Knausgard: Lieben

Knausgard Lieben_Der vorliegende Roman, der zweite Band des 6bändigen autobiografischen Mammutprojektes „Min Kamp“ (nach „Sterben“ und vor „Spielen“),  ist nicht wie STERBEN und SPIELEN um ein Zentralthema herum konstruiert. „Lieben“ schildert die Periode im Leben des Autors, in dem er als Mitdreißiger Norwegen und seine Lebensgefährtin Tonje verlässt, um sich in Schweden neu zu verlieben und eine Familie mit drei Kindern zu gründen. Das Buch besitzt einen verschachtelten, z. T. zirkulären Aufbau, der mit dem Besuch der fünfköpfigen Knausgard-Familie  bei einem Kindergeburtstag in Stockholm beginnt und sich nach 700 Seien und einigen Jahren Rückblick am Ende dieser Zeitebene wieder annähert. Die Jahre dazwischen sind der biografische Berichtszeitraum, in dem Lebensdetails und  gesellschaftlich-kulturelle Themen zu einer Mischung aus minutiöser Autobiografie und intellektueller Dauerreflexion verbunden werden.

  • Das Thema „Lieben“, das dem Buch seinen Titel gab, steht anders im Mittelpunkt, als man es von der Titelwahl her erwartet hätte. Der Autor trifft in Stockholm auf die Jungschriftstellerin Linda, in die er sich auf einem zurückliegenden Schriftsteller-Workshop schon einmal erfolglos verliebt hatte (Sie zog seinen charismatischeren Freund vor). Nun aber ist Linda frei, die beiden treffen sich,  sie kommen nach langem Hin und her zusammen, und der Himmel hängt voller Geigen (Seite 292). Doch schon wenige Wochen später, im Buch nur sechs Seiten später, „verdunkelt“ sich das Beieinandersein, zuerst nur wenig, dann aber immer deutlicher. Kein Wunder: Linda leidet an einer bipolaren Störung und hat einen Selbstmordversuch hinter sich, und der Autor selbst ist auch alles andere als einfach. ( Seite 306).  Die restlichen vierhundert Seiten von „Lieben“  handeln von endlosem Ehekrach und davon, wie Karl Ove und Linda in den kurzen Phasen periodischer Versöhnungen ihre Kinder Vanja, Heidi und John zeugen. Diese „Liebesgeschichte“ ist weder besonders poetisch, aufbauend noch analytisch, sie ist einfach das breitgetretene Tagebuch einer jungen Familie, in der dem Vater, obwohl er seine Kinder aufrichtig liebt,  bald der ganze Familienkram unglaublich auf den Wecker geht, und in der die Frau ihren Familienpflichten nur unvollkommen gerecht wird. Für diesen Teil des Buches passt der norwegische Originaltitel „Min Kamp“ jedenfalls erheblich besser als „Lieben“. Dass die Liebesgeschichte, die Knausgard zu erzählen hat, nicht schöner ist, dafür kann er nichts, die Breite, in derer sie auswalzt, ist sogar dazu angetan, die Untiefen der ehelichen Tristesse besonders nachfühlbar zu machen.
  • Diese biografischen Passagen sind durchsetzt von zahlreichen kulturkritischen Reflexionen, die sich am Anfang ganz gut lesen lassen, aber manchmal wegen des  stark skandinavischen Bezuges sein wenig ermüden. Knausgard liest viel Dostojewski, dessen „düstere Welt“ ihn bedrückt, er bewundert Heidegger und Hölderlin und diskutiert viele zeitgenössische skandinavische Autoren. Er gibt regelrechte Lesehinweise, lobt Kjartan Floegststadt und findet, dass DonDeLilo „auf dem absteigenden Ast“ ist. Er grübelt über die Bedingungen geistiger Prägung –  etwa am Beispiel seines Onkels, der als sensibler Mensch in den Zwanziger Jahren ein Neuromantiker, in den Fünfziger Jahren ein Kulturradikaler geworden wäre und der sich eben in den Siebziger Jahren zum Kommunismus bekehrte.  Knausgard selbst wurde als Kind seiner Zeit ein gebildeter Linker, der Foucaulds und  Michael Serres gelesen  und den ganzen emanzipativen Zettelkasten als intellektuelles Rückenmark in  sich aufgenommen hat. Allerdings stört er sich wie alle bedeutenden Autoren, die über ihre geistige Herkunft hinauswachsen, an der Dürftigkeit der linken Weltanschauung und sucht nach neuen Antworten bei Ernst Jünger und Alfred Hauge. Immerhin macht er das so vorsichtig, dass der herrschende Kulturbetrieb, der über das Wohl und Wehe der Bücher entscheidet,  daran noch keinen Anstoß nimmt.

So weit, so anspruchsvoll – und mitunter auch anstrengend. Erleichtert wird die Lektüre allerdings durch die Sprache, in denen „Lieben“ verfasst wurde. Knausgards Sprache kommt leicht und locker daher, was immer den Meister verrät, sie ist geschliffen und angenehm zu lesen –  und sie  enthält viele Mikrobeobachtungen, die dem Roman, in dem ansonsten nicht sonderlich viel geschieht, Tiefenschärfe geben. Der Autor besitzt die Fähigkeit, selbst über das Banale und Alltägliche in nicht-aufdringlicher Weise nichtbanal zu schreiben. ABER LEIDER ÜBERTREIBT ER DAS. Auf die Gefahr hin, es mir mit der Knausgard Gemeinde dauerhaft zu verderben, finde ich, dass er in der Schilderung funktionsloser Alltagsabläufe einfach überzieht. Solche Passagen gehen etwa folgendermaßen: Karl Over kommt aus dem Café um in seinem Stockholmer Vorstadtbüro ein wenig zu arbeiten, er nimmt den Schlüssel aus der Tasche, schließt auf, hängt seinen Mantel an den Haken, aber nicht an den ersten, sondern an den zweiten und setzt sich an den Schreibtisch. Weil ihm aber nichts einfällt, steht er wieder auf, schaut aus dem Fenster, sieht dies und das, holt den Mantel vom Haken, nicht vom ersten sondern vom zweiten, schließt die Tür wieder ab, geht die Treppe herunter und setzt sich genau auf den gleichen Stuhl im Café, von dem er sich zwei Stunden vorher erhoben hatte. Karl Ove, so interessant ich deine Bücher, deine Gedanken, deine Literaturhinweise auch finde, das und Ähnliches ist in dieser Summierung einfach zu viel des Guten.

Alles in allem also eine interessante Lektüre, aber keine uneingeschränkte Begeisterung „Spielen“ hat mir erheblich besser gefallen. Stattdessen ein ungewöhnliches Leseerlebnis, auf das man sich ruhig einlassen kann, von dem man sich aber nach Abschluss der Lektüre erst einmal erholen muss, ehe man zum nächsten Knausgard greift.

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