Mekhennet: Nur wenn du alleine kommst

Zu den unerfreulichen Erscheinungen des Gegenwartsjournalismus gehört der Haltungsjournalismus. Darunter versteht man einen Skribenten, der die Wirklichkeit willentlich nach seinem eigenen Gusto verzerrt, der  epidemische Problemen zu Einzelfällen herunterdimmt und der aus Einzelfällen allgemeine Tendenzen konstruiert. Er macht nicht nur seine Leser zu Gefangenen seiner begrenzten Weltsicht sondern auch sich selbst zum Opfer des Brettes, das er sich stolz und freiwillig vor den Kopf hält. Die Autorin Souad Mekhennet ist genau das Gegenteil einer Haltungsjournalistin. Obwohl sie mit ihrer Wertvorstellungen keinesfalls hinter den Berg hält, beschreibt sie in dem vorliegenden Buch genau das, was sie sieht und überlässt es dem Leser, seine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen.

Souad Mekhennet wurde 1978 als Tochter türkischer und marokkanischer Eltern geboren. Sie wuchs in Deutschland auf und absolvierte eine erstaunliche journalistische Karriere, wobei sie nicht verschweigt, dass ihr das Anderssein als Frau und Muslima in Deutschland  mitunter durchaus Probleme bereitete. Als überzeugte Vertreterin eines friedlichen Islams entwickelte sie aber bald ein feines Sensorium für die ungelösten Probleme europäischer Parallelgesellschaften, ohne dass sie jene Opferhaltung kultivierte, die für viele gescheiterte Zuwandererexistenzen so charakteristisch ist. Aus ihrem Lebensweg lässt sich gleich ein Mehrfaches lernen.

  • Erstens, dass zahllose Muslime keineswegs Anhänger eines radikalen Islams sind, sondern sich um die Integration in die Gastgesellschaft bemühen.
  • Zweitens, dass die Vorbehalte der Gastgesellschaft überwindbar sind, wenn auf Seiten der Migranten der Wille und die Fähigkeiten vorliegen, sich für alle sichtbar in die Gastgesellschaft zu integrieren.
  • Drittens, dass diese Fähigkeiten aber gerade bei vielen Muslimen begrenzt sind – mehr noch, dass sie durch eine erstaunliche Anspruchshaltung konterkariert werden. Immer wieder kommt die Autorin auf die Weigerung vieler muslimischer Zuwanderer zu sprechen, sogenannte „ehrenrührige“ (einfache) Arbeiten auszuüben.  Ohne dass die Autorin es ausdrücklich sagt, wird anhand ihrer Darstellung der verblüffende Sachverhalt deutlich, dass Deutschland als Gastgesellschaf eine große Zahl von Menschen ins Land gelassen hat, die beruflich nur für einfache Tätigkeiten qualifiziert sind, sich aber aus  Gründen von Stand und Ehre weigern, gerade diese Tätigkeiten auszuüben.
  • Viertens: Selbst wenn der Wille zur Anpassung besteht, erleben viele Zuwanderer die Abstoßungseffekte der Gastgesellschaft (die es leider als soziologisches Universal in allen Gastgesellschaften gibt) sehr schnell als übermächtig und geben auf. Auf diese Weise kommt ein Prozess der Entfremdung in Gang,  der manche in den Alkoholismus, die Kriminalität oder den  Terrorismus führt.  Die Gescheiterten, Gewalttätigen und Kriminellen der muslimischen Parallelgesellschaften sind also in gewisser Weise Opfer einer für die viele Muslime aufgrund ihrer Religion, Mentalität und beruflichen Qualifikation unlösbaren Integrationsherausforderungen. Kritisch zu dieser Perspektive muss allerdings angemerkt werden, dass diese Integrationsherausforderungen auch für Vietnamesen, Russlanddeutsche oder Polen bestehen, von ihnen aber viel besser gemeistert werden.

Gerade weil die Autorin muslimische Gesellschaften und Mentalitäten sehr gut kennt, kann sie auf der anderen Seite nur den Kopf schütteln  über die  Blauäugigkeit westlichen Regierungen, die Hunderttausende junger muslimschere Männer mit diesen Dispositionen ungeprüft ins Land lassen. Als sie  sich im Herbst 2015 in der Wiener Bahnhofsgegend aufhält, beobachtet sie bei weitem nicht nur Flüchtlinge, sondern auch jede Menge Personen mit ganz anderen Motivationen: Wirtschaftsmigranten, Kriminelle, Terroristen, Angehörige arabischer Milizen oder einfach nur Entwurzelte auf der Suche nach ihrem Glück. Nicht alle, aber einige von ihnen, betrachten die deutsche oder die österreichische Gesellschaft durchaus als Beute- oder Missionsgebiet. Völlig unbegreiflich ist der Autorin, warum die Regierungen gegen den offensichtlichen kriminellen Passhandel,  gegen Menschenhandel und Flüchtlingsgewalt nicht stärker vorgehen, denn diejenigen, die am meisten darunter zu leiden haben, ist die Mehrzahl der Muslime die sich an Recht und Gesetz hält.  In ihren Gesprächen mit radikalisierten Dschihadisten hört sie immer wieder die  gleiche Leier von der blutigen Schuld der Kolonialmächte, von dem gerechtfertigten Kampf der Muslime gegen ihre weltweite Unterdrückung und von dem Hass, der sich gegen Jedermann in den Gastgesellschaften richtet, weil es unter den Ungläubigen keine Unschuldigen geben kann. Für ihre Hinweise auf die Friedlichkeit des Islams oder auf ihren eigneen beispielhaften Lebensweg als Brückenbauerin zwischen den Fronten haben ihre radikalen Gesprächspartner nur  Kopfschütteln und Unverständnis übrig.  Bei ihrem Besuch in Bahrein diskutiert die Autorin mit der sogenannten „demokratischen Opposition“ und stellt fest, dass die Angehörigen dieser demokratischen Opposition ihren Rassismus und ihre Ausgrenzung gegenüber den  südasiatischen Gastarbeitern im Land  mit bestem Gewissen ausleben.

Was aber ist zu tun? Hier bleibt die Autorin bedauerlicherweise sehr  vage. Sie verlangt zwar eine Reform des Islams, lässt aber gerade die brisanten und gewalttätigen Suren und Hadhite, die den Islamisten als Legitimation dienen, unerwähnt.  Auch das beunruhigende und weit über den Bereich des gewalttätigen Islamismus hinausreichende Sympathiepotenzial der schweigenden muslimischen Mehrheit zugunsten eines kämpferischen und intoleranten Islams bleibt bei ihr gänzlich unterbelichtet. Sie appelliert an das allgemein-Menschliche und verweist etwas emphatisch auf die Universalität des Schmerzes, die ein islamisches, christliches oder jüdisches Mutterherz gleichermaßen zerreißt, wenn eines ihrer Kinder stirbt. Unwillkürlich fallen dem Leser dabei die zahllosen Videos stolzer Dschihadistenmütter ein, die die Bilder ihrer toten Söhne wie Ikonen verehren.

So liegt der Wert dieses Buches weniger in der Therapie als in der detaillierten Nahaufnahme der  Sackgasse, in die die muslimische Masseneinwanderung der letzten 50 Jahre die europäische Gesellschaft geführt hat. Immerhin tut es gut, das Buch einer gebildeten, demokratisch gesinnten Muslima zu lesen, die eine Lanze für ihre ehrlichen Landsleute bricht, sich aber auch nicht scheut, die Integrationsproblem klar zu benennen, die sich gerade aus der Besonderheit aus dem Islams ergeben.

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