Michael Maar: Die Schlange im Wolfspelz (Exzerpt)

Der sehr langsam Lesende ist besser geeignet, gute Literatur zu erkennen. Warnung vor den Vielschreibern: wenn George Sand nach Mitternacht einen Roman beendet hatte, fing sie gleich noch die nächsten an (Theophil Gautier)

Schlechte Literatur – Merkmale: Wiederholungen, Klischees, Ungenauigkeiten, Umständlichkeiten, geringer Wortschatz, zu wenige oder zu viele Worte.

Ist ein Dichter zufrieden mit seinem Werk, schreibt Karl Kraus, wird er neidisch  bei der Lektüre, ehe er darauf kommt, dass er selbst der Autor ist-

Geringe Abweichung macht den Stil. Grundlage des Stils ist der Einfall. „Stil verbessern heißt, das Denken verbessern“. Döblin hat für jedes Buch einen eigenen Stil, auf der anderen Seite erkennt man manche Autoren am Stil, was zur Karikatur reizt

„Der Stilist verleiht seinen Sätzen Fangarme, die den Leser umgreifen“

Der Verbotskanon: bloß keine Phrasen oder Gemeinplätze wie „Narrativ“, „Diskurs“ oder „Paradigma“. Guter Stil beruht darauf, was er sich versagt. Peinliches Beispiel aus einem FAZ Artikel: „Kondome sind in aller Munde.“

Frage nach dem guten Geschmack ist nicht beweisbar, nach Kants Kritik der Urteilskraft aber „ansinnbar“

Nietzsche: Die Deutschen schreiben so schlecht, weil sie zu faul sind, an der Prosa zu feilen. Gegenposition Borchardt: Verachtung des Stils als Kosmetik

Guter Stil hat immer etwas mit Weglassen zu tun,

Regel von Paul Valerie, immer den weniger starken Ausdruck wählen

Das Verb als „Mitochondrien“ des Satzes

Satzzeichen, lieber eins zu wenig als eins zu viel

Metapher als sprachliche Bild das Herz der Poesie (Jean Paul, ein Midas, dem alles was er sagte, zum Bild geriet –  das ist selbst eine Metapher) Metapher: das „Herzstück der Poesie“ Metaphern aber sind riskant und sollten sparsam eingesetzt werden („Die Schlange im Wolfspelz“)

Metapher vom „Ende der Geschichte“ von Walter Benjamin findet der Autor großartig und beispielgebend

Metaphern Kritik am Beispiel von Josef Roth „Ihre Glieder waren zart, ihre Gelenke zerbrechlich. Eine junge Gazelle.“ Dazu der Autor: „Wenn alle Mädchengelenke so gebrechlich wären wie die der springfreudigen Gazellen, herrschte bei den Orthopäden ewiger Sabbat.“

Andere gute Metaphern bei Alexander Lernet-Holenia (s. u. )

Erstaunlich: den schlechten Autor erkennt man daran, dass er versucht,  das naheliegende schlichte Verb zu variieren, um Wiederholungen zu vermeiden.  Marcel Proust  lobte Flaubert ausdrücklich dafür, dass er immer das Verb „haben“ benutzte, obwohl es leicht zu variieren gewesen wären, künstlich variierte Verben sind wie Lesepoller ( diese Metapher ist von mir)

Hier einzufügen: Hans Wollschläger (S. 385)

Gute Dialoge sind schwer, oft kommt es zu  Kunstfehlern: Kehlmann lässt einen belgischen Diplomaten auftreten, bevor es Belgien gab – manchmal überschreiten die Beiträge  der Sprecher das, was sie wissen können,.Ganz schlecht: der Autor möchte dem Leser etwas mitteilen und benutzt die Figuren als Boten  –   Manchmal reden die Figuren über ihrem Niveau oder benutzen Begriffe aus der Gegenwart

Adjektiv bewirkt, dass man das Hauptwort „drehen“ kann, es macht es „dreidimensional“ (wenn es das richtige ist) „Am Beiwort sollt ihr sie erkennen“, (Uli Wagener: „Wenn sie ein Adjektiv verwenden kommen Sie bitte in mein Büro“)   Hemingway als Revolutionär der Beiwort-Eliminierung. Das Adjektiv als Feind des Substantivs, es ist überflüssig, wenn das Hauptwort bereits alles sagt, oder auf schwäbisch: Eine gute Wurst braucht keinen Senf.

