Lech Walsea: Ein Weg der Hoffnung (Exzerpt)

Das Buch beginnt mit einer Erinnerung an die Malven, die Lechs ältere Schwester Izabelle auf das Fensterbrett stellte, um dem kargen Heim ein wenig Poesie zu verleihen. Popowo, das Geburtsdorf Lech Walesas, liegt in der  Nähe von Dobrzyn, Popowo, das erste Dreieck seines Kinderlebens zwischen Schule, Kirche und Laden. Popowo, ein teilweise sandiges, teilweise schlammiges Gebiet, durch das die Kinder mit nackten Füßen liefern.

Die Familiengeschichte, mit der Lech Walesa seinen autobiografischen Bericht einleitet, pendelt zwischen Frankreich und Russland. Matthäus Walesa, die Gründergestalt der Familie, muss in den Zeiten der Revolution in Frankreich ein Vermögen gemacht haben, das er in Popowo in umfangreichem Landbesitz anlegt.  Seine Söhne bringen es nach und nach durch. Sie beteiligen sich an patriotischen Erhebungen wie dem Aufstand von 1863, werden zeitweise nach Sibirien verschleppt, pendeln weiter zwischen  Frankreich und Polen hin und her und verkaufen Stück für Stück ihr Erbe, um ihr luxuriöses Leben zu finanzieren –  ehe etwa zur Zeit von Lechs Großvater Jan Walesa die Armut über die Familie hereinbricht. Großvater Jan war ein glühender Pilsudski-Verehrer und erzählte allen, er habe dem General das Leben gerettet.

Jan Walesas Söhne, vor allem der älteste Boleslaw (Lechs Vater geb. 1908) und sein Bruder Stanislaw, waren ausgezeichnete Zimmerleute und bauten Scheunen, Häuser und Kirchen. Dem fleißigen Boleslaw gelingt es, die junge Feliksa Kaminski für sich zu interessieren. Feliksa (Fehla) Kaminski entstammt der  angesehenen Familie der Dobrzeniecki, aus der in jeder Generation Lehrer und Priester hervorgingen. Fehlas Mutter war zweimal in Amerika verheiratet gewesen, hatte auch Kinder dort und war schließlich nach Polen zurückgekehrt, wo sie ein drittes Mal heiratete (eben den Kaminski). Der tüchtige Schwiegersohn Boleslaw überzeugt seine Schwiegereltern. Er baut für sich, seine Frau und seine Kinder ein Haus, das Lech Walesa wie folgt beschreibt:

 „…  eine mit Lehm bekleidete Holzkonstruktion, die durch ein gemeinsames Strohdach mit dem Viehstall verbunden war. Bald standen eine Kuh und Schweine im Stall, dazu viele Hühner. Im Haus gab es zwei kleine Stuben und eine Küche mit großem Rauchfang, in dem die Würste hingen. An den Wänden die Töpfe. In der Küche ein großer, einfacher Tisch mit Bänken, auf den sich zu den Mahlzeiten die ganze Familie versammelte. Das Haus stand an einem Teich, beim Wald, umgeben von Pflaumen und Kirschbäumen.“ ,

In dieser Zeit, in den Zwanziger und Dreißiger Jahren, „bekommt Polen Flügel“, schreibt Walesa. Der Hafen von Gdingen an der Ostsee entsteht, ebenso wie neue Bergwerke in Oberschlesien und die Seilbahn in der hohen Tatra.

Überall breiten sich die Juden aus, weil Bedarf an einfachen Dienstleistungen besteht. Die Juden kommen aus dem Osten, dehnen sich aber westwärts aus, manche Städte bestanden bereits zu 80 % aus Juden. (Anmerkung: Wojtyla erzählt, dass seine Grundschulklasse aus ¾ jüdischen Schülern bestand)

Der Weltkrieg bricht aus, die Deutschen kommen, Boleslaw und Stanislaw werden zur polnischen Armee eingezogen, von den Deutschen gefangengenommen und wieder freigelassen. Als Besatzer vergeben die Deutschen das beste Land in Popowo an Volksdeutsche, viele Polen werden enteignet, die Kirche wird geschlossen der Priester kommt im Konzentrationslager um.  Boleslaw beteiligt sich am Widerstand, wird 1943 in einer großen Razzia verhaftet und im Lager halb totgeschlagen. Sein Bruder Stanislaw wird nach Deutschland verschleppt. Dort gelingt ihm die Flucht aus dem Konzentrationslager, er versteckt sich bei Deutschen, wird von einer deutschen Magd versorgt, mit der er eine Liebesbeziehung eingeht und kehrt getarnt in Gestapo-Uniform nach Polen zurück. Derweil erkrankt Boleslaw bei der Zwangsarbeit an Lungenentzündung. An den Folgen der  Misshandlungen stirbt der Vater gleich nach Kriegsende 1945. Die Mutter heiratete ein Jahr später den  Bruder Stanislav. Boleslaws älteste Tochter Izabella, Lechs Schwester, wollte keinen Stiefvater, nahm sich ihre kleinen Geschwister und versteckte sich im Wald. Die Ehe war nicht glücklich, denn die Kinder erkannten Stanislaw nicht als Vater an, der wurde daraufhin rau und mürrisch. Trotzdem entsprangen der neuen Ehe drei Kinder.

