ein wenig dem Schurken, der neben Jesus am Kreuz hängend im letzten Augenblick seine Sünden bereut und mit dem Eintritt ins Paradies belohnt wurde.
Trotzdem ist die Lektüre der Kolman-Autobiographie unterhaltsam und lehrreich. Das Buch liest sich fast wie ein Roman und vermittelt einen ungeschminkten Einblick in den Lebensweg eines semiprominenten Bolschewisten vom Kadetten in der k.u.k. Armee bis zum linientreuen Funktionär in der entwickelten kommunistischen Gesellschaft. Geboren 1892, aufgewachsen im Klima eines sich verschärfenden Nationalitätenkonfliktes zwischen Deutschen und Tschechen im habsburgischen Böhmen und beeinflusst durch seinen reichlich chauvinistischen jüdischen Vater, schließt sich Kolman nach seiner Gefangennahme im Ersten Weltkrieg schnell einer tschechischen Legion an, deren Mitglieder ( mit nunmehr russischen Pässen ) auf der Seite der Russen gegen die eigene Heimat kämpfen. Innerhalb der Oktoberrevolution ist er an der Ausplünderung der bäuerlichen Bevölkerung ebenso beteiligt wie an der Niederschlagung demokratischer Aufstände. Er konspiriert als Agent der Komintern in Deutschland, stimmt für die Ausbürgerung Trotzkis, wird Verlagsleiter und Institutsdirektor und lebt bald das gute Leben eines kommunistischen Bonzen in der UdSSR. „Mir ging es, was das materielle Leben anbetraf, damals ausgezeichnet“, bekennt er freimütig in der Rückschau. „Im Dienst bekam ich unentgeltlich Tee und Gebäck, ja mir wurde da Frühstück komplett auf einem Tablett im Arbeitszimmer serviert. Zu Mittag aß ich im Kremlkasino, dem besten aller Restaurants in Moskau. An freien Tagen war es geschlossen, dann bekam ich am Vorabend ein riesiges Paket mit nach Hause.“ (S.146) – von Reisemöglichkeiten, Datschen, Wohnungs- und Geldzuteilungen ganz zu schweigen. Zwar wandern gleichzeitig Millionen unschuldiger Männer, Frauen und Kinder in die kommunistischen Gulags, doch Kolman bleibt von den Massensäuberungen unbehelligt, er übersteht den Krieg und kann sogar nach dem Weltkrieg in die Tschechoslowakei zurückkehren. Hier unterstützt er die tschechische KP tatkräftig bei ihrem Staatsstreich gegen die Demokratie, bis es ihn endlich doch erwischt und er im Rahmen der spätstalinistischen Säuberungen für knapp drei Jahre im Gefängnis verschwindet. (Warum? Kolman hatte kein Freiheitsmanifest verfasst sondern sich in einem Anfall von Starsinn nur geweigert, in seiner Eigenschaft als Institutsdirektor die minderbegabte Tochter des KP-Chefs Novotny gratis zu promovieren). Doch wieder hat er Glück, er wird weder geschlagen, noch gefoltert, schließlich freigelassen und teilweise rehabilitiert. In den Sechzigern erlebt er noch den Prager Frühling, ( als typischer Wendehals mit großer Sympathie), ehe er in den Siebziger Jahren das Land verlässt, seinen berühmten Brief an Breschnew schreibt, um dann 1979 ruhig in einem schwedischen Bett zu sterben.
All das wird recht anschaulich und – je weiter die Zeit voranschreitet – immer mehr mit retrospektiven Einsprenkeln zarter Selbstkritik – erzählt. Allerdings sollte man deswegen dem Spätrenegaten Kolman keine Ruhmeskränze flechten. Vielmehr kann man gar nicht genug darüber staunen, wie dick das Brett vor dem Kopf dieses scharfsinnigen „Philosophen“ gewesen sein muss, wenn er noch als Häftling in der Lublianka gegenüber Mitgefangenen nichts auf den großen Stalin kommen lässt. So ist der moralische Gehalt des vorliegenden Buches vollkommen belanglos. Mehr noch: ohne die massenhafte glaubensbereite Gefolgschaft von Figuren seiner Fasson, einer ganzen „verirrten Generation“, hätte der Kommunismus niemals das große Unheil anrichten können, an dem die Menschen im ganzen Osten Europas heute noch tragen.