Lottmann: Sterben war gestern.

Kann sich noch jemand an Heiner Geißler und Rita Süssmuth erinnern? Richtig, das waren Politiker der Union, die ihre starke öffentliche Präsenz dem Umstand verdankten, dass sie ihren eigenen Parteigenossen regelmäßig und kräftig vor das Scheinbein traten. Den tonangebenden Zeitungen und den öffentlich rechtlichen Medien  Mainstream galten sie als „fortschrittlich“ und  „modern“, weil sie anders als ihre Parteifreunde stets hart am Wind des medialen Mainstreams  segelten.

Bei dem Schriftsteller  Joachim Lottmann verhält es sich genau umgekehrt. Er verdankt einen Großteil seines literarischen Erfolges der Tatsache, dass er als Teil des linksliberalen Mainstreams diesen Mainstream kräftig veralbert. Aber im Unterschied zu Heiner Geißler und Rita Süßmuth, deren mediale Reputation mit jeder Attacke auf die eigene Partei stieg, ist das bei Joachim Lottmann anders. Denn der linksliberale Mainstream ist ungleich mächtiger als die gute alte Kohl- und Schäuble-Union. Er ist nicht nur humorlos, sondern so mächtig, dass er seine Kritiker  und Verächter jederzeit mit  Ausgrenzung und „Shitstorms“ bis hin zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz züchtigen kann.  Womit wir beim Thema wären: bei Joachim Lottmans neuem  Roman „Sterben war gestern. Aus dem Leben eines Jugendforschers.“

Natürlich macht Lottmann das Schreiben unter dem Damoklesschwert der politischen Korrektheit  nicht explizit zum Thema.  Vordergründig geht es um  ganz andere Sachverhalte. Joachim Lottmanns Hauptfigur und alter ego Johannes Lohmer führt ein literarisches Tagebuch über das Coronajahr 2020, sammelt Daten über die „Generation Greta“, wundert sich über die Unmöglichkeit einer Kommunikation zwischen den  Generationen und über die Absonderlichkeiten staatlicher Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie.  Obwohl er sich selbst als gut vernetzten Teil des linken Mainstreams  sieht und „sein Leben lang grün gewählt hat“, unterlaufen ihm jedoch beständig politisch unkorrekte Äußerungen, die sein linkes Milieu ärgern und  auf Dauer sein beruflichen Fortkommen gefährden. Schon Lohmers Selbstpräsentation am Anfang des Buches hat es in sich: „Ich war ein armer, berühmter Autor und kein wohlhabender Hartz-IV-Empfänger mit fünf Kindern und Schwarzarbeit.“ Über Lohmers Gattin, ein erfolgreiche, linke Journalistin heißt es: „Ihre Methode war es, für linke Meinungen eine neue, gegenwärtige Wirklichkeit zu suchen. Das war ein Knochenjob, vergleichbar mit dem Suchen von Goldkörnchen im Mahlsand peruanischer Bergtäler. Ich kannte niemanden sonst, der sich das noch abverlangte.“  Das ganze Buch ist voller solcher Flapsigkeiten, die  Johannes Lohmer überkommen wie eine zwanghaft schlechte Angewohnheit, für die er sich selbst zur Ordnung ruft:  „Nicht mehr meine Karriere als linksliberaler Schriftsteller gefährden, indem ich mich durch Gedanken unbeliebt machte, die auch Verschwörungstheoretiker haben konnten“, nimmt er sich vor. Und: „Nie mehr anzweifeln, was in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG stand und vor allem in der ZEIT.“

