Marshall: Die Macht der Geographie.

Das vorliegende Buch ist absolut lesenswert, wenngleich es in der deutschen Übersetzung mit dem falschen Titel daherkommt. Denn es geht bei dieser tour d´horizon durch die Welt des frühen 21. Jahrhunderts nicht nur um die „Macht der Geographie“, sondern mindestens ebenso sehr auch um die Macht der Geschichte. Aus diesen beiden Blickwinkeln entfaltet der Autor  eine politische Weltkunde der Gegenwart in zehn Kapiteln über Australien, Griechenland, die Türkei, Saudi Arabien, die Sahel Zone, Großbritannien, Äthiopien, den Iran und den Weltraum. Bei diesen Darstellungen werden  auch die innenpolitischen Problemlagen nicht ausgespart wie das Kapitel über Saudi Arabien verdeutlicht. Was den meisten Leser zum Beispiel neu sein wird, ist, dass vier Fünftel der Grundwasservorräte Saudi Arabiens bereits aufgebracht sind  und dass eine gigantische Wasserversorgungskrise auf das Land zuläuft. Saudi-Arabien, so Marshall, ist zwar der fünft- oder sechstgrößte Stromverbraucher der Welt, doch weil  jedwede Energie mit Öl erzeugt wird, geht ein Großteil der Förderung für den  Eigenverbrauch drauf. Der Leser lernt, dass Griechenland bei einem Verlust der Ägäisinseln von der Türkei existentiell bedroht wäre, woraus sich der enorme Anteil der griechischen Verteidigungsausgaben am Staatshaushalt erklärt.  Allerdings hat es sich die Türkei, so der Autor, mit ihrer expansionistisch-chauvinistischen Politik längst mit allen Mittelmeeranrainern  (vor allem mit Ägypten) verdorben. Die Situation des Irans ist geografisch begünstigt, denn das Land ist von einem Gebirgsgürtel umgeben, der jedes Eindringen mit Bodentruppen zu einem unkontrollierbaren Abenteuer machen würde. In der Sahelzone herrscht buchstäblich die Apokalypse, genauer gesagt: die Tze Tze-Fliege, ein verseuchter Regenwald und eine  eskalierende Gewalt, die ganze Staaten verschlingen. In Äthiopien drohen „Wasserkriege“ mit den Nachbarn. Im letzten Kapitel geht es um den Weltraums und die Herrschaft über die GPS Zonen, deren Kontrolle die Weltherrschaft verheißt.

Das sind nur einige der zahlreichen Denkansätze, die in ihre Gesamtheit ein komplexeres Bild der Welt ergeben. Jenseits von solchen Verirrungen wie „feministische Außenpolitik“ und No Border-Schwachsinn zeigen sie eine Welt, in der die Existenz und Verteidigungsfähigkeit  der Staaten eine Funktion der  Geografie, sprich: der Geopolitik, ist.  Eine beunruhigende Perspektive, wenn an Deutschland denkt, eines der reichsten, geografisch und militärisch wehrlosesten Länder der Welt.