In dem Hollywoodfilm „Matrix“ gibt es eine Szene, in der Keanu Reeves als Neo seinen Gefährten fragt: „Kennst du das Gefühl, wenn du nicht weißt, ob du wach bist oder noch träumst?“ Mit diesem Zitat beschreibt Matthias Matussek in dem vorliegenden Buch seine Empfindungen, als Deutschland ab 2015 begann, sich schlagartig zu verändern. Die muslimische Massenzuwanderung, die Hysterisierung der öffentlichen Moral und die Stigmatisierung der migrationskritischen Opposition kamen ihm vor wie ein Albtraum. Doch es war die Wirklichkeit. Der gesunde Menschenverstand hatte abgedankt, die Epoche des „mehrheitsfähigen Irreseins“ war angebrochen.
Und suchte sich seine Opfer. Nicht zuletzt den Star-Journalisten Matussek selbst, der am 17.11.2015, nur wenige Wochen nach dem Beginn der Grenzöffnung wegen eines kritischen Tweeds zu einem islamistischen Terroranschlag vom Springer Verlag spektakulär gefeuert wurde.
Kaum jemand war überraschter über diesen Rausschmiss als der Autor selbst, und das vorliegende Grundgefühl des ungläubigen Staunens ist sogar in dem vorliegenden Buch noch spürbar. „White Rabbit oder der Abschied vom gesunden Menschenverstand“ ist der Versuch, dieses Staunen hinter sich zu lassen und sich der außer Rand und Band geratenen Wirklichkeit mit dem gesunden Menschenverstand zu nähern. Fast fühlt man sich an die Verfremdungen in Montesquieus „Persischen Briefen“ oder die Betrachtungen des Südseehäuptlings Papalagi erinnert, wenn sich Matussek nüchtern und ohne Willkommenseuphorie die Fernsehauftritte der Kanzlerin, die moralische Selbstüberhöhung der Schicki-Micki-Gesellschaft oder die Teddybärenwerfer der „Schneeflöckchengeneration“ vornimmt. Über all das Kuriose und das Durchgeknallte, dem der Autor die Welterlösungstünche entzieht, könnte man erschrecken, wenn es Matussek nicht gelingen würde, die Phänomene zugleich auch in ihrer Lächerlichkeit zu dekuvrieren.
So geht es dem Leser wie dem Autor – er staunt, ist empört und verwundert und weiß an vielen Stellen nicht, ob er lachen oder weinen soll – über die studentische Linke, die „infantilisiert, verkümmert, total verblödet“ ist, über die Verlogenheit der Kirchen, „wenn sie Demonstranten das Licht abstellen – und nebenbei verschweigen, wie gut sie verdienen an der Flüchtlingskrise“ oder über den Islam, „gegenwärtig die wohl fremdenfeindlichste Ideologie auf unserer Erde“. Matusseks Befund ist eindeutig: im Septembererlebnis von 2015, das er mit der Augusthysterie von 1914 vergleicht „hat der deutsche Totalitarismus eine Achsendrehung `ins Gute´ genommen.“
Das ist pointiert und nachvollziehbar formuliert, ist aber im Kontext des vorliegenden Buches trotzdem nur Beiwerk. Matusseks Hauptanliegen ist eine Kritik des deutschen Journalismus, der in den fraglichen Jahren seit 2014 ein geradezu unterirdisches Bild abgegeben hat. Aus der Vielzahl der journalistischen Verfallserscheinungen, die Matussek zur Sprache bringt, sei nur auf einige Aspekte verwiesen.
Fragen der Migration waren immer schon heikel gewesen, schreibt Matussek, aber plötzlich war es aber überhaupt nicht mehr möglich, über die Probleme der Masseneinwanderung und die Gefahren der Islamisierung offen zu diskutieren. Diese Beobachtung ist nicht neu, wohl aber der Hinweis auf die Tradition, in der diese Entwicklung steht. Denn, so Matussek, bei der Verabschiedung der UN-Deklaration zur Meinungsfreiheit im Jahre 1948 waren es die „sowjetischen Delegierten, die darauf bestanden, dass eine besondere Klausel einzufügen sei, die intolerante Meinungen verbieten sollte.“ Die Journalisten, die auf der Frankfurter und Leipziger Buchmesse „rechten“ Verlagen die freie Meinungsäußerung verbieten wollen, befinden sich also bester stalinistischer Gesellschaft.
