Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft

Weber Wirtschafft und GesellschaftNur drei Menschen haben Wirtschaft und Gesellschaft“ von Max Weber gelesen. Der erste ist danach wahnsinnig geworden, der zweite hat alles wieder vergessen und der dritte bin ich, und mir geht es auch schon ganz schlecht. Das ist natürlich nur ein Scherz, er zeigt aber, von welchem Kaliber das vorliegende Hauptwerk des großen Soziologen Max Weber (1860-1919) ist. Es ist ein unredundantes Universalkompendium der Soziologie, in dem der Weber in extrem verdichteter Begriffsbildungsprosa alles sagt, was es über Staat und Gesellschaft, Wirtschaft, Recht und Herrschaft an Grundsätzlichem zu sagen gibt. So wie es heißt, dass alle Philosophie nur Fußnoten zu Plato seien, so könnte man genau so behaupten, das alle Soziologen der letzten einhundert Jahre Epigonen waren, die die grundlegenden Denkansätze Webers weiter ausbauten.
„Wirtschaft und Gesellschaft“ umfasst fast 1000 dicht bedruckte Seiten und zahlreiche Kapitel, von denen jedes einzelne mehr Substanz enthält als ein normales Buch. Im 1. Kapitel, der „Soziologischen Kategorienlehre“ geht es um die elementaren Beziehungen, um soziales Handeln, Brauch und Sitte, um Kampf und Macht, um Betrieb, Staat und Kirche. Kapitel II beschäftigt sich mit den „Soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens“, um Tausch und Markt, Arbeit und Geld. Die bekanntesten Passagen von „Wirtschaft und Gesellschaft“ thematisieren das Phänomen der Herrschaft ( Kapitel III und IV ), bei deren Analyse Weber die „traditionelle“, „legale“ und „charismatische“ Herrschaft untersucht, aber auch Gewaltenteilung, Parteien, Verbände, Stände und Klassen Es folgt eine umfangreiche, historisch angereicherte Wirtschaftssoziologie unter besonderer Berücksichtigung der Familien- und Rechtsverbände sowie eine Religionssoziologie, in der Weber nicht nur die Entstehung der Religionen sondern auch die Typen des Religiösen wie „Zauberer“, „Priester“, „Prophet“ und „Heiliger“ fixiert, um am Ende die Rolle der Religion „in der Welt“ zu fixieren. Das wäre an sich schon mehr als genug für ein ganzes Lebenswerk, aber nun beginnt mal gerade erst der zweite Halbband des Buches. Er bietet gleich drei große Entwürfe in einem, eine Rechtssoziologie, eine Staatssoziologie und eine Herrschaftssoziologie, die in Erörterungen zur Führerauslese innerhalb der parlamentarischen Demokratie mündet.
So weit so imposant. Nun aber die Warnung. Diese Soziologie der modernen Welt, die Weber in Wirtschaft und Gesellschaft bietet, kommt nicht heiter und gefällig daher. Sie ist in einer erschreckenden begrifflichen Dichte und einer Präzision des sachlichen Zugriffs verfasst, die dem Leser das letzte abverlangt. Webers Darlegungen besitzen den Charme eines Telefonbuches, sind aber an Präzision nicht zu übertreffen. So ist dieses Buch ein echter Erzieher, es zwingt den Leser unter das Joch des klaren Denkens, es bläst ihm die Flausen aus dem Kopf und füllt denselben mit glasklar definierten Begriffen. So wie man gesagt hat, niemand, der einmal wirklich geliebt wurde, könne je wieder ganz unglücklich sein, könnte man auch behaupten, jeder der einmal Max Weber gelesen hat, kann nie mehr ganz blöde sein. Also ran, und nicht verzweifeln, wenn die Lektüre ein paar Jahre dauert.Weber Wirtschafft und Gesellschaft

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