Es gibt aber Autoren die man sich ohne ihre Adjektive nicht denken könnte, sehr schönes Beispiele bei Joseph Roth (Buch S. 75.)

Parataxe (Satz für Satz) Hypotaxe (Schachtelsatz)

Der Sprachrhythmus, die „schwarze Magie, der Literatur“- von mir ;Satzlänge, Sequenz unterschiedlicher Satzlängen, die eine Melodie ergeben

Autor vergleicht aber nicht nur die Instrumente sondern er untersucht auch im Detail ihre Anwendung an ähnlichen Themen:

– Ein Vergleich des jungen Malte Laurentz Brigge, Felix Krulls mit „Bruder Hitler“ von Thomas Mann („angewiderte Bewunderung“) interessant zu lesen,  aber was hat das mit dem Buch zu tun? Von mir: Das Buch beschreibt nicht nur den Instrumentenkasten, sondern auch „Gegenstände“, an denen diese Instrumente erprobt werden ( etwa dieser Dreiervergleich oder die drei Stilproben:

(1) Tod eines Bullen bei Döblin (Schlachthofszene) und einer Szene aus dem Felix Krull

(2) die Gehängten (Drei Personen hängen an einem Baum, beschrieben von Alexander Lernet Hoenia und Joseph Roth, der erste hat es erlebt,  der zweite erdichtet, komischerweise ist das zweite besser. und

(3) Tod am Wasserfall-Szene anhand Heimito von Doderers „Die Wasserfälle von Slunj“  und einer Schlüsselszene aus dem „Zauberberg“

Am eindruksvollsten am Ende bei der sachlogischen Analyse der Beschreibungen der Sexualität, die zum Kern des Maarschen Stilverständnisses führt (S. 6mff.).

Im Teil „Bibliothek“ geht es um den Personalstil, d.h. die stilistischen Eigenheiten deutscher Schriftsteller (also kein internationaler Bezugsrahmen.) Muss man sich das so vorstellen, wie in der Musik, wo der Kenner das Gitarrenspiel von Alvin Lee und Eric Clapton unterscheiden kann? Heine allerdings meinte, das Erkennen des Autors an seinem Stil sei nur bei schlechten Autoren möglich. „Stilgebärden“

Zur Auswahl der „Bibliothek“ : Subjektiv, der Autor bedauert, dass Kempowski, Keyserling oder Hebbel „die Abfahrt der Lokomotive“ (Achtung Metapher: gemeint ist der Redaktionsschluss) versäumt haben – Grass, Lenz oder Enzensberger erhalten noch nicht einmal dieses Fare well, wie darf man das verstehen?

Das erste Unterkapitel handelt von Goethe, den „Gewaltigen“, hier zeigt sich der Autor phasenweise in enthusiasmierter Devotion. „Goethe ist ein Sprachturm, den wir weder erklimmen noch auch nur umrunden können“, das gilt aber nur eingeschränkt für den späten Goethe dem Sloterdijk „Daseinsdekoration“ vorwirft ( von mir: was für ein wohlfeiles Wort, um schöne Sprache zu denunzieren).

Weitere Beispiele für enthusiastische Devotion:

Hebels „Unverhofftes Wiedersehen“ : meisterhaftes Daumenkino alles halben Jahrhunderts“ Gottfried Keller, „eine Prosa zum demütig werden“.(Detail: drei Phasen der Kellerschen Gesellschaft: (1) stumpfes Schweigen, (2) er unterhält die Gesellschaft (3) Er greift sich einen raus und macht ihn nieder Keller-Geschichte „Der Landvogt von Greifensee“ Gigantisch urteilt Maar und kennzeichnet Kellers Stil als Craquele´ Stil (Muster aus der Keramikvase)

Wilhelm Raabe, „Das ist Stil und Klang und musikalische Prosa, fast schon musikalisch und rhythmisch perfekt.“

Es gibt aber auch kritische Anmerkungen:

Novalis „ein unendlich liebenswürdiger und rührende Tropf“

Hölderins Roman „Hyperion“  ein anschauungsloses Wortgeklingel auf einem griechischen Schauplatz, dessen Details sich der Autor aus Reiseführern zusammenklaubte. (Brecht)

Brecht ist als Stilist unerheblich. „Es ist ein Personalstil wie ist seine Lederjacke, regenfest, robust, ohne Applikationen, leicht zu imitieren durch Kleinschreibung und den Jargon des  Klassenkampfes, dem erwähnten Moskauderwelsch.“  Siehe auch Wollschläger, Jahnn, evtl. Finnegans Wake

