Kaesler: Max Weber

Max Weber  Jeder, der ernsthaft Max Weber liest, wird darüber staunen, wie schnell und wirkungsvoll die Webersche Begrifflichkeit gegen den soziologische Dünnbrettbohrer immunisiert, die zurzeit an den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten reüssieren. Webers unbedingte Faktenorientierung und seine  Verachtung der puren Gesinnungsmoral sind noch immer ebenso beeindruckend wie die Klarheit seiner Urteile, die Konstruktion seiner Idealtypen und die schiere Unermesslichkeit seines Wissens. Umso ambitionierter die vorliegende Biografie, die gleich ein Dreifaches versucht:  eine minutiöse  Darstellung des Weberschen Lebens, eine Einführung in sein Werk und eine Nachzeichnung der geschichtlichen Rahmenbedingungen der Weberschen Lebenszeit. Damit hat der Autor die Latte hoch gelegt und man wird sagen müssen: am Ende glatt gemeistert. Dirk Kaesler hat eine Biografie vorgelegt, die Maßstäbe setzt.

Um mit der Werkgeschichte anzufangen:  die Webersche Soziologie wird zwar chronologisch in  ihrem Entstehungszusammenhang thematisiert, wird aber systematisch so  profund entfaltet, dass jeder, der  die Kapitel über die   chinesische, jüdische oder  indische  Wirtschaftsethik, zur Soziologie der Stadt, der protestantischen Ethik und zu „Politik als Beruf“ gelesen und verstanden hat, problemlos ein Soziologieexamen ablegen könnte. Die Kapitel über den Methodenstreit mit den Kathedersozialisten im Verein für Sozialpolitik oder die Etablierung der Soziologie als Wissenschaft nach der Gründung der deutschen Gesellschaft für Soziologie lesen sich wie ein Wissenschaftskrimi.  Der Leser kann nachvollziehen, wie aus den „Grundlagen der Sozialökonomik“ der Nukleus von „Wirtschaft und Gesellschaft“ entsteht und wie die Politisierung der Bevölkerung im Zuge des Ersten Weltkrieges Max Weber zur Politischen Soziologie führt.

Gesundheitlich war Weber zeitlebens ein eher kränklicher Mann, der wegen neurasthenischer Beschwerden seine Dozententätigkeit weitgehend einschränken musste. Seine Arbeitsfähigkeit und Produktivität jedoch waren enorm. Schnell erwarb er sich einen internationalen Ruf, denn seine seine Gesamtschau der modernen Welt als „rationales, bürokratisches Gehäuse“, in dem alle  Traditionen entzaubert werden und seine zahlreichen Einzelstudien besaßen in Webers Epoche nicht ihresgleichen. Dementsprechend traf sich in  Webers Heidelberger Wohnung zeitweise eine Creme der Philosophie und Wissenschaft zu einem sonntäglichen jour fixe ab 17 Uhr. Die Liste der Teilnehmer liest sich wie ein Who´s who der modernen Geistesgeschichte: Georg Simmel Karl Jaspers, Georg Lukacz, Ernst Bloch ( der allerdings Weber mit seiner prophetischen Attitüde mächtig auf den Wecker ging) und jeder Menge moderner, freizügiger Frauen diskutierten miteinander bis die  Scheitel qualmten. Übrigens wurde dieser Kreis nach dem frühen Tod Max Webers von seiner Gattin  Marianne weiter geführt: Unter einer Büste Max Webers sollten sich in den zwanziger Jahren  Geistesgrößen wie Thomas Mann, Robert Curtius, Viktor von Weizsäcker und der junge Talcott Parsons zum „Geistertee bei Marianne“ versammeln.

