Kundera: Die Unwissenheit

Die Männer in Milan Kunderas Buch „Die Unwissenheit“, ob sie Gustav, Martin oder Joseph heißen, betrachten die Liebe als etwas Gefährliches, etwas, das unbedingt nach Zähmung verlangt und dass nur unter hohem Risiko in das eigne Leben integriert werden kann. Deswegen soll das vorliegenden Buch durchaus auch als Rezept- und Ratgeberbuch zu der Frage gelesen werden, wie man die Untiefen romantischer Liebesbeziehungen am besten umschifft. Gustav etwa, eine der Hauptfiguren des vorliegenden Buches, bezaubert die Frauen durch seine Güte, wobei sie „zu spät begriffen, dass diese Güte weniger eine Verführungs- als eine Verteidigungswaffe war. Als Lieblingskind seiner Mutter war er unfähig, allein ohne die Fürsorge von Frauen zu leben. Umso schlechter jedoch ertrug er ihre Ansprüche, ihre Streitereien, ihre Allgegenwärtigkeiten, ihre allzu expansiven Körper. Um sie zu halten und gleichzeitig fliehen zu können, schoß er Granaten der Güte auf sie ab. Von den Explosionswolken gedeckt, trat er den Rückzug an.“ Als auch das nichts hilft, schläft er mit der Mutter seiner Gattin, wobei ihm der Geschlechtsverkehr komplikations- und lustlos „wie Zähneputzen“ erscheint. Seine Frau Irene dagegen sucht Liebe und Leidenschaft und trifft doch nur auf Joseph, einem literarischen Klon von Gustav, der zwar mit ihr schläft, sie aber „wie eine Schwester“ behandelt.
Man sieht: Kunderas Gestalten fungieren auch im vorliegenden Buch vornehmlich als Gedankenträger, die sich untereinander kaum unterscheiden, ein unabweisbares literarisches Manko, dass sich von den ersten Veröffentlichungen des Autors bis heute durchzieht. Wer realistische Figuren in all ihrer Widersprüchlichkeit kennenlernen will, ist bei zweifellos noch immer bei Kundera Fehl am Platze. Wer es jedoch liebt, auf dem Hintergrund dieser Kunderaschen Pappkameraden Grundbefindlichkeiten der Moderne wie Emigration und Nostalgie durchzudeklinieren, wird das vorliegende Buch zu schätzen wissen. Insbesondere was dem Autor zu Fokussierung der Nostalgie einfällt, ist geistreich, kurzweilig und neu, mehr noch: man fühlt sich in seinem Innersten Wesen erkannt, wenn er seinen Lesern ihre nostalgischen Gemütsbildungen vorhält und sie in immer neuen Bildern als Vergangenheitskranke beschreibt, die dadurch, dass sie immer nur „durch die nach rückwärts geöffneten Fenster in die Vergangenheit“ blicken, ihre Gegenwart und Zukunft verpassen.#

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