Aber es will nicht gelingen. Als unterläge er einem ideologische Tourette Syndrom tritt Johannes Lohmer in ein Fettnäpfchen nach dem nächsten und ruft die „Hater“ in den sozialen Medien auf den Plan. Wie weit seine Ausgrenzung schon gediehen ist, merkt Lohmer, als ihn die linke Trauergemeinde beim Begräbnis seines Bruders schneidet. Ganz schlimm wird es, als eines seiner Bücher sogar in der rechtslastigen JUNGEN FREIHEIT“ enthusiastisch besprochen wird. Am Ende spitzt sich das wirtschaftliche Wohl und Wehe der Hauptperson auf die Frage zu, ob er seinen langjährigen Freund Peter Laub auf Druck seines linken Umfeldes „entfreunden“ soll. Kenner der Szene werden diese Passagen mit besonderem Interesse lesen, weil es sich  bei Peter Laub um niemanden anderen als um den ehemaligen STERN-, SPIEGEL- und WELT-Journalisten Matthias Matusek handelt, der sich der Linksdrift des Mainstreams widersetzte und seitdem im Fadenkreuz erbarmungsloser Shitstorms steht. Nicht jeder Leser wird diese Anspielungen durchschauen, nicht zuletzt, weil Lottmann es liebt,  seine Figuren hinter Fantasienamen zu verstecken oder Merkmale mehrerer Akteure in einer fiktiven Gestalt zusammenzufassen.  Nur ganz selten wird er so deutlich wie  in seinem Resümee nach der erzwungenen „Entfreundung“, als er das Drehbuch der Ausgrenzung begreift. „Es ging über die Person“, notiert er. „Wer hatte Kontakt mit wem? Wie im Stalinismus. Du hast mit jemandem telefoniert, der jemanden kennt, dessen Frau einen Witz über Stalin gemacht hat. Deshalb wirst du jetzt erschossen.“

Wohlgemerkt, dergleichen Deutlichkeiten sind wohldosiert und über das ganze Buch in einem kunterbunten Literatentagebuch mit so vielen Übertreibungen verstreut, dass den Leser der Verdacht beschleicht, mitunter sei das Gegenteil des Gesagten intendiert. „Ich weiß nicht, ob ich das schon gesagt habe“, heißt es etwa an einer Stelle über Gregor Gysi. „Ich hielt ihn für den nettesten Menschen, der je auf der Erde lebte. Das meinte ich wirklich. Er war in meinen Augen so nett wie Jesus, aber klüger und nicht so esoterisch wie dieser.“ Über den österreichischen Bundeskanzler Kurz heißt es: „Wie aus dem Ei gepellt erschien er jeden Morgen als Erster zum Dienst. Alles an ihm strahlte Ästhetik und Schönheitssinn aus. Er duftete, strahlte, war sicherlich frisch gebadet, trug perfekte Anzüge und ausgesuchte Krawatten.“

Unübersehbar übertrieben, aber in ihrer Drastik nicht minder beeindruckend ist die finale Szene des Romans, in der Johannes Lohmer bei  Ulrike Kruke, der neuen Chefin der taz-Online-Redaktion, antichambriert. Natürlich existiert keine Ulrike Kruke, und die die nachgezeichnete Gesprächssituation ist karikiert bis an die Grenze des Realitätsverlustes.  Von wirtschaftlichen Existenzängsten geplagt, wirft sich der „berühmte Autor“  der Redakteurin derart auf den weltanschaulichen Bauch, das man das Buch schräg halten muss, um zu verhindern, dass der Schleim heraustropft. Aber am Ende ist der ideologische Canossagang von Erfolg gekrönt.  „Ich durfte wieder für die taz schreiben“, jubelt Lohmer. „Und indem ich für sie, die linke taz, schrieb, konnte ich auch wieder für die rechte WELT schreiben, ohne gleich als Nazi zu gelten. Mein altes Geschäftsmodell.“

Mit einer grotesken Lobhudelei auf Angela Merkel endet das Buch und lässt den Leser gut unterhalten, wenngleich ein wenig ratlos zurück.  Als literarisches Tagebuch über das Coronajahr 2020 und die Generation Greta ist es von mäßigem Interesse. Als implizite Kritik an der linkskonformistischen Literaturszene dagegen besitzt es etwas Subversives, von dem der Autor, typisch Lottmann, wahrscheinlich abstreiten würde, dass es so gemeint gewesen ist. Aber darin liegt gerade die Pointe der Lottmann´schen Mimikri. In Gestalt seiner unbedarften Kunstfigur Johannes Lohmer hat er einen widerständigen Harlekin geschaffen, der die  Mär vom unabhängigen Schriftsteller in der Merkelära dekuviert. Dass ein solches Buch in einem renommierten Verlag wie Kiepenheuer und Witsch erscheinen konnte, spricht immerhin dafür, dass die literarische Freiheit in Deutschland noch eine Chance hat.

 

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