Lechs Erziehung ist  streng konservativ-katholisch. Bevor man zur Kirche ging musste man sich erst mit allen vertragen. Tenor: Erhebe niemals die Stimme, sei anständig und gerecht und arbeite in auf dem Hof mit, so gut du kannst. Der kleine Lech war von heiterer Natur und nahm alles mit Humor, obwohl er wie alle Polen dieser Jahre in der harten Nachkriegszeit schwer arbeiten musste. Er häckselte für das Viehfutter, drischt und geht jeden Tag 4 km hin und zurück zur Schule. Die Mutter hält die Kinder sauber und stopfte alle Sachen, das Haus wurde oft geweißt. Natürlich war Schmalhans Küchenmeister Brot mit Butter oder Schmalz war ein Festschmaus. Fleisch gab es nur sonntags, und das auch noch selten. Im Winter gab es morgens Kartoffeln mit Gris, ansonsten sehr viel Milch, denn eine Kuh musste alle ernähren. Viel Pilze mit Rührei.

Im Alter von 14 Jahren verlässt Lech das Dorf und geht nach Lipno und besucht die Berufsschule für Elektrotechnik. 1961 beendet er  seine  Ausbildung wird Elektriker beim POM (staatlicher Maschinenpark). Der POM leistet im Dorf kleine Dienstleistungen und  wird dafür manchmal mit Geld, manchmal mit Naturalien bezahlt. Der typische POM-Mitarbeiter kultivierte eine laxe sozialistische Arbeitsmoral und teilte seine Zeit zwischen privater Schwarzarbeit und eigentlichem Dienst auf. In diesem Kontext ist der junge Lech ein sehr guter Arbeiter und wilder Tänzer. Eine erste Liebesgeschichte, die nicht näher beschrieben wird,  geht schlecht aus und Lech entschließt sich nach Danzig an die Ostsee zu gehen.

Ab 1967 arbeitet er auf der Lenin Werft (die diesen Namen aber erst später erhielt) Die Werft war nach dem zweiten Weltkrieg aus drei Unternehmen entstanden, es fehlten Garderoben und Waschbecken, da die da die Arbeiter im Freien tätig waren, wurden sie ständig nass ohne dass sie Sachen trocknen konnten. Es gab Verpflegungskioske auf dem Werkgelände, vor denen man  für Brötchen mit Butter, Quark und Gurken in der Schlange stehen musste, was den Akkordarbeitern richtig Geld kostete. Auf der anderen Seite bot die Werft die Möglichkeit der Ausbildung, man konnte davon ausgehen,  dass ein großer Teil der der Schweißer in Polen auf der Danziger Werft gelernt hatte. Die Arbeiter wohnten zu Hunderten in einfachen, heruntergekommenen  Hotels, wer etwas etablierter war, konnte sich mit Freunden eine kleine Wohnung in der Vorstadt leisten. Bei seiner Arbeit auf der Leninwerft lernt Lech Walesa eine  Art „Kastengesellschaft“ aus Ingenieuren, Technikern, Büroangestellten und Arbeitern kennen, letztere unterteilt waren in  Vorarbeiter, Brigadeleiter und einfache Arbeiter. Die Arbeiterelite befand sich bei der Endmontage der Schiffsmotoren, die Anstreicher dagegen galten als die  die Parias der Arbeiterschaft.

Im Alter von Mitte Zwanzig ist Lech etwas einsam, streift auf  seiner knapp bemessenen Freizeit durch Danzig und lernt am Blumenstand seine spätere Frau, die 18 Jahre alte Danuta kennen.

Im Unterschied zum gemütlichen POM Betrieb auf dem Dorf herrscht auf der Werft allerdings eine gereizte Stimmung, zumal sich die Arbeiter mehr und mehr betrogen fühlen, denn die so genannten „Eierköpfe“ versuchen ständig, an den Normen herum zu manipulieren. Denn der Ingenieur durfte die in Stunden festgesetzte Produktionskosten eines Schiffes nicht überschreiten und knackste im Notfall einfach Stunden bei den Arbeitern ab. Die schlechte Stimmung wird durch den Unfalltod von 22 Arbeitern verstärkt, die in einem Schiff verbrannten. Der Widerhall von 1968 auf der Werft ist übel, die Arbeiter lassen sich gegen die Studenten aufhetzen und verprügeln sie, wenn sie das Werksgelände betreten. Offizielle Parteikundgebungen, etwa der Rede von Kocielek, werden  akribisch geplant (Wer sitzt wo, und wer darf anwesend sein?)

Der Kurs der Werksleitung ist manipulativ aber vorsichtig, oft wird der Widerstand durch Sondergratifikation ausgeschalten. Die Unzufriedenheit zeigt sich in zunehmendem Alkoholismus während der Arbeitszeit getrunken. (Werfdirektor  Zaczek)

1969 heiraten Lech (26) und Danuta (20) beide waren stark religiös und kinderlieb (acht Kinder!).

Auf der Werft herrscht 1970 dicke Luft, weil der Plan nicht erfüllt werden kann. Ein willkürliches Personalkarussell bei den Abteilungsleiter und schafft zusätzlich Chaos. Als die Unruhen auf der Lenin Werft im Dezember 1970 ausbrechen, ist Lech gerade einmal 26 Jahre alt, er wird trotzdem in ein Streikkomitee gewählt, kann sich aber nicht recht durchsetzen und verheddert sich in Einzelaktionen. Schon damals war seine Tendenz zum individuellen Aktivismus unübersehbar. Er gerät in seinem Versuch, Ausschreitungen zu verhindern, sogar in den Verdacht der Kollaboration.

