Im Tennis gibt es den Begriff des „One Slam Wonders“, womit gemeint ist. dass es einem Spieler mehr aus Glück oder Zufall gelungen ist, ein Gran Slam Turnier zu gewinnen, dass er aber unfähig ist, diesen Erfolg zu wiederholen. Noch bekannter ist dieser Umstand in der Literatur. Ein Autor landet einen Riesenerfolg – und das wars. Es folgt entweder kein zweites Buch, oder dieses Buch wird ein Flop. Bekanntestes Beispiel dafür ist der amerikanische Schriftsteller Charles Frazier, der nach „Unterwegs nach Cold Mountain“ mit „Dreizehn Monde“ einen der größten Misserfolge der neuern Literaturgeschichte landete. Ähnlich erging es Yann Martell mit „Schiffbruch mit Tiger“ oder Jonathan Littell mit „Die Wohlgesinnten“. Ganz gleich, wie berechtigt oder unberechtigt diese Misserfolge gewesen sein mögen – erst mit dem zweiten Buch erweist es sich, ob einem Autor wirklich der Durchbruch gelungen ist. Das vorliegende Buch IST das zweite Buch von Philipp Meyer, dessen Erstling „Rost“ eine Riesenüberraschung und ein Riesenerfolg war. Und auch wenn ich mich jetzt etwas aus dem Fenster lehne: Dieses „zweite Buch“ über den „ersten Sohn“ ist noch besser
Es handelt sich, um nicht mehr und nicht weniger als die Geschichte des amerikanischen Bundesstaates Texas´ von der Einwanderung weißer Siedler, den Indianerkriegen und bis zur Entstehung der Ölindustrie – dargestellt vor dem Hintergrund einer weitverzweigten und multiperspektivisch erzählten Familiengeschichte. Eli McCullough, geboren 1836 im Jahr der Entstehung der texanischen Unabhängigkeit, ist „der erste Sohn“ dieses neuen Staates, zugleich der Ahnvater einer Dynastie, die über sechs Generationen hinweg die Geschichte dieses Bundesstaates prägen wird. Erzählt wird auf drei parallel entfalteten Schienen; aus der Sichtweise des Dynastiegründers Eli Cullough, dem „Colonel“, der als Kind von den Comanchen entführt wird, aus der Perspektive seines Sohnes Peter McCullough ( geboren 1870), der als Rinderbaron am Beginn des 20. Jhdt. die Unabhängigkeit des benachbarten Mexikos erlebt und aus den Rückblenden seiner Enkelin Jeanne-Anne McCullough (geboren 1926), die am 3.3.2012 in ihrem Rinderbaron-Palast verbrennt.
Das hört sich komplizierter an als es ist, denn das Buch ist auf jeder Seite mitreißend und packend erzählt, ganz gleich, ob man sich im Jahre 1844, 1915 oder mitten im 20. Jahrhunderts befindet. Gleich zu Beginn wird der Leser auf die unverblümte Tonlage des Buches eingestimmt, als die Comanchen die Familie des kleinen Eli überfallen, wobei Mutter, Schwester und Bruder bestialisch getötet werden und nur er selbst überlebt und als Tiehteti in den Stamm aufgenommen wird. Nicht minder schockierend ist die Darstellung der Gemetzel, bei dem der gleiche Eli/Tiehteti inzwischen achtzig Jahre später zum „Colonel“ geworden eine due mexikanischen Grundbesitzerfamilie der Garcias ausrottet.