Kann man schreckliche Dinge im schönen Stil sagen? (Carl Schmitt)

Philipp Moritz Roman „Anton Reiser“ wird vom Autor höchsten Tönen als der erste psychologische Roman gelobt, Arbeitsweise: der Autor distanziert sich von Protagonisten (obwohl der ihm sehr ähnlich ist) schaut ihm in die Schädeldecke-hier passte ein Verweis auf Ellis

Das Kapitel Heine und Karl Kraus, eine Feindschaft 1910: „Heine und die Folgen“: Vorwurf: Heine sei kein ernsthafter Literat, sondern ein Kunstgewerbler, der die deutsche Sprache mit Französischem verpanschte. „Bei den Franzosen ist die Sprache ein billiges Weib bei den Deutschen die gebärfähige Gefährtin“

Hebel versprach jedem, der es schafft im Stifter Roman „Nachsommer“ von Anfang bis zu Ende zu lesen, die Krone Polens (sehr treffend, entspricht meinen eignen Eindrücken) . Schlichter, Adalbert Stifter, „ein Stilist, der mit zwei linken Händen schnitzt“, seine Stärke ist die Naturschilderung

Jeremias Gotthelf (Pseudonym) 1842 „Die schwarze Spinne“ Novelle. Ein armes Dorf schließt einen Pakt mit dem Teufel (der als „der Grüne“ erscheint) auf der Basis eines Kind-Opfers. (Spinne nach dem Kuss des Satans auf der auf der Wange) Kehlmann und Canetti waren nach der Lektüre tief geschockt

Theodor Storm: „Der Schimmelreiter“, auch hier geht es um ein Kind Opfer (Thomas Manns Abhandlung über Theodor Storm ein Selbstbekenntnis: Dichtung als die „lebensmögliche Form der Inkorrektheit“ (229)  Ein Deich wird gegen die Flut (in Wahrheit gegen die Triebe) gebaut und durch ein Menschenppfer gesichert werden.

Marie von Ebner Eschenbach: „Die Totenwacht“, Erzählung von einer Frau, die an einer Vergewaltigung in Kindheitszeiten ihr Leben lang krankt ( „Oh mein Heiland, die du für uns g´litten hast, mir hast nix wegg´litten, mein Teil is ganz übrig´blie´n.“ 243)

Nietzsche warnt vor dem Kanzlei-Stil, der die Rede und die Lebendigkeit der Sprache überformt. Er ist ein Verfechter des Stils als appellativer Rede, er spricht, je älter er wird, immer nur mit sich selbst Ideal der Langsamkeit, der sorgfältigen Wortsuche auf Seiten des Autors und des Lesers, der „mit zarten Fingern und Augen liest“ (Vorrede zur „Morgenröte“ 1886)

Rudolf Borchardt missachtet das Stilbemühen zugunsten einer Apothese des „Dichters“  Der Dichter ist eine numinose Erscheinung, aus dem es nur so „sprudelt“ (dieses Modell entspricht in etwa Borchardts Begabung als Redner, dem alles spontan zuwuchs). Stil ist demgegenüber nach Borschardt ein reines „Ateliergeschäft“, ein „Arbeiten mit Pigmenten“.

Manchmal, wie bei Buster Keaton, haben die Kapitel mit dem Thema überhaupt nichts zu tun.

Bei Anna Seghers („Transit“) identifiziert der Autor eine „Glaubwürdigkeitsfalle“, denn das Schicksal des Protagonisten wird einem Fremden erzählt, wobei vergessen wird(in Kauf genommen wird), dass diese Erzählung tagelang dauern müsste müsste,Ansonsten ist die Siegesbegeisterung wenig überzeugend (Zitat Hier fallen Stil und Seelenstärke untrennbar in eins«)

Christine Lavant Spektakuläre Liebes Lyrik (285-288 )

Regina Ullman, „Hhr Leben war das Abnagen eines mageren bitteren Knochens“, einer archaische Erscheinung, nichts Interessantes

Robert Walser : Motto „Humor: der Passierschein des Geistes in der Welt des Geschlechtstriebes“ (Walter Benjamin)

Franz Werfel: „Eine blassblaue Frauenschrift“. Ein unbedeutender Mann, Beamter im Unterrichtsministerium, erhält den Brief eine Jugendliebe, von der er erkennt dass sie das einzig Wahre in seinem Leben war. Diesem Aufruf aus der Vergangenheit folgt er nicht du schläft in der Oper ein. Was bringts? Dem Autor gefällt es, er lobt Werfel, findet ihn unterschätzt.