Nach dem Massaker wurden auf der Leninwerft nur 18 Personen entlassen (In Gdingen dagegen 800). Gierek erscheint auf der Werft und überzeugt die Arbeiter in stundenlangen Diskussionen (und genehmigt dabei spontan den Bau einer Kirche in Przymorze) Die Arbeiter enthalten das Recht eine Kommission zu bilden, die grundlose Kündigung untersuchen darf. Jeden Dezember legt die Werftleitung Blumen auf dem Friedhof nieder. Außerdem wird die Ausstattung der Werft verbessert, Beschallung soll die Laune der Arbeiter heben. Als allerdings ein Arbeiter aus eigener Initiative im Dezember 1973 aus eigenem Antrieb am Werkstor Blumen niederlegt, schnappt ihn die Polizei und er wird rausgeschmissen. Die Feindseligkeit gegen die Polizei nimmt zu, auf der anderen Seite langt auch die Polizei bei Razzien und Inhaftierungen mächtig zu. Walesa beschreibt die Stimmung einer entsetzlichen Einsamkeit, Angst und Unsicherheit im Hinblick auf die Zukunft. Rückblickend erscheint ihm der Dezemberaufstand als eine unsolidarische, unkoordinierte Aktion.

 1975 kam die Krise, der Schiffsmarkt ist weltweit gesättigt, Drittweltländer wollen nur noch in Rohstoffen zahlen, so bleibt nur noch der Ostmarkt, wo man billiger verkaufen muss.

Lech übt die Funktion eines Inspektors für Arbeitsschutz aus und schlägt sich mit Schutzkleidung Seife und Handtüchern herum. Er vertritt immer dezidierter die Idee einer unabhängigen Arbeitervertretung. Da man das weiß, wird er 1976 aufgefordert, sein Mandat als gewählter Gewerkschaftsvertreter nicht wahrzunehmen. Als er sich weigert, fliegt er raus, erhält allerdings eine Ausgleichszahlung.

Damals wohnt Lech mit seiner Familie in Reisau in der Nachbarschaft von Brettervorschlägen mit Gestrandeten, die Schweine und Hühner züchten und sich am illegalen Bernsteingeschäft beteiligen. Es kommt in Reisau zu Bandenkriege zwischen der Polizei und der Bernsteinmafia. Der forcierte  Ausbau der Industrie verpestet die Luft, Der Stand von Reisau musste  gesperrt werden.  Schwefel und Phosphorwind zerfressen die Baudenkmäler in der Innenstadt von Danzig.

Gleichzeitig werden die Leute genervt durch den protzigen Lebensstil der  Söhne der Nomenklatura, vor allem vom Sohn von Ministerpräsident Jaroszewicz. Er und andere fahren in Luxuslimousinen  durch die Gegend, eine neue Klasse mit Jachten, Palais und schicken Frauen macht sich breit. 

Nach seiner Entlassung arbeitet Walesa bis  1978 in einem Reparaturbetrieb für Baumaschinen. Auch hier wird er entlasten weil er sich für die Bildung freie Gewerkschaften einsetzt. Als Arbeitsloser wird er vom Arbeitsamt für die verschiedensten Institutionen geschickt, wo er sich sofort als Gewerkschaftler zu erkennen gibt, Flugblätter auf den Tisch legt und dementsprechend nicht angestellt wird. Um diese Tournee zu beenden, verfügt der Geheimdienst seine Einstellung in einem Kfz Betrieb 1979.

Währenddessen schwillt die Opposition weiter an, beobachtet von Unmengen von Spitzeln. Aktivisten  verteilen Zeitungen und Flugblätter die in illegalen Druckzentren hergestellt werden. Das russische Konsulat schäumt vor Wut und liefert der polnischen Geheimpolizei Listen und Adressen der Aktivisten.  Die insgesamt konziliante Regionalregierung vertröstet die Protestierenden, weil die Zentrale nicht mitzieht.  Maßgeblicher Einfluss der Papstreise, die aber im Buch nicht besonders erwähnt wird. Es rumort in Polen, überall herrscht Unruhe, aber der Staat greift nur kursorisch zu, und hält sich, was Brutalität betrifft, zurück (Meine Erklärung: zivilgesellschaftliche Isolierung), unter anderem auch weil es mehrere Fraktionen auf Seiten der etablierten Kräfte gibt (1)die Danziger Parteiführung, die zur Mäßigung rät, (2) die Warschauer Zentrale, die uneinsichtig ist und (3) das russische Konsulat in Danzig, das fordert „kurzen Prozess“ mit der Opposition zu machen. 

Im Sommer schweißen Arbeiter in Lublin eine Lok an die Gleise, die das knappe Fleisch nach Russland exportieren soll. In Danzig reges Verteilen von Flugblättern und Austausch zwischen den verschiedenen Gruppen (junges Polen, KOR, Komitee zur Verteidigung der Menschenrechte und  Bewegung für freie Gewerkschaften). Lech Walesa ist in dieser Runde aktiv und genießt wegen seiner Teilnahme am Aufstand von 1970 Prestige, er wird wie viele andere auch oft verhaftet und freigelassen, während seine Frau ein Kind nach dem anderen zur Welt bringt. Auch seine Wohnung wird verwanzt. Erste Kontakte nach Warschau, wo sich die Intellektuellen im Kreis drehen. (Kontakte zu Kuron, der es Walesa später nachträgt, ihn von der Spitze verdrängt zu haben) Bei einer Zusammenkunft von Delegierten dieser Gruppen, an der auch Walesa teilnimmt, wird der Streik auf Lenin Werft beschlossen.

