Joschka Fischer: Mein langer Lauf zu mir selbst

Fiscgher Mein langer Lauf zu mir selbst„Die Fischer waren seit langem in männlicher Linie immer Bauern und Metzger gewesen,“ erzählt Joschka Fischer auf S. 61 des vorliegenden Buches. Trotzdem blieb er bis weit in seine Dreißiger Jahre ein flotter durchtrainierter Mann, denn „meine linksradikalen siebziger Jahre in der Frankfurter Sponti Szene und im Häuserkampf verlangten ein hohes Maß an körperlicher Fitness.“(S.22). Dann aber lief irgendwas schief , der Sponti wurde Politiker und Umweltminister, der Stress nahm zu, Schlaflosigkeit und Herzklabastern stellten sich ein, und der Appetit sprengte alle Grenzen. Auch auf die Gefahr hin, dass es geschmacklos klingt: von der Kalorienmenge, die Joschka Fischer auf Seite 40 als sein normales tägliches Fresspensum auflistet, hätte gut und gerne ein afrkanisches Kinderheim eine Woche exisitieren können. So ging es Tag für Tag, Jahr für Jahr, bis der Frontmann der Grünen im im Jahre 1996 im Alter von 48 Jahren stolze 112 Kilogramm auf die Waage brachte.

Soweit die dunkle, die düstere Einleitung der Fischer-Saga, gegenüber der die staunenswerte Neuerschaffung eines Politikers aus dem Geiste des Langlaufes nur umso strahlender hervortritt: innerhalb von zwei Jahren reduziert Joschka Fisher sein Gewicht sage und schreibe von 112 auf 78 Kilogramm. Das klingt fast unglaublich, aber es ist wirklich geschehen, Hunderttausende haben im Fernsehen verfolgen können, wie Joschka Fischer zwischen 1996 bis 1998 Monat zu Monat immer mehr schrumpfte, bis sich schließlich fast ein Drittel seines ursprünglichen Körpergewichtes in Nichts aufgelöst hatte. Wie war das möglich? fragte das Volk daraufhin, und um darauf eine Antwort zu geben, hat Fisher dieses Buch geschrieben. Der erste und entscheidende Grund, gewissermaßen die Initialzündung für die radikale Entfettungskur, wird allerdings nur ganz zart angedeutet: Fischers dritte Ehefrau war 1996 auf und davon gegangen, was dem „schwer atmenden Fass“ Fischer natürlich derart auf den Magen schlug, dass die ersten zehn Kilogramm gut und gerne dem „Magermacher Liebeskummer“ gutgeschrieben werden können. Aber das ist beileibe nicht die ganze Wahrheit, denn wie viele verlassene Männer aus leidvoller Erfahrung wissen, wird die erste Phase der Körperentschlackung durch Einsamkeit bald durch exzessives Saufen und Fressen in der zweiten Phase wieder mehr als kompensiert. Nicht so Joschka Fischer. Er beginnt ein gnadenloses Lauftraining, das in seiner Konsequenz ein wenig an die Exerzitien erinnert, mit den altchristliche Heilige sich von elenden Sündern zu religiösen Virtuosen entwickelten. Alles beginnt mit einem Lauf von 500m im Umkreis des Bundeshauses, ein heikles Untenehmen, denn „Mein Gewicht war trotz aller Anfangserfolge noch ganz erheblich, so dass durchaus die Gefahr bestand, dass die Bonner Erdbebenwarte mit ihren feinen Messgeraten reagieren würde, wenn ich losstapfte.“ ( S. 58). Man sieht: Fischer ist zwar noch nicht dünn, aber schon witzig! Dann aber werden, es fünf, sieben, zwölf Kilometer, und je mehr der Kalorienrenegat läuft, desto mehr genießt er die drei Geschenke des Joggens: die Sauerstoffdusche, die Stimulierung der gesamten Muskulatur und die „meditative Haltung“, die das Joggen über längere Strecken mit sich bringt ( S. 80). So war es nur eine Frage der Zeit, bis Joschka die größte aller läuferischen Herausforderungen ins Auge fasste: einen Marathonlauf, den er dann auch tatsächlich nach ausgiebigem, geradezu furchterregendem Training ( siehe dazu die Trainingspläne auf S. 118f. ) am 18. April 1994 in Hamburg absolviert (Rang 4.179 von 10.134). Was für ein Triumph denkt man und ist nicht überrascht, dass der neuerschlankte Joschka sich selbst kurz darauf in die vierte Ehe und die Bundesrepublik zusammen mit dem pyknischen Antilangläufer Gerd in die erste rotgrüne Koalition auf Bundesebene führte. Hut ab, Herr Fisher und Dank auch an die dritte Ehefrau, der wir die Initialzündung dieses auch bundespolitisch relevanten Revitalisierungprozesses verdanken. Dass Joschka Fischer acht Jahre später nun fast wieder so dick ist wie früher, fällt demgegenüber nicht ins Gewicht, denn erstens hat er inzwischen zum fünften Male geheiratet und zweitens grübelt auf amerikanischen Elitehochschulen nun nicht mehr über das Joggen sondern über das Schicksal der Menschheit als solcher. Oder sollte das etwa das gleiche sein? Über diese Frage muss ich unbedingt nachdenken, wenn ich gleich losjogge.

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