Alexander Lernet-Holenia, „Gäbe es  einen Club der unterschätzten Dichter, Lernet Holenia  wäre ihr Ehrenvorsitzender“. Buch: „Der Baron Bagge“, Geschichte aus dem Karpatenkrieg 1915 mit lauter gelungenen Metaphern „Es ist, als hätten die Geschichten jede Linie mir mit glühenden Nadeln in die Augen geschrieben, und ich vergesse nichts und werde es nicht vergessen, nie, niemals.“ Oder:“Der Fluss rauschte, als führe er Glasscherben statt Wasser“.

Österreich als ein besonderer Kontinent der Literatur mit einem weit überrepräsentativen Anteil am deutschen Schrifttum   

 Leo Perutz „Der schwedische Reiter“, zehn Seiten Abhandlung, was bringt’s? Nix

 Alfred Polgar der Meisterkritiker, der auf jeder Glatze noch ein Löckchen drehen kann, Autor ist begeistert und schreibt: „Lieber eine halbe Seite Polgar als hundert Seiten Tod des Virgil. Aber das ist, wie fast alles in diesem Buch, Geschmackssache“.

Joseph Roth kommt glänzend weg, und das mit Recht: Herrlich auch die Beschreibung des Endes der Sexualität in „Hiob“ „Seit diesem Tage hörte die Lust auf zwischen Mendel Singer und seiner Frau. Wie zwei Menschen gleichen Geschlechts gingen sie schlafen, durchschliefen sie die Nächte, erwachten sie des Morgens. Sie schämten sich voreinander und schwiegen wie in den ersten Tagen ihre Ehe. Die Scham stand am Beginn ihrer Lust, und am Ende ihrer Lust stand sie auch.“ Der Autor nennt das den alttestamentarisch-bibelnahen Ton, im immergleichen schönen Singsang, geprägt von rhythmischen Wiederholungen. Wunderbar auch die  Szene des Abschieds Mirijams vom Kosaken

Kafka ist für den Autor ein „mythisches Geheimnis“, ein vollkommener Autor mit einem unverwechselbaren Personalstil  „Fast auf jeder Seite von untergründiger Komik, mit kleinem Wortschatz, ohne Fremdwörter und frei von Ticks mit nur gelegentlichen Hypotaxen. Metaphern sind selten bei Kafka, aber wenn, dann springen plötzlich aus der Kiste. „Woher kommt die Maggie dieser unprätentiösen Prosa?“ fragt der Autor. Kafkas Magie ergibt sich für den Autor aus der Summe der scheinbar überflüssigen Details, der kleinen Abweichungen vom Erwartbaren, dem Vorherrschen des Verhaltens vor der Reflexion. Und: „Die Dinge nehmen immer die schlimmstmögliche Wendung“. Schreiben sei ihm das wichtigste auf der Welt, gesteht Kafka seiner Geliebten, etwa so, wie der Frau die Schwangerschaft (der Hammer).

Franz Kafka war „der reinste Autor deutscher Sprache, Thomas Mann der reichste“ Bei Thomas Mann liegt die Gefahr darin, dass er leicht zu parodieren war.   Breite Analyse von „Herr und Hund“ und einer Passage, in der sich der Erzähler an den Leser wendet und über den Gebrauch eines Wortes räsonniert:“ Ich könnte sagen, er sei wie vom Donner gerührt gewesen. Allein das missfällt mir, und ich mag es nicht. Die große Worte, abgenutzt wie die sind, eignen sich gar nicht sehr, das Außerordentliche  auszudrücken, vielmehr geschieht dies am besten, indem man die kleinen auf die Höhe treibt und auf die Gipfel ihrer Bedeutung bringt.“

Heimito von Doderer, der kakanische Proust, der Thomas Mann-Gegner, beschreibt den Dichter wie folgt ; „Denken, wie ein Tiger springt; schreiben wie der Bogenschütze schießt; wachsam sein und scharf sehen wie ein Raubvogel in den Lüften: das macht einen Autor.“ Was für ein Unterschied zu Thomas Mann, der sich jeden Morgen sein Quäntchen abpresst. Oder Borchardt, der den Dichter als sprudelnde Quelle sieht, mit dem die Dichtung geschieht.