Am 14. August geht es los, Lech, der schon lange Hausverbot auf der Werft hat, schleicht sich in die Werft und hält die ersten Reden. Junge Arbeiter versorgen in Windeseile Flugblätter, auf denen dreierlei gefordert wird: (1) die Wiedereinstellung von Anna Walentynowicz (später auch von Lech Walesa) Anna Walentynowicz war  kurz vor der Pension wegen Widerspenstigkeit entlassen worden, eine verdiente und aufrechte Schweißerin, später Walesa-Gegnerin, starb 2010 beim Flugzeugabsturz in Smolensk). Weitere Forderungen: (2) das zugesagte Denkmal für den Danziger Blutdonnerstag soll erbaut werden, außerdem (2) 2000 Zl. Lohnerhöhung für jeden. Erste Erfolg des Streiks: Zugang zum Betriebsfunk und Öffentlichkeit, „Unser Streik lief bei offenem Vorhang ab.“ Gleichzeitig wird der öffentliche Personentransport zur Werft eingestellt, Tausende Menschen kommen aber zur Werft, um zu sehen was los ist, aus der gesamten Umgebung kommen Solidaritätsadressen, überall brechen kleinere Streiks in Werften und betrieben aus (14.-16.August)

Am Anfang reagiert die Parteiführung sehr elastisch, sie bewirkt, dass die Arbeiterdelegation um Delegierten der  einzelnen Abteilungen ergänzt wird. Der  Direktor schickt seinen Wagen, um Anna Walentynowicz zur Arbeit zu holen.  Schließlich werden 1500 Zl. Lohnerhöhung und eine Untersuchung der anderen Forderungen zugesagt. Das Kalkül der Werft Leitung, nur über Werftangelegenheiten zu verhandeln, scheint aufzugehen, und Lech Walesa erklärt den Streik für beendet. Dann aber lässt er sich umstimmen.   Walesas Wende vollzieht sich, als Arbeiter anderer Betriebe und Werften auf einem Podium mit Mikrofon (die so genannte „Politik-Diskothek“, auf der sich jeder zur Wort melden konnte) auch Solidarität für ihre eigenen Angelegenheiten forderten. Das war die Geburtsstunde der „Solidarnosc“ am 16. August Dass Walesa den Streik abbrechen wollte und nun weiter streikt, führt innerhalb der Werftbelegschaft zunächst zu Irritationen und Feindseligkeiten.

Am 17. August, einem Sonntag, bildet sich das „überbetriebliche Streitkomitee“, das endlich auch werftübergreifende   Forderungen stellt (Katalog der 21 Forderungen). Für die Partei stellt die Gründung des „Überbetriebliche Streckkomitees“ eine Kampfansage dar, zum ersten Mal wird die militärische Option diskutiert. Zunächst aber läuft die  Taktik der Parteiführung darauf hinaus, die Streikenden zu spalten. Vizepremierminister Pyka versucht vergeblich mit den einzelnen Betrieben zu verhandeln. Dann kommen Kania und Jablonski nach Danzig. In einer stürmischen Parteisitzung zeigen sich zwei Richtungen: (1) Anerkennung dass es sich um einen Arbeiterprotest handelt und (2) Verurteilung der Streiks als konterrevolutionärem Terror. Die Vertreter der offiziellen Gewerkschaften schlagen sich sofort auf die Seite der Partei, ohne überhaupt Kontakt zu den Arbeitern zu suchen (Szydlak) und sind diskreditiert. Peinlich, als die Inhalte dieser Sitzung über Lautsprecher in der Werft bekannt gemacht werden.

Parallel zu den Ereignissen reflektiert Walesa immer wieder die Entwicklung. Als überzeugender Redner war er plötzlich zur Führerfigur  geworden, d.h. er war vom fünften oder vierten Rang auf den ersten vorgerückt, was Animositäten schuf. Er äußert sich breit und tendenziell ablehnend über „Theoretiker“, die die Masse nicht verstehen und zur Führung ungeeignet sind. In seiner Leitungsfunktion versucht er,  unrealistisch weitreichende Forderungen abzumildern, um der Gegenseite keinen Vorwand zur Eskalation zu liefern. Das bringt ihn intern in den Verdacht der Kollaboration. „Es war daher klar, dass ich der Chefkoch bei dieser Suppe bleiben musste, dass ich die Zutaten so auswählen musste, dass mir die Suppe nicht ungenießbar wurde, sondern stets für alle schmackhaft und verdaulich blieb.“

Die Frucht dieser Strategie sind die 21 Forderungen. (1) Forderung nach freien Gewerkschaften, (2) Streikrecht (3) Meinungsfreiheit (4) Straflosigkeit der Streikenden (5) Unterrichtung der Öffentlichkeit (6) Angehen von Reformen (7) Bezahlter Streik als Urlaub (8) Erhöhung des Grundlohns um 2000 Zloty (9) Einführung einer gleitenden  Lohnskala (10) Nur Nahrungsüberschüsse dürfen ausgeführt werden, (111) Gerechte Rationierung von Fleisch (12) keine Marktpreise (13) Ernennungen  nach Eignung, nicht nach Partei (14) Rentenalter für Frauen 50, für Männer 55 (15) Anhebung der Rente, (16) Gesundheitsdienst (17) Kinderkrippen (18) Mutterschaftsurlaub (19) Bessere Wohnraumversorgung (20) Fahrtkostenerstattung (21) freier Samstag. Verkündigung am 22. August.