Gegenüber solchen Exzessen linker Intoleranz wäre es die Aufgabe der „Qualitätszeitungen“ gewesen, die Maßstäbe wieder zurechtzurücken. Aber diese „Qualität“ gehört nach Matusseks Meinung der Vergangenheit an. Am Beispiel der WELT beschreibt er den Aufstieg von „Heldentenören“, die schamlos und beflissen das Hohelied der Regierung singen – prototypisch verkörpert durch Ulf „Dr. Pop“ Pochardt, ein „journalistisches Leichtgewicht“, das nach einer holprigen Karriere zur WELT kam und dort mit Artikeln wie „Wir müssen mutiger, intelligenter und schwuler werden“ glänzte. Was Matussek dem Chefredakteur der WELT, aber auch den Blattmachern von SPIEGEL, STERN und anderen „Qualitätsmedien“ in besonderer Weise übel nimmt, ist ihre geistige Selbstgleichschaltung – getreu dem Motto von Gilbert K. Chesterton „Wir brauchen keine Pressezensur. Die Presse ist die Zensur.“
Ein weitere, besonderes unappetitliche Negativinnovation kommt hinzu: „Ganz eigene, durchaus kreative Echoräume haben sich da aufgetan für diejenigen, die Flüchtlingspropaganda auf Staatslinie betrieben und jederzeit für Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bereitstehen“, notiert Matussek. Eine Sykophantenszene ist entstanden, deren Geschäftsmodell darin besteht, zum eigenen Nutzen Kollegen zu denunzieren und ihrer wirtschaftlichen Existenz zu berauben. Wer die Perfidität kennt, mit der Jung-Autoren wie Liane Bednarz und Christoph Giesa vermeintlich „rechte“ Journalisten wie Matussek, Klonovsky, Kelle und andere kampagneartig verfolgen, wird dem Autor an dieser Stelle uneingeschränkt rechtgeben müssen.
Man sieht, journalistische Alphatiere in den Mainstreammedien bekommen ebenso ihr Fett weg wie die Denunzianten, die an die Tröge des Literaturbetriebes drängen. Konsequent verweigert Matussek den „Kampf gegen rechts-Kotau“ und die Anprobe irgendwelcher Scheuklappen. In dem vorliegenden Buch diskutiert er mit Winfried Kretschmann und Martin Schulz ebenso wie mit AfD Mitgliedern und dem identitären Autor Martin Lichtmesz. „White Rabbit oder der Abschied vom gesunden Menschenverstand“ dokumentiert eine weltanschauliche Offenheit zwischen TITANIC und TUMULT, SPIEGEL und JUNGER FREIHEIT, für die der Autor wahrscheinlich ein Alleinstellungsmerkmal beanspruchen kann.
Auch an Matusseks Prognose über den weiteren Gang der Dinge werden die Kollegen von der Mainstreampresse wenig Freude haben. “Ich glaube, der Wind hat sich gedreht“, resümiert Matussek am Ende des Buches. Der „linke Theorie-Tinnef“ wird über kurz oder seine kulturelle Hegemonie verlieren und endlich den Weg für offene gesellschaftliche Debatten frei machen.
Ob Matussek hier nicht ein wenig zu optimistisch ist, muss am Ende offen bleiben. Das vorliegende Buch leistet aber zweifellos einen Beitrag in diese Richtung. Oder, um zu Neo aus dem Film „Matrix“ zurückzukehren, es ist ein weiterer Augenöffner, der dazu beiträgt, den Albtraum zu beenden.
EINE NACHBETRACHTUNG DREI JAHRE SPÄTER Ich habe mir angewöhnt, mir zu allen Büchern, die ich lese, Notizen zu machen. Wenn es gute Bücher sind, lohnt es sich auf jeden Fall. Sind es schlechte, braucht man sie nicht zu lesen. 2018 habe ich das Buch „White Rabbit“ von Matthiass Matussek sehr genau gelesen und exzerpiert. Es hatte mir schon damals gut gefallen, aber im Rückblick von nur wenigen Jahren wird jetzt mir klar, dass der Autor damals in erstaunlicher Hellsichtigkeit und Klarheit als Augenzeuge und Betroffener zugleich eine Wendezeit beschrieben hat, von der die meisten sich damals noch gar nicht vorstellen konnten, zu en, zu welchen Exzessen sie noch führen sollte. Heute, da wir uns fast an die FFF-Idiotie, die „Black Lives Mater“- Hysterie und die identätspolitische Verwüstung der Medien und Universitäten gewöhnt haben, erscheint das Buch und seine unerschrockene Diktion fast wie ein Relikt aus einer anderen, weit zurückliegenden Zeit. Aber nein, es ist gerade mal drei Jahre her. Grund genug, noch einmal in meinen damaligen Exzerpten zu lesen und sich zu wundern, wie vollständig die Gesellschaft kippte.