Unter den Herrschern des Osmanischen Reiches ist Sultan Selim I.(reg. 1512-1520) nicht gerade der bekannteste. Man kennt Mehmet II., den Eroberer Konstantinopels, oder Süleyman den Prächtigen, dessen Heere vor Wien standen, aber von Sultan Selim I mit dem Beinamen „Der Gestrenge“ oder „Der Grausame“ werden die meisten noch niemals etwas gehört haben. Das wundert Alan Mikhail, den Lehrstuhlinhaber für Geschichte an der Yale Universität, denn er hält Selim I (1470-1520) für den wahren Gründer der osmanischen Weltmacht. Selim, so der Autor, war der Herrscher über ein Reich, dass als ein wahrer Leuchtturm der Gesittung über alle anderen Staaten herausreichte. Als die Spanier 1492 die Juden vertreiben, schickten die Türken Schiffe, um sie in den Orient zu bringen. „In diesem Wirbel von Konflikt, Eroberung und Massensterben wirkte das Osmanische Reich wie das Auge des Sturms – sein Kern, war aber dennoch ein Ort von erstaunlicher Ruhe und eine Zuflucht.“ Die hunderttausende versklavter Europäer in Osteuropa, die den Razzien, der Osmanen und der Krimtataren zum Opfer fielen, werden das wahrscheinlich anders sehen.
Aber jenseits dieser grotesk überzogenen Perspektive, die das ganze Buch über beibehalten wird, ist die vorliegende Biografie Sultan Selims auf der konkreten Erzählerebene durchaus gelungen. Insgesamt bietet es eine Einführung in die Geschichte des Orients genau in der Zeit, als sich Spanien, Portugal, England und Frankreich anschicken, in die Neue Welt auszugreifen. Anhand der Jugend des kleinen Selims, des vierten Sohn des Thronfolger Bayazit, beschreibt Mikail das türkische Haaremssystem als eine mörderische Schule des Todes, in der nur der überlebt, die als Nachfolger der Sultan alles seine Brüder umbringt. Ganz schön gesittet, denkt der Leser.
Als Sultan ließ Selim I sofort alle seine Brüder massakrieren. Das war halt so Sitte, bemerkte der Autor und der Leser denkt wieder: wie gesittet. Dann reorganisierte der Sultan das osmanische Heer, baute eine neue Artillerie und eine Flotte auf und begrenzte den Einfluss der Janitscharen. 1514 besiegte er die persischen Safaviden in der Schlacht von Tschaldiran, 1516 erobert er Syrien und Ägypten und ließ den letzten Mamluckensultan am Stadttor von Kairo aufhängen. Sehr gesittet, denkt der Leser. Den letzten Kalifen holte er nach Istanbul, wo er sich und seinen Nachkommen die Kalifenwürde übertragen ließ.
Gerade 49järhig starb Selim I an der Pest. Dass er das Territorium des Osmanischen Reiches während seiner Regierungszeit mehr als verdoppelte, beeindruckte Präsident Erdogan, der in dem strengen Sultan sein Vorbild erblickt. Das kann ja heiter werden, denkt der Leser.
Am Ende legt man das Buch ein wenig irritiert aus der Hand. Als geschichtliche Panomaradarstellung ist das Buch ganz gut gelungen, aber der ständige Lobpreis dieses Schlagetots geht dem Leser auf Dauer ein wenig auf den Keks. Auch was Selim I mit der Geburt der modernen Welt zu tun hat, bleibt bis zum Ende schleierhaft.