Noch bevor die Verhandlungsdelegation der Partei eintrifft, um auf der Basis dieser Forderungen zu verhandeln, wird die Werft von den Arbeitern perfekt organisiert: Wodkaflaschen werden am Eingang der Werft zerschlagen, ein großes Bild Papstes wird am Tor aufgehangen. Am 23. August „kommen die Literaten“, genau gesagt die „Danziger Gruppe des polnischen Schriftstellerverbandes“ unter der Leitung von Lech Badkowski (Später Chefredakteur der Solidarnosc Zeitung). Am gleichen Tag erscheinen Thaddeus Mazowiecki und Bronislaw Geremek („Appell der 64“). Der Streik hat nun auch die Intellektuellen erfasst. In Warschau werden die ersten bereits in Vorsorgehaft genommen. Ein breiter  Strom von Solidaritätserklärungen von Gewerkschaften aus der ganzen Welt setzt ein, Bauern und Städter schicken Spenden und Nahrung, eine Streikkasse von mehreren Millionen Zlotys entsteht).

Eine starke Szene, als am Abend des 22. August der Delegationsbus der Partei unter Führung von Vizepremier Jagielski am Tor vorfährt  und Arbeiter die Bustüre öffnen und fordern. „Von hier aus zu Fuß weiter“) . Entgegen der Planung der Partei verlegt Lech Walesa die Diskussion in den großen Saal, wo unzählige Arbeiter anwesend sind. Das ganze Gebäude wird von Tausenden Arbeitern umringt. Die Partei diskutiert also auf exterritorialem Gelände (Lehre aus 1970). Während der Verhandlungen mühsames Verbergen interne Divergenzen („radikale Jakobiner“ in der Bewegung „Freie Gewerkschaften“). Von Anfang an sucht Lech nach Formeln, die die Einheit herstellen sollen, und findet sie in „Nation“ und „Religion“  Kiedy ranne wstaja zorze – „Wenn die Morgenröte anbricht“) Regelmäßige Gebete der Arbeiter, demonstrativer Bezug zum Papst, von mir:  Verlassen des sozialistischen Bezugsrahmens „Arbeiterklasse“ etc.) Walesa äußert sich positiv über seine Verhandlungspartner, vor allem über Fiszbach und Kolodziejski, den Werftdirektor und den Woywoden). Ein Beispiel für die Detailverhextheit der Verhandlungen: Streit über die Rundfunkübertragung der katholischen Messe)   Es zeigt sich, dass die Intelligenz auf Seiten Streikenden und die Parteiintelligenz dem gleichen Milieu entstammen. Parallel zu den Verhandlungen negative Pressekampagnen („Bananen verfaulen in den bestreikten Schiffen“), manipulative Kürzung einer Predigt des Primas, demgegenüber Publikation der vollständigen Brief, am  28. August empfängt der Primas eine Delegation der Streikenden. Am 30. August werden die Ergebnisse paraphiert, wobei es bis zuletzt um die Frage der politischen Gefangenen ging. Am 31. August Unterzeichnung des „Danziger Abkommens“ (fast identisch mit den 21 Forderungen, aber: Fünf Tage Woche und Verringerung des Renteneintrittsalters)

Nun beginnt im ganzen Land ein elender Kleinkrieg, weil sich überall Gewerkschaften bilden und die Betriebsleitungen mit Händen und Füßen verhindern wollen, dass ihre Korruption aufgedeckt wird. Tausende Beschwerden erreichen das so genannte „Überbetriebliche Gründungskomitee der freien Gewerkschaften“. Anfang September Besuch des Streikkomitees mit Walesa an der Spitze beim polnischen Primas Wyschynski.  Von ihm übernimmt Walesa die Idee, dass nicht Personen ausgetauscht, sondern verändert werden müssen, ähnlich äußert sich auch dieses Czeslaw Milosz, der die Werft im September besucht.    Nach dem Entwurf von Bohdan Pietruzka entstand das Denkmal für die Opfer des Danziger Blutdonnerstags.

Wie von selbst stellt sich die Frage nach den Vorrechten der Nomenklatura, nach der Zensur, der Meinungsfreiheit und der Mitbestimmung Man bietet Walesa und seiner Familie, nachdem er jahrelang auf eine größere Wohnung gewartet hatte, nun eine Villa in Zopot an, was er ablehnt. Er erhält eine Wohnung in normaler Größe. Schon beginnt der interne Widerstand gegen Walesa (unterstützt von Anna Walentynowicz der Patentante eines Walesakindes). Er wird als zu kompromisslerisch abgelehnt und aufgefordert, zu Gunsten radikaler Kräfte zurückzutreten. Walesas Konzept der Selbstbeschränkung der Revolution hat noch die Mehrheit, ist aber  hoch umstritten. Auf der anderen Seite weigert er sich auch, dem Druck der Regierung nachzugeben und die Radikalen auszuschließen (d. h. er springt über kein Stückchen, das ihm die Etablierten hinhalten) Das Überbetriebliche Gründungskomitee erhält Büroräume und etabliert Kommissionen. Walesa muss er jeden Tag zwei anstrengende Sitzungen mit Aktivisten durchstehen. Am 17. September wird er zum Vorsitzenden der Solidarnosc gewählt, die als eine Föderation unabhängiger lokaler Gewerkschaftskomitees auftritt. Nach heftigen Streit wird die Gewerkschaft im September staatlicherseits anerkannt. Nun strömen Millionen in die neue Gewerkschaft, unter ihnen auch eine Million Parteimitglieder. 20 % der Mitglieder des ZK sind Solidarnoscmitglieder. Von mir: das ist nicht zu verstehen ohne die Annäherung an Reformkräfte der Partei, dass diese Verbindung nicht abbricht, es war Walesas bleibendes Verdient. Merke: der Duktus des Buches ist beeinflusst davon, dass es noch vor der großen Wender, d. h. vor 1989 geschrieben wurde, insofern ist sein proparteilicher Zungenschlag zu verstehen).