Schön auch Doderers Bild vom Bewusstsein, dass einem Teich gleicht in dem ständig Steine geworfen werden, so dass wir selbst das, was auf unserem Grund ist, nicht sehen können.

Hans Henry Jahnn: „Fluss ohne Ufer“. Extrem expressionistisch, und deswegen auch immer von unfreiwillige Komik gefährdet. Alles Steile schwebt in dieser Gefahr. Für den Autor unlesbarer Quark

Thomas Bernhard, der Bruckner der Prosa, der Dauernörgler, mit Redundanz als Spielprinzip, eine Monotoniemaschine, Prosa als Mahlstrom, Da der Meister kaum auszuhalten ist sind seine Schüler eine Katastrophe

G. Sebald: der Autor lobte die klangliche Schönheit seiner Sprache, wenngleich er manchmal ein wenig „over the top« ist. Manche sprechen von „Ornamentendichter“ oder „Spitzenklöppler“. Andererseits gelingen ihm ganz erstaunliche anschauliche Passagen (etwa der Hunger in China) Typisch für den deutschen Literaturbetrieb, dass er 1990 beim Bachmann Wettbewerb in Klagenfurt durchfiel.

Wolfgang Hilbig: seine Prosa sei „tellurisch-vegetativ. Sie hat, um es im Bild zu sagen, etwas hochprozentig Dünstendes und Dampfendes“.

  Hans Wollschläger: Roman „Herzgewächse oder der Fall Adam“ Wollschlägers Stil „erkennt ein Blinder mit Krückstock“ Übeladen mit aufmerksamkeitsheischenden Stilmitteln wie Doppelpunkten, Großschreibungen, Gedankenstrichen, küstlichen worttrennugen etc. Das ganze Kapitel ist eine persönliche Liebeserklärung, aber ein literarischer Verriss.

Eckart Henscheid, Langes Kapitel, ohne jede Fokussierung

Einschub: „Bitte, seien wir ehrlich: er würde auf die einsame Insel Finnegans Wake mitnehmen, wenn im Köfferchen auch Platz für Harry Potter wäre?“ (Ich würde keines von beiden mitnehmen)

Hildegard Knef, „Der geschenkte Gaul“, eine Erzählerin ersten. Ranges. Tatsächlich schöne Zitate

Brigitte Kronauer „Kleider der Frauen“, 26 kurze Texte, meisterhafte Prosa Miniaturen, Beispiele überzeugen mich nicht

Herta Müller „Atemschaukel“ ihre Sprache hat einen „leichten, nachweisbaren Metallgeschmack«. Das Poetisieren des Scheußlichen willensstark und hochkontrolliert.

 

Auf seiner literarischen Reise durch die Haupt- und Seitenpfade der deutschen Literatur verwudnert ein wenig die Auswahl. Günther Grass, der doch stilistisch bedeutende Einflüsse auf die außereuropäische Literatur gezeitigt hat (Rushdie), wird nicht erwähnt, dafür Nischenpoeten wie Luise Scherer, eine Spiegelreporterin, die der Autor über den grünen Klee lobt, ohne dass das aufgrund der dargebotenen Texte nachvollziehbar wäre ( das ist übrigens oft so, ist aber legitim, da der Michale Maar mit seiner Stilkunde  im Sinne Kants ja nur „ansinnen“ und nicht „beweisen“ oder „überzeugen“ will. ..

Undine Gruenter: Eine Meisterin der Atmosphäre und der stillen, unausgesprochenen Pointe, wie aquarellierte Stimmungen und Lebensmomente siehe dazu:  „Sommergäste in Trouville“,

Gertrud Lautenegger „Panischer Frühling“, eine Frau sitzt wegen des Vulkanausbruchs 2010 in London fest und kommt auf der Themsebrücke mit einem Obdachlosen ins Gespräch, zud em sie sich hingezogen fühlt, dem sie alles erzählt, ohne dass am Ende etwas geschieht.

Walter Kappacher „Selina“, Geschichte eines Lehrers, der in einem Haus in der Toskana alleine vor sich hinhängt, geschrieben im spät-stifterischen Stil, was wohl ein Eupehmismus für „stinklangweilig“ bedeutet. Der Autor ist begeistert über den Schlusssatz von Selina: „Beim Hineingehen streifte eine Spinnwebe seine Stirn und erinnerte ihn an irgendetwas Vergangenes.“

Wolfgang Herrndorf, Jugendsprache, nichts Besonderes , aber der Autor liebt es.

