Ich weiß auch nicht, wie ich auf dieses Buch gekommen bin. Seitdem ich bei „Skoobie“ bin und in so viele Bücher hereinlesen kann, wie ich will, fällt es mir schwerer als sonst, mich in einem Buch festzulesen. Wenn mir ein Anfang nicht gefällt, fange ich ein anderes Buch an. Nicht so bei dem vorliegenden Buch, das mich sofort in seinen Bann zog, ohne dass ich sagen könnte wieso. Es handelt es sich um die wechselvolle Lebensgeschichte von Jane Howard, einer amerikanischen Intellektuellen aus einer gescheiterten Mittelschichtsfamilie. Obwohl der familiäre Hintergrund ttraurig ist – der Vater lässt die Familie im Stich, die Mutter versteinert auf schreckliche Art – ist die kleine Jane i fleißig und intelligent und bringt es sogar zu einem Havard Vollstipendium. Doch schon wartet das Leben mit seinen Versuchungen und Verlusten. Jane passiert, was erstaunlich vielen jungen Frauen gerade an amerikansichen Elite-Universitäten widerfährt: sie verliebt sich in ihren Doktorvater, einen brillanten verheirateten Professor, der bei einem Fahrradunfall stirbt. Das wirft sie da erste Mal aus der Bahn, so dass sie die Universität verlässt und ein Jahr bei einem Finanzunternehmen arbeitet. Auch dort scheitert sie, nicht aus eigener Schuld, sondern wegen ider Interventionen ihres unmöglichen Vaters, so dass sie schließlich auf eine mittelmäßige Universität zurückkehrt. Dort erholt sich von ihren Verlusten und Niederlagen und beginnt eine Beziehung mit einem Filmwissenschaftler. Doch kaum ist die gemeinsame Tochter geboren, wendet sich das Blatt erneut. Der fanatische Cineast entpuppt sich als Egomane der schlimmsten Art, betrügt nicht nur seine Frau sondern reißt sie mit in den finanziellen Abgrund. Mitten in dieser dritten Absturzphase ereilt Jane das schrecklichste aller Unglücke: ihre Tochter Emily, das Glück ihres Lebens, wird überfahren und stirbt. Dieser Schicksalsschlag pulverisiert ihr gesamtes bisheriges Leben, ihr soziales Umfeld und ihre Identität. Nach zwei misslungenen Selbstmordversuchen löst sie alle ihre Konten und Kontakte und verlässt die Vereinigten Staaten, um in Kanada ein neues Leben zu beginnen. Es verschlägt sie zufällig nach Calgary, wo sie versucht, in der Anonymität einer gesichtslosen Großstadt wieder zu sich selbst zu finden. Diese Selbstfindung vollzeiht sich – das allerdings etwas kolportagehaft – durch die Aufklärung einer Kindesentführung.
Ich habe dieses Buch gerne und mit wachsender Anteilnahme gelesen. Es begleitete mich eine Woche durch mein Leben und bot mir jeden Tag ein literarisch und inhaltlich anspruchsvolles Vademekum, ehe ich mich selbst an die Arbeit machte. Seine Erzähldichte wirkt wie eine Membrane, die es erlaubt, sich von der realen Welt auf eine beglückende Weise zu isolieren. Auch der Erzählstrom besitzt etwas Anziehendes, er gleicht einem ruhigen Fluss, der sich gemächlich voranbewegt und unaufdringlich aber anschaulich abwechselnde Lebenspanoramen an seinen Ufern präsentiert. Die Darstellung der existentiellen Krise, die Jane nach dem Tod ihrer Tochter lebt, wird ebenso ergreifend wie glaubwürdig geschildert. Sie ist der Dreh- und Angelpunkt des Romans, der dem Werk Tiefe verleiht. Leider ist die Moral von der Geschicht wenig erbaulich: Je mehr Glück wir erlangen, je mehr werden wir leiden müssen, wenn wir es wieder verlieren. Grund genug, sich mit diesem Buch ein paar glückliche Stunden zu schenken.
——– Einige Jahre später habe ich den zweiten Teil des Buches aus einem speziellen Interesse heraus noch einmal gelesen. In diesem zweiten Teil von „Aus der Welt“ werden der Tod der kleinen Tochter beschrieben, die beiden Selbstmordversuche der Hauptperson und ihre verzweifelten Versuche, weiter zu leben. Dieses Weiterleben gelingt nur mit Tabletten und einem radikalen Bruch mit der Vergangenheit. Die Protagonistin bricht alle Kontakte zu ihrem früheren Leben ab und geht mit einer neuen Frisur nach Calgary. Dort nimmt sie eine Stellung in einer Bibliothek, hört Bruckners 9. Symphonie und wünscht sich vergeblich, sie wäre religiös. Über den fortwährenden Kummer der Hauptperson wird wenig erzählt. Er ist für den Leser vorhanden unterhalb der akribischen Detailbeschreibungen des weitergehenden Lebens.