Neuer Problemhorizont: Ausruf von Streiks und Lohnforderungen ermöglichen es  der Regierung, mit dem Finger auf die Solidarnosc zu zeigen, während sie zugleich wirksamere Reformen blockiert. Überall im Land brechen Konflikte aus, zum Beispiel in Bielsko Biala, wo die  Bevölkerung die Auflösung der Luxussanatorien der  Nomenklatura fordert (Dort Anwesenheit von drei Bischöfen als Moderatoren). Konflikt um die eigenmächtige Ergänzung der Solidarnosc Anmeldung um einen Passus über die führende Rolle der Partei).

Zwischen September 80 und Dezember 81 ist Walesa permanent unterwegs, um lokale Konflikte zu entwirren, unternimmt aber auch Auslandsreisen. Im Januar 1981 Besuch bei  Papst Johannes Paul II. Der Papst spricht von der „Hebung des moralischen Niveaus“ und bezeichnet die Vorgänge als rein polnische Angelegenheit. Finanzierung seiner Reise durch die christlichen, sozialistischen und kommunistischen Gewerkschaften des Westens, die schwer um ein gemeinsames Verständnis der Vorgänge in Polen ringen) Lech spricht am liebsten frei, sobald er ablesen muss stottert er. Breite Beschreibung des Besuches in Japan, am wichtigsten ist der Besuch in Frankreich (Ive Montand), weil er die Grundlagen legt für die enorme Hilfe, die die Franzosen nach der Ausrufung des Kriegsrechts der Opposition in Polen angedeihen ließen. Bei seinen ausgedehnten Reisen durch Polen spricht er aus taktischen Gründen immer wieder von einem besseren „polnischen Sozialismus“

Im Februar 81 wird Jaruzelski Premierminister, (Seine Familie nach Russland verschleppt, Vater unter dem Stalinterror umgekommen) er beruft  Rakowsky zum Minister und erlässt ein „Zehn Punkte Programm zur Bekämpfung der Krise. Geschicktes Taktieren der Partei im Konflikt mit den Bauern und Studenten,   Zugleich erlässt die Regierung Verordnungen, die ihr das Recht geben, Streiks zu verbieten, und fördert die  Gründung einer antisemitischen Kampforganisation „Patriotische Vereinigung Grunwald“, die Oppositionelle bedrängt. Anonyme Angriffe auf KOR Mitglieder, die zusammengeschlagen werden, Entlassung von Solidarnosc Mitglieder, im März Begegnung mit Jaruzelski, die ergebnislos bleibt.

Bromberg-Affäre im März 1981. Im Konflikt um die Zulassung einer Land-Solidarnosc besetzt ein Aktivist namens Rulewski ein Parteigebäude in Bromberg, woraufhin er und sein Anhang von auswärtigen Milizen brutal zusammengeschlagen werden. Aktivisten und Radikale fordern einen Generalstreik, im ganzen Land werden von der Regierung Truppen zusammengezogen.

MAI       1981 Attentat auf den Papst – kurz darauf Ende Mai Tod Wyschynkis

Trotzdem können sich innerhalb der Partei die Radikalen nicht durchsetzen. Pläne einer Verständigung der großen Drei(Jaruselzko, der neue Primas Glemp und Walesa) werden von der Partei hintertrieben (1 zu 7 Lösung, wobei die Gewerkschaft nur eine Stimme haben soll ), aggressive Medienkampagne gegen die Solidarnosc („Eiweißmangel bei den Polen“)   Kräfte der Solidarnosc fordern den Generalstreik, der Primas Klemp unterstützt  die Gewerkschaften nur sehr zögerlich,  innerhalb der Gewerkschaft wird Walesas gemäßigte Führungsrolle angezweifelt Er denkt unmittelbar vor dem Kriegsrecht an Rückzug. Erste Anzeichen des Kriegsrechts (Sturm auf eine Feuerwehrhochschule)

Fazit: es hat nie eine Chance für den „Karneval der Freiheit“ in den „500 Tagen“  gegeben. Das Danziger  Abkommen war bloßes Papier, in der Praxis war die Politik nicht bereit, wirkliche Freiheitsrechte abzutreten. Von einer Revolutionierung der Solidarnosc fürchtete man eine russische Intervention

Im unmittelbaren Vorfeld des Kriegsrechts verfolgte die Partei eine Taktik der Zuspitzung, Gerüchte von vollen Warenlagern, die zurückgehalten werden, machen die Runde. Es herrscht extremer Mangel. Schon im Vorfeld beginnt innerhalb der Partei der Austausch der Spitzenpositionen (Parteisekretäre) außer in Danzig, wo aber Fiszbach und Kolodziejski isoliert sind und später abgesägt werden. Juristisch ist die Ausrufung des  Kriegsrechts widerrechtlich, da der Sejm, und nicht der Staatsrat zuständig war. Stattdessen Sanktionierung des bereits angelaufenen Ausnahmezustandes durch eine nächtliche Sitzung der Parteispitzen mit dem Militär in der Nacht vom 12. Auf den 13. Dezember 1981 Fischbach und Kolodziejski werden erst nachträglich informiert, sie fahren in die Wohnung von Walesa, um ihn für ein Gespräch nach Warschau zu holen. Langes hin und her vor der Türe, ehe fünf Polizisten mit Brechstangen erscheinen und Walesa mit nach Warschau fährt.