Wer aber war der Mensch hinter diesem Riesenwerk? Folgt man der Darstellung Kaeslers war Max Weber eine „unerlöste“ zwiespältige, charismatische, zerquälte Persönlichkeit, die die Menschen zugleich in ihren Bann zog und abstieß. Weber war eine überragende Gestalt, die aber bei Widerspruch schnell zum „nervösen Kampfhahn“ (Sombart) wurde, eine Führergestalt, der es an Empathie und Sympathie für andere Menschen mangelte und die letztlich Unterwerfung erwartete.  In diesem Zusammenhang gibt es auch durchaus Unerfreuliches zu berichten, etwa die Geschichte vom Heidelberger Jounalistenprozess, in dessen Verlauf Weber die Karriere eines unbedeutenden Dozenten  vernichtete oder die Episode, wie Max Weber nach einer unersprießlichen Debatte mit dem brillanten Joseph Schumpeter  wutentbrannt ohne Mantel auf die Straße rannte. Was den Ausbruch des Ersten Weltkrieges  betraf, unterschied sich Weber kaum vom gemeinen Mann, der im August 1914 kriegsbesoffen durch die Straßen lief.  Weber meldete sich freiwillig, baute die Heidelberger Lazarettverwaltung auf und warb noch im Jahre 1917 für die siebte deutsche Kriegsanleihe (die er selbst zeichnete), die sich sofort nach der deutschen Niederlage in Luft auflösen sollte.  Weber ging so weit, am Ende des Krieges von Deutschland allen Ernstes eine  levee en masse zu fordern, denn er fürchtete als Folge der Demütigung Deutschlands mit Recht den Aufstieg eines rachsüchtigen und unkontrollierbaren Nationalismus. Als Mitgründer  der liberalen Deutschen Demokratischen Partei  versuchte er sich eine Zeitlang in der Politik, erhielt aber für die Wahl zur Weimarer Nationalversammlung keinen Listenplatz und scheiterte, was den Autor nicht verwundert, denn bei allen Schärfe seiner Analysen war Weber selbst kein politischer Mensch, der zu Kompromissen neigte. Dementsprechend kurios verlief die Begegnung Webers mit General Ludendorff, als er ihn aufforderte, sich anstelle des Kaisers den Alliierten zu stellen, um bessere Friedensbedingungen für Deutschland zu erreichen. Als sich Weber einer Diskussion mit Arnold Spengler stellte, trafen „Sinn-„ und „Stoffhuber“ ( zwei Webersche Begriffe) geradezu „idealtypisch“ ( auch das ein Weberscher Begriff ) aufeinander. Während seiner Münchener Professur wurde Weber Zeuge der radikalen Münchener Räterepublik und rettete dem Aktivisten Ernst Toller durch ein einfühlsames Gutachten   („Absolute Lauterkeit eines Gesinnungspolitikers“) vor der Todesstrafe.

Ein völlig unbekannter Max Weber tritt dem Leser am Ende der Biografie entgegen: der entflammte Galan, der gleichwohl (und im Sonne seiner These von der Rationalisierung der Welt) seine Liebschaften bürokratisch exakt zu organisieren wusste.  Jahrzehntelang hatte Weber mit seiner  Gattin Marianne in eine Art Geschwisterehe gelebt, eher er eine  erotische  Beziehung zu der Pianistin Mina Tobler einging. Mit Wissen seiner Gattin besuchte der große Soziologe die junge Pianistin in regelmäßigen Abständen mit eigenem Schlüssel in ihrer kleinen Wohnung, ohne jemals über Nacht zu bleiben. Die Affäre lief aus, als Weber 1919 von Else Lasker-Richthofen erhört wurde, der zeitweiligen Geliebten seines Bruders Alfred, nach der sich Weber jahrelang verzehrt hatte.  Die Briefe, die Weber zum Teil am gleichen Tag an seine Partnerinnen verfasste, besitzen allerdings etwas Degoutantes und zeigen den großen Max mit  moralisch  heruntergelassenen Hosen. Das ist ein natürlich trauriger Anblick für jeden Weber-Fan ( Karl Jaspers erlitt bei der Veröffentlichung dieser Briefe fast einen Nervenzusammenbruch ) wenngleich man natürlich einräumen muss, dass es kaum jemanden gibt, der in der ähnlicher Nahbetrachtung gut aussieht.  Die drei Damen haben dem Meister seine Ranküne nicht übel genommen. Sie pflegten ihn gemeinsam, als er Mitte 1920 tödlich erkrankte und blieben auch nach seinem Ableben als dicke Freundinnen einander verbunden.   Marianne Weber starb erst 1954,  Mina Tobler 1967 und Else Lasker-Richthofen im Jahre  1973

In Webers plötzlichem und unerwarteten Tod erkennt der Autor eine gewisse Folgerichtigkeit. Denn Weber befand sich im Jahre 1920  in  einer Sackgasse. Obgleich er die Politik theoretisch so brillant zu beschreiben wusste, war er politisch als Praktiker gescheitert. In dieser Hinsicht ähnelt er der Figur des „Metapolitikers“ wie ihn Lehnert und Mann in ihrem Buch „Das andere Deutschland“ beschrieben haben. Auch privat entzog sich Weber durch seinen Tod der Entscheidung zwischen seiner Gattin und seinen Geliebten. Und schließlich war auch Webers soziologisches Lebenswerk ein Torso geblieben, wenngleich dieser Torso nach seinem Tod in das Kompilation von „Wirtschaft und Gesellschaft“ einmünden sollte. In dieser Gestalt ging seine Soziologie um die Welt, um Maßstäbe zu setzen, die seitdem nicht mehr überboten wurden.

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