Botho Strauß dagegen ein Großer, von dem man sich fragt, wie er sich neben die anderen Zwergen verirren konnte. Seine Sprache, so Maar, rückt möglichst nahe an das Unsagbare heran, schwierige Wendungen müssen hingenommen werden, denn „Sprache und Gedanke amalgieren unter niedrigeren Temperaturen nicht“ ein anderes Zitat:“ Menschen, die zu allem ein gesundes Urteil haben, ahnen gar nicht, wie ein Urteil beschaffen sein muss, um Bestand zu haben: daß es nämlich zuerst unter Zähneklappern, Zittern und Fieber durch den Eiswald der Sachverhalte irren muss, um sich zu finden.“ Ein anderes Beispiel für exquisive Naturmetaphorik: „Das Land glüht wie ein Kelch, den die Austeilung versagt wurde. Das Walnusslaub verrennt sich in ein Quittengelb, die Blätter des Pfaffenhütchens  rosten wie vom Zehrwurm befallen.«

432 Clement J. Seitz ein kongenialer Borderliner, bei dem es unmöglich ist, von einem seiner Sätze auf den nächsten zu schließen (das scheint einer seiner großen Vorzüge zu sein).  Auto unentschieden in seinem Urteil, die Textbeispiele öder und nichtssagend.

 

Kurzausflug in die Lyrik, dazu einschränkend „Wenn Stilkritik schon bei der  Prosa schwierig ist, so betritt sie bei der Lyrik ein schaurig weites Feld.“ Lyriker bilden eine verzankte Gemeinde, die alles und jedes ( sogar Rilke und Goethe) kritisieren. Problem, dass in der Lyrik seltene  Perlen inmitten eines Übermaßes von Schrott existieren, Wo sind die Regeln die beides voneinander trennen? Hin einige Kostproben gelungener Lyrik, etwa

Christa Reinig: Ausweg

Das was zu schreiben ist mit klarer schrift zu schreiben

Dann löcher hauchen in gefrorene fensterscheiben

Dann bücher und papiere in ein schubfach schließen

Eine katze füttern eine blume gießen

und ganz tief drin sein und den sinn erfassen

Zieh deinen mantel an du sollst das haus verlassen.

 

Mascha Kalékos:

Als ich zum ersten Male starb –

Ich weiß noch, wie es war.

Ich starb so ganz für mich und still

Das war zu Hamburg im April

Und ich war achtzehn Jahr .

 

Und als ich starb zum zweiten Mal

Das Sterben tat so weh

Gar wenig hintererließ ich dir:

Mein klopfend Herz vor deiner Tür,

Die Fußspur rot im Schnee

 

Doch als ich starb zum dritten Mal,

Da schmerzte es nicht sehr,

So altvertraut wie Bett und Brot,

Und Kleid und Schuh war mir der Tod

Nun sterbe ich nicht mehr.

 

Merke: Loriot–Test für das Pathetische, der Autor ein Rilke-Skeptiker

 

Kapitel 6: Das Pikante und der Spaß an der Welt

Heikle Frage: Beschreibung der Sexualität = eine Herausforderung an und Stil und Metaphorik, um Elaborate wie „Feuchtgebiete“ zu vermeiden. Das Kapitel beschreibt nicht chronologisch, sondern sachlogisch die schrittweise Enthemmung in der Beschreibung sexueller Vorgänge.