Für den Fall, dass es größeren Widerstand gegeben hätte, standen starke sowjetische Armeekräfte bereit. Aber der Sieg gelang der Partei überraschend leicht, so dass sie sich in einer Art Euphorie verhärtete und stärker durchgriff.  Es kommt zu einer internen Säuberung der Partei und Ausschluss von Doppelmitgliedern, Im Fernsehen werden die Regeln des Kriegsrechts verkündet: Einführung der Polizeistunde, Reiseverbot, Unterbrechung der Telefon- und Telex Verbindungen, Zensur, Beschränkung des Fernseh- uns Rundfunkprogramms, Schließung von Schulen und Hochschulen, obligatorische Dienstleistungen für die Streitkräfte, Militarisierung der Betriebe, Dienstpflicht von Zivilisten,  Ende von unabhängigen Studentenaktivitäten.

Die  Gewerkschaft besitzt keinen Plan und wird durch die Ausrufung des Kriegsrechts überrascht, Danziger kommen am 14.12.81 an die Eingänge der Leninwerft und stiften den Arbeitern belegte Brote, Polizei wird mit Schimpfen empfangen, turbulente Versammlung in der in der Werft (Walesa in dieser Zeit in Warschau), Um Mitternacht Eindringen der Zomo ins Gelände und Übernahme der Kontrolle ohne großen Widerstand.

In den Gesprächen in Warschau wird von Walesa verlangt, alle maßgeblichen Kräfte aus der Gewerkschaft auszuschließen, derweil kommt es in Schlesien zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Bergarbeitern und der Polizei, in deren Verlauf am 16. Dezember mehrere Bergleute getötet werden. Walesa wird  gut behandelt, obwohl er sich weigert, Mitglieder auszuschließen. Über Gartenarbeiter wird sein Aufenthaltsort bekannt, auch der Internierungsbescheid, den er nicht unterschreibt, wird herausgeschmuggelt und in Frankreich veröffentlicht. Er erhält Besuch von Geistlichen.

Draußen rollt die Militärmaschine, 5000 Verhaftungen von Aktivisten. Die Partei simuliert Walesa gegenüber den Anschein von Verhandlungsbereitschaft, erst nach und nach wird klar, dass die Solidarnosc ganz verschwinden soll.  Verbindungsmann zur Kirche Pater Alojzy Orszulik,  die Kirche rät zur Mäßigung, Walesa verweigert  angesichts der Tods der Bergleute Verhandlungen. Ein persönlicher Brief des Papstes an Walesa, westliche Sanktionen laufen an, die die polnische Regierung zu Zugeständnissen zwingen sollen, die aber alle treffen. . Walesa bemerkt, dass Jaruzelski selbst unter Druck steht, denn ihm drohte vor dem Dezember 1981 die  Spaltung der Partei und der Einmarsch der Roten Armee. Bei den Frühjahrsüberschwemmungen 1981 in Plock schwacher Einsatz der Armee, da ihre Ressourcen durch die politischen Verhaftungen gebunden sind. Im Mai wird Walesa in den Südosten Polens in die  Nähe der russischen ins Grenze verlegt, was ihn beunruhigt.. Im Juni 1982 gelingt es Walesa eine Ermächtigung für einen Delegierten im Ausland herauszuschmuggeln, der an einer Sitzung der „Internationalen Arbeitsorganisation“ teilnimmt. Im Oktober 1982 Gesetzentwurf des Sejm zur Liquidierung der Solidarnosc, Verhandlungen in Bonn über einen „kleinen Marshallplan für Polen“ und eine „christlichen Stiftung für die Landwirtschaft“ verlaufen im Sand, da die polnische Regierung zu keinen Zugeständnissen bereit ist.

Walesa wird gut versorgt und besitzt ein Radio, in dem man die entscheidenden Wellenbereiche ausgebaut hat. In dieser Zeit ist Walesas Frau Danuta sehr aktiv. Als Mutter, die die Familie ohne den Vater versorgen muss, repräsentiert sie tausende anderer Familienschicksale.  Weiterhin  strikte Weigerung Walesas, mit der Partei zusammen zu arbeiten. Draußen bildet sich derweil ein „Provisorisches Koordinierungskomitee“, das im Untergrund agiert und zu öffentlichen Aktionen aufruft. (schwacher Widerhall am 11. November 1982 initiierten Demonstration). Erst langsam beginnt wieder der Aufbau der Zivilgesellschaft im Untergrund (siehe dazu Exzerpte).

Am 15. November 1982 kehrt Walesa in seine  Privatwohnung zurück. Dass er  freigelassen wird, während andere noch im Gefängnis sitzen, soll ihn diskreditieren. Im November 82 öffentliche Messe in der Pfarrkirche der Danziger Werft zur Weihe der Fahne der Solidarnosc  mit 10.000 Teilnehmern ohne Walesa. In der Stadt kursieren Flugblätter die Walesas Privilegien anprangern und ihn als Regierungsbüttel beschimpfen, Er scheint die Kontrolle über die Gewerkschaft an das Provisorische Komitee zu verlieren, Im Fernsehen erscheinen Bilder friedlicher Arbeiter auf der Werft, während gleichzeitig Maschinengewehrschützen auf sie zielen, was das Fernsehen nicht zeigt.