Erstaunlich schnell wird der Leser mit der Figurenvielfalt der Familie bekannt, mit dem besagten Eli, mit seinem gutherzigen und skrupulösen Sohn Peter, der das Gemetzel an den Mexikaner nicht verhindern kann und mit Jeanne-Anne, der Erbin der Dynastie, die sich als frau in der Männerwelt der Ölbarone behaupten muss. So mäandert der literarische Fokus durch die Generationen, vom ersten Skalp, den der zum Indianer gewordene Eli/Tiehteti gewinnt, über den Niedergang der Comanchen-Stämme im Zuge von Pockenepidemien und dem Verschwinden der Bisons über die ersten Ölbohrungen auf dem Land der ermordeten Garcias bis zur Jeannies Internatszeit im regenreichen Osten, wo sie es nicht lange aushält. Den größten Raum innerhalb dieser dreifach erzählten Geschichte nimmt der „erste Sohn“ ein, der Titelgeber Eli/Tiehteti, den der Leser aus zwei Perspektiven kennenlernt, aus seinen eigenen Betrachtungen am Ende seines Lebens und aus der Perspektive seines Sohnes Peter McCullough, der seinen gnadenlosen Vater hasst. Eli/Tiehteti lebte als weißer Indianer bei den Comanchen und macht all das, was alle jungen Leute gerne tun: jagen, herumhängen und mit jungen Frauen schlafen. An der Grausamkeit der Indianer findet er zwar keinen besonderen Gefallen, stört sich aber auch nicht sonderlich daran. Erst nach drei Tagen unvorstellbarer Folterungen an einem gefangen weißen Bisonjäger verhilft er dem Opfer heimlich zum Tod. Ist es verwerflich, wenn der Leser nach der Lektüre dieser abstoßenden Passagen nur noch begrenztes Mitleid aufbringen kann, als die indianische Foltergemeinde kurz darauf elend an den Pocken zugrunde geht? Nur weil er mit der Prämie für einen zurückgekauften Weißen die letzten Comanchen eine Zeitlang über Wasser halten kann, geht Eli/Tiehteti widerwillig in die „Zivilisation“ zurück, wo weiter klaut, lügt und hurt, so immer es ihm möglich ist. Nur mit Glück entgeht er dem Galgen, als er sich den Texas Rangers anschließt. Mit ihnen streift er durch die Weiten des Westens und rettet die letzten Comanchen, indem er seine Texas Rangers bewusst in die Irre führt. Im amerikanischen Bürgerkrieg, in dem sich Texas auf die Seite der Konföderierten schlägt, befehligt er als Colonel ein Cherokee Regiment, was ihm weitere Möglichkeiten des Raubens und Mordens eröffnet. Zwischendurch hatte Eli Madelaine Black, die Frau eines Richters geheiratet, der sofort nach dem Bürgerkrieg wegen seiner Sympathien für den Norden in Texas ermordet wurde. Mit seiner Frau und den kleinen Kindern zieht er weiter nach Westen, erwirbt mit der Beute seiner Raubzüge Land und lernt die Garcias kennen, die er später ermorden sollte.
Die Geschichte von Peter McColough ist vor allem die Geschichte eines für texanische Verhältnisse aus der Art geschlagenen gebildeten Mannes, der den Mord an den Garcias nicht verwinden kann, und am Ende seine Heimat verlässt, um mit der überlebenden Garcia-Tochter in Mexiko zu leben und eine eigene, bessere Familie zu gründen.
Jeannies Geschichte gibt dem Roman, wenn man so will, seinen frauengeschichtlich-emanzipatorischen Touch, ohne den selbst große Romane offenbar nicht mehr auskommen. Sie beginnt unter den Fittichen ihres Großonkels Phineas mit der Erschließung neuer Ölfelder und lernt dabei ihren Mann Hank kennen, einen ungemein fähigen Erdölexplorateur, mit dem sie ein Familie gründet. Die Details aus der Geschichte der texanischen Ölindustrie, die der Leser dabei en passant erfährt, sind überaus aufschlussreich. So wäre etwa die Erschließung der texanischen Ölfelder ohne den neu entwickelten Hughsche Öhlborkern unmöglich gewesen – wieder eines der Beispiele für die Bedeutung technischer Innovationen für den Gang der Geschichte, die kaum bekannt sind (Mit der Baumwollentkörnungsmaschine und der Entstehung des Großen Südens verhielt es sich ähnlich). Ein anderes Beispiel: Ohne die Öl-Pipeline von Ost Texas nach New Jersey hätte 1944 der D Day ausfallen müssen. Mit der Entdeckung der ergiebigen Ölfelder im Orient in den Fünfziger Jahren geriet die texanische Ölindustrie allerdings in eine Krise, aus der sie nur neue Technologien und Teilhabe an der Ölerschließungen des Orients befreiten (Die Mauscheleien der Buschs und der Bin Ladens lassen grüßen). Am Ende erscheint eine Gestalt aus der tiefsten Vergangenheit und bringt den Roman zu einem überraschenden, vielleicht ein wenig abrupten Ende. Wer das ist, soll an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden.
Der stattliche Roman von immerhin 550 Seiten schafft es locker, den Leser bei der Stange, respektive im Sattel zu halten. Die Sprache ist anschaulich, teilweise poetisch, wenngleich nicht so experimentell wie in Meyers Erstling „Rost“. Für jemanden, der in den amerikanischen Süden reist, als Einstimmung allererste Wahl.
Danke für die Besprechung. Inzwischen ist die Serie „The Son“ mit Pierce Brosnan in der Hauptrolle erscheinen. Die finde ich fast noch besser als das Buch. Vielleicht weil Phillip Meyer als Autor auch am Drehbuch mitgearbeitet hat. .