Es beginnt mit der „Lücke“ bzw. der „Technik der Aussparung“, zunächst dargestellt durch einen „–„ (Bindestrich)  etwa bei Kleist in „Die Marquise von O…“  oder bei Musils Geschichte „Tonka“ aus den „Drei Frauen“. Goethe geht in seinen „Elergien“ und den „Wahlverwandtschaften“ schon etwas weiter. Flaubert durfte in „Madame Bovary“ nicht beschreiben,  was bei der stundenlangen Kutschenfahrt geschah. Nächste Stufe: An einer Stelle in „Drei Frauen“ beschreibt Musil das Gesicht und das Füßescharren bei einer Frau während des Coitus. Zarte Metaphern für die Erektion: „Die Kraft sprang aus seinem Zwinger“ (Doderer), „Ich habe seine Stärke gesehen“ (so das Weib des Potiphar im Josephsroman) Es folgt eine breite Meditation über Mosebach-Roman „Was davor geschah“, ein Roman, der nur im Bett spielt. Auch Mosebach, wenngleich viel detaillierter, spielt noch mit dem Modus der Aussparung, ganz im Unterschied zu dem pornographischen Werk „Josefine Mutzenbacher“ (Der  Autor, Franz Salten, ist auch der Autor von „Bambi“).  Relativ freizügig ist die Szene, in der K mit der Magd Frieda vor der Türe des Herrn Klamm in dem Roman „Das Schloss“ sich im Biere wälzend kopuliert. Arno Schmitts „Seelandschaft mit Pocahontas“, 1953 wurde wegen „Unzüchtigkeit“ abgelehnt, erst  ein Gutachten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung schuf Arno Schmitt Luft. Die dabei inkriminierten Sätze entlocken dem heutigen Lese nur noch ein müdes Gähnen. 20 Jahre später wird Arno Schmidt in „Die Schule der Atheisten“ schon deutlicher. Was früher noch kryptisch angedeutet wurde, wird nun mit „Wixen“ und „Muschi“ direkt benannt, die Schmittsche Lust an der Wortverfremdung feiert ungeahnte Durchbrüche: aus „unten herum“ wird untm=haarum“ und aus „keucht“ wird „coicht“ – das auf S. 520 abgedruckte Szene ist nicht nur unleserlich sondern ein Indiz für die Sackgasen, in die die Moderner die Autoren geführt hat (oder umgekehrt).

Am Ende erscheint auch noch Martin Walser mit „Das fliehende Pferd“, hier ist die Beschreibuing der Sexualität indirekt (Belauschen eines rabiaten Koitus im Nachbarzimmer)

Die Endstation der literarischen Enzauberung/Enthemmung ist erreicht u.a. bei Elke Schmitter („Frau Sartorius“ „Leichte Verfehlungen“), die eine weibliche Masturbation beschreibt.  Von mir: bei derartigen Direktheiten kann man die Poesie des Bindestrichs nur loben. Könnte es sein, dass der Autor genau diese Konklusio beim Leser intendierte? Die moderne weibliche Literatur scheint eine Literatur der Enthemmung zu sein, vgl. etwa Ingeborg Bachmann, „Ich war sehr unzufrieden, weil ich nicht vergewaltigt worden bin“, denn als sie nach Wien kam, hatten die Russen keine Lust mehr und die betrunkene Amerikaner brachten es nicht (Melina) .

Es folgt als gleichsam lexikalischer Appendix eine kurze Aneinanderreihung berühmter Sterbeszenen, unter denen Thomas Mann wie immer besonders brilliert.

 

Am Ende fragt der Autor „Wüssten wir nun endlich, was einwandfreier Stil ist? Haben wir die Schlange aus ihrem Wolfspelz geschält, haben wir das Geheimnis der großen Literatur enthüllt?“ und er antwortet sofort: „Natürlich nicht. Wenn es sich enthüllen ließe, wäre es kein Geheimnis mehr. Vielleicht haben wir durch Beispiele guten Stils die Empfindlichkeit gegen den schlechten erhöht? Das wäre immerhin schon etwas“ (543)

 Zusatz: „Die Grenzen der Sprachen sind mitnichten  die Grenzen der Welt“ „Deswegen kommt man dem Innersten mit der Sprache „allenfalls auf die Spur aber du erjagst es nicht. Jagen, besser jagen, links begleitet von Scham, rechts von Ironie – das ist Stil.“

 

 

Allgemeine Kritik: Mit unter überdeckt das rein Darstellerische bei einem Autor die thematische Analyse, das macht aber nichts, weil diese Passagen wie bei einem guten Essen als Sättigungsbeilage das Menü abrunden. Am Ende ist man satt, ist sich aber nicht ganz sicher, was man gegessen hat. Das ist jetzt eine Metapher, von der man sich nicht sicher sein kann, ob sie vor den Augen von Michael Maar Gnade gefunden hätte. Aber so ist das Schreiben. Ganz ohne Risiko geht es nicht.

(Schmankerl: Loriottest – Literaturrätsel als Test des Gelernten, Rätsel kann bestehen, wer dem Autor mit Papier und Bleistift  folgt, aber wer will das schon?)

 

 

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