Erste öffentliche Rede Walesas am 16. Dezember 1982 am Arbeiterdenkmal vor der Werft. Tausende Menschen versuchen, den Platz vor der Werft zu erreichen, nervöse Polizei anwesend. Die Rede wird von westlichen Funkhäusern übertragen. Tenor nicht aufwiegelnd, aber: der Samen des Wandels in gesät, das Ziel der  moralischen Erneuerung bleibt, Walesa erwähnt vier Strömungen: Erstens die Gewerkschaften zweitens die Selbstverwaltung in den Betrieben, drittens unabhängige Vereinigung der Künstler und viertens die unabhängige Organisation der Jugend. Sie sind  Teile des Stroms denn weiter fließen wird.

Walesa beginnt im Land herumzureisen, um an den Prozessen gegen Aktivisten teilzunehmen (Behinderungen). Anmerkungen zu den Prozessen: in Elbing  werden die Angeklagten ohne Gehör einfach verurteilt, im Marienwerder waren sie schwer geschlagen worden. Angesichts dieser Zustände wächst der Hass, das Kriegsrecht kann nicht beendet werden.

Im April 1983 konspiratives  Treffen Walesas mit Delegierten des „Provisorischen Koordinierungskomitees“, das im Untergrund aktiv ist und angesichts auswärtiger Unterstützung mittlerweile überbeachtliche Ressourcen verfügt.  Veröffentlichung des Komitees über dieses dreitätige Treffen erzürnt die Staatsmacht: Walesas Bewegungsspielraum wird eingeengt, ihm wird unterstellt, aus der Gewerkschaft eine gewalttätige Untergrundorganisation machen zu wollen. Publizität verschafft Walesa allein die westliche Presse, die polnischen Journalisten werden eingeschüchtert und dürfen nur Schlechtes über ihn schreiben. Einziges Druckmittel der Solidarnosc waren die westlichen Wirtschaftssanktionen, unter denen aber alle litten.

Ende April tritt Lech wieder seine Arbeit auf der Leninwerft an. Als er zum ersten Mal das Werftgelände betritt, muss er Tausende von Händen schütteln, Überall wo er hingegen, sind Aufpasser dabei, jeder der mit dem spricht bekommt Schwierigkeiten.

Am 1. Mai 1983 Unruhen, die Polizei wird mit Blumentöpfen und Pfannen aus den Fenstern beworfen, sogar Kinder beteiligten sich, (Im Mai 84 organisiert Walesa einen Umzug, der genauen entgegengesetzt zur öffentlichen Kundgebung verlief. Von mir: Abendspaziergänge der Polen, die ihre Fernseher ins Fenster stellen )

In dieser Situation 1983 zweiter Papstbesuch in Polen, Danzig steht nicht auf der Reiseroute, Regierung droht, den Papstbesuch abzusagen, sollten Proteste überhand nehmen, Pressekampagne gegen Walesa wegen angeblicher Veruntreuung von Geldern. Es kommt zu einem Treffen der Familie Walesa mit dem Papst in der Nähe von Zakopane. Im August 1983 Bekanntschaft mit Pater Popieluszko, von dem Walesa eine Predigt hört. „Unserer Unfreiheit beruht darauf, dass wir uns der Herrschaft der Lügen unterwerfen, dass wir sie nicht die maskieren und nicht täglich gegen sie protestieren. Wir stellen sie nicht richtig, wir schweigen, wir tun so, als akzeptieren wir sie. Das heißt aber, dass wir in der Lüge leben.“  Und: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, denn mehr können sie nicht tun«.

Ende August 1983 Auftritt Minister  Rakowski auf der Leninwerft. Er wird mit Buhrufen empfangen und wird aggressiv, beschimpft Auch der einfache Arbeiter Walesa darf reden und fordert den Dialog. Eine zurechtgeschnittene Fassung erscheint  im Fernsehen. Kurz darauf Fernsehsendung „Das Geld“, in der Walesa und sein Bruder als korrupte Raffzähne dargestellt werden. Diese Aktion kommt  schlecht an, denn Lech wird kurz darauf im Stadion von Danzig von 40.000 Menschen gefeiert.

Am 5. Oktober 1983 Verleihung des Friedensnobelpreises. Lech wünscht, dass seine Frau und sein Sohn den Preis in Oslo entgegen nehmen sollen und dass Th. Mazowiecki die Hauptrede halten soll (der bekommt aber keinen Pass). In Danzig lauscht Walesa zusammen mit seinen Mitarbeitern  der im Radio übertragenen Friedensnobelpreisverleihung.

Walesa geht mit seinem gesteigerten Prestige als Nobelpreisträger vorsichtig um. Anfang 84 Amnestie für politische Gefangene, zugleich aber auch aufsehenerregende Verhaftung von Bogdan Lis wegen Landesverrats. Die Amnestie gegen elf führende Aktivisten erfolgte nur, um öffentliche Prozesse zu vermeiden. Bei den kurz darauf stattfindenden Kommunalwahlen enthalten sich 6-10 Millionen Polen der Stimmen. Wie wies man die Wahlteilnahem öffentlich nach?)

Ende Oktober Ermordung von Pater Popieluszko Am 2. November 1984 Beerdigung Popieluszkos mit Delegationen aus dem ganzen Land, überall Fahnen der Solidarität, An seinem Grab verspricht Lech die Kampf um die Verbesserung der polnische Verhältnisse in seinem Sinne vorzuführen. Die Lage ist unübersichtlich, der gewaltfreie Widerstand im Untergrund nimmt zu, Walesa verweigert sich der Kollaboration mit dem Regime. Mit dem Tod Popieluszkos, dessen Aufklärung nicht beschrieben wird, endet das Buch.

 

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