So wie die gegenwärtige Wirtschaftswisssenschaft vom Ausbruch der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 völlig überrascht wurde, so stand auch die Ökonomie der Zwanziger und Dreißiger Jahre der Großen Depression von 1929ff. zunächst vollkommen fassungslos gegenüber. Massenarbeitslosigkeit und Überproduktion, Phänomene, die es nach der klassischen Nationalökonomie eigentlich gar nicht hätte geben dürfen, führten in Deutschland, Italien, Spanien und zahlreichen anderen Ländern zum Zusammenbruch der Demokratie, und selbst in den USA war es eine Zeitlang nicht ausgemacht, dass die größte Demokratie der Welt diese Krise unbeschadet überstehen würde.
Mitten in dieser Krise erschien John Maynard Keynes „General Theorie of Empolyment, Money and Interest“, für Lakachman das neben der „Traumdeutung“ von Freud das epochalste Werk des 20. Jhdts, was keinesfalls übertrieben sein dürfte. Denn mit der „General Theory“ bot Keynes eine vorkommen neuartige Erklärung der Großen Krise nebst einer Therapie, die nach dem zweiten Weltkrieg als nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik“das Handeln der meisten hochentwickelten Industrienationen prägte.
Robert Lekachman hat es unternommen, Leben und Werk von John Maynard Keynes für ein breites Lesepublikum so aufzubereiten, dass seine Prämissen und Schlussfolgerungen auch ohne besondere ökonomische Vorbildung verstanden werden können. Wer sich auch nur ein wenig Mühe gibt, für den werden nach der Lektüre „Makroökonomie“ und „Liquiditätsfalle“, „Konsumfunktion“ und „deficit spending“ „Multiplikatoreffekt“ und „Zahlungsbilanzdefizit“ und vieles andere mehr keine böhmischen Dörfer mehr sein. Ein besonderer Vorzug des Buches liegt darin, dass diese und andere Theoreme nicht deduktiv referiert sondern immer in enger Anbindung an den keynesschen Lebensweges entfaltet werden. So ist eine bemerkenswerte Doppelbiographie von Leben und Werk entstanden, die sich zeitweise so spannend liest wie ein Wirtschaftskrimi. Am Ende entrollt sich für den Leser ein epochales Drama, in dem auf die Große Krise die Großen Theorie und schließlich der Große Interventionsstaat folgt. Ohne dass der keynesenthusiastische Autor dies ausdrücklich so formuliert, hat man fast das Gefühl als würde ein neuer Gott geboren, der wirtschaftspolitisch allwissende und allpotente sozialliberale Interventionsstaat, der in Krisen- und Flautezeiten mit seinen Defiziten so lange für künstliche Nachfrage sorgt, bis der Wirtschaftsmotor wieder anspringt (1. Teil des deficit spending ), um in den Zeiten des Booms diese Schulden dann wieder zurückzuzahlen (2. Teil des deficit spending). Sowohl in der Einleitung wie im Schlusskapitel „Triumph einer Idee“ preist der Autor den Keynesianismus wie eine neue Heilslehre, mit deren Hilfe „die Bändigung des einst so gnadenlosen Wirtschaftszyklus“ (S. 14) endlich gelungen sei.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute, möchte man sagen. Denn so akkurat und interessant der Autor die Entstehung, die Entfaltung und die unmittelbaren Folgen der keynesianistischen Wirtschaftspolitik bis in die frühen Sechziger Jahre beschriebt, so blind ist er für die Probleme und Folgen der theoretischen Adelung der Staatsverschuldung, die auch schon in den Fünfziger und Sechziger Jahren sichtbar wurden. Denn in Wahrheit wurde Keynes von den Politikern von Anfang an immer nur halbiert angewendet, d. h. es wurde fröhlich ausgegeben (deficit spending 1. Phase) aber nie gespart (deficit spending 2. Phase), so dass sich von Konjunkturzyklus zu Konjunkturzyklus ein immer höherer Berg von Staatsschulden ansammelte, dessen gigantisches Ausmaß heute in nahezu allen westlichen Wohlfahrtsstaaten die Gestattungsspielräume der Politik verschlingt. Siebzig Jahre nach Keynes ist die Massenarbeitslosigkeit schlimmer denn je, und der in die Wirtschaft hereinregierende Staat hat sich längst als eines der größten Wachstumshemmnisse der Gegenwart geoutet.
So ist Keynes tatsächlich Freud vergleichbar, allerdings anderes als dies der Autor meint. Denn obwohl Freud selbst alles andere als ein Apostel der sexuellen Libertinage war, haben seine Nachfolger seine Theorie so interpretiert, dass nichts gesünder für den Menschen sei fröhliches und unbekümmertes Herumvögeln. Und obgleich Keynes in seiner Theorie auf die Rückzahlung der Staatsschulden in Zeiten des Booms bestand, haben seine Nachfolger aus seiner Empfehlung zu zeitweiligen Defiziten einen Freibrief für hemmungsloses Schuldenmachen abgeleitet. Der Keynesianismus unserer Tage (der wegen des politischen Missbrauchs seinen Namen eigentlich zu Unrecht trägt) ist deswegen einer Medizin vergleichbar, deren Nebenwirkungen inzwischen so bedenklich geworden sind, dass der Patient an der Medizin zugrunde gehen könnte.
So ist das kenntnisreich und gut geschriebene vorliegende Buch aus heutiger Sicht rettungslos veraltet und eigentlich nur als eine (allerdings ganz ausgezeichnete ) Einführung in die Grundzüge der keynesianistischen Lehre zu empfehlen. Im Hinblick auf seine Blindheit gegen die unbeabsichtigten Folgen dieser Theorie ist es allerdings von einer geradezu erschütternden Naivität.