Naor: Ich sang für die SS

Naor - Ich sag für die SS  So viele Leute schreiben Bücher, obwohl sie eigentlich nichts zu sagen haben. Das vorliegende Buch repräsentiert genau das Gegenteil: es erzählt die Geschichte eines exemplarischen Schicksals, wie es viele erlitten, aber nur wenige überlebt haben: die Geschichte des Holocaust und der Gründung des Staates Israels als Biografie eines jüdischen Lebens.

Der Autor  Abba Naor wurde am 21. März 1928 in der litauischen Stadt Kaunas, damals die Hauptstadt des unabhängigen Litauens, geborgen. Wie alle litauischen Juden litt von Kindheit an unter dem extremen Antisemitismus, der allen baltischen Staaten wie ein ethnischer Defekt eigen ist. Als die Nazis im Juni 1941 das Baltikum besetzten, rollte eine entsetzliche Welle der Gewalt von Einheimischen über die jüdische Bevölkerung hinweg.  Der junge, gerade mal 13 jährige Abba wurde mit seinen Eltern und dem kleinen Bruder Berale zusammen mit zehntausenden anderer Leidensgenossen im  Ghetto von Kaunas zusammengepfercht. Die ausführlichen Schilderungen dieses Ghettolebens sind bedrückend, aber noch bedrückender entwickelte isch das Schicksal der Familie, als das Ghetto von Kaunas in ein KZ umgewandelt wurde. Nun hieß es nur noch: sich zu Tode schuften oder gleich sterben. Die geliebte Mutter und der kleine Bruder erleiden den Gastod in Auschwitz, Abba und sein Vater werden als Arbeitskräfte vor der vorrückenden Roten Armee im Jahre 1944 zuerst in das KZ Stutthoff bei Danzig, dann nach Dachau und in die Gegend von Landsberg verschleppt.  Im April 1945 wird Abba Naor von den Amerikanern befreit.

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Besuch einer jüdischen Schulkasse im KZ

Was hier in dürren Worten dargestellt wird, liest sich in dem vorliegenden Buch wie ein permanenter Tanz auf des Messers Schneide. Immer bedroht vom Hungertod, Unfällen, Erkrankungen oder psychopathischen SS Männern oder Aufsehern, kann niemand am Morgen sicher sein, am Abend noch zu leben.  Ein Grund für das Überleben des kleinen Abba war seine schöne Singstimme, mit der er gelegentlich SS Männern und höheren Chargen vorsingen musste, wofür er die eine oder andere Extraration Suppe oder Kartoffeln erhielt. Die andere war prosaischer.  „Bis heute wundere ich mich jedoch, dass wir so gut wie nie krank wurden“, schreibt Naor. „Wir tranken verschmutztes Wasser, standen stundenlang zitternd in der Kälte, schliefen unter Eiszapfen in feuchten Erdlöchern und bekamen doch nie eine Erkältung oder Husten. Offenbar stellte sich der Körper trotz Mangelernährung und Vitaminmangel auf die Umstände ein. Während der gesamten Lagerzeit konnte ich mir nicht die Zähne putzen – aber mein Zahnfleisch war fest und gesund wie nie.”

Wieder befreit machten sich Abba und der Vater in rührender Naivität sofort bereit zur Rückkehr nach Litauen. Doch schon in Ostdeutschland und Polen bemerkten sie, dass der Judenhass keineswegs verschwunden war. Es kam  zu Pogromen in Polen, und auch die siegreichen Sowjets zeigten sich alles anders als judenfreundlich. So kehrten Vater und Sohn nach München zurück.   Als Abba Naor in Deutschland einem seiner Peiniger aus dem KZ als deutschem Polizisten wiederbegegnet, entschließt er sich nach Palästina auswandern. Es folgte die konspirative Überfahrt nach Palästina, der Eintritt in die Hagana und die Teilnahme am siegreichen Krieg des neu gegründeten Staates Israel gegen die fünf arabischen Nachbarstaaten. Abba Naor wurde Mitglied des Mossad, bekämpfte die radikalen Juden und Menachim Begin, nahm  an der erfolgreichen Rettung der äthiopischen Juden teil und etablierte sich als Geschäftsmann.

Als Ruheständler kehrte Abba Naor nach Europa zurück und bereiste noch einmal die Stationen seines Leidensweges. Besonders auf die  Litauer und den seiner Ansicht nach weiterwuchernden Antisemitismus ist der Autor nicht gut zu sprechen. Ähnlich verhält es sich mit den Deutschen, denen er ihre ostentativ zur Schau getragene Israelfreundlichkeit nicht abnimmt. Dass die Linke im deutschen Bundestag zum Boykott israelischer Waren aufruft, erinnert ihn an die  Boykottaufrufe der Nazis.  Klar ist für Abba Naor, dass die arabischen Nachbarn das Existenzrecht Israels noch immer in Frage stellen, ebenso klar aber auch, dass der einzelne Palästinenser von seinen eigenen Regierungen nur aufgehetzt wird. Wenn er sich da nicht mal irrt, mag an dieser Stelle der eine oder andere Leser denken. Tatsächlich verliert sich der Autor am Ende seines ungemein lesenswerten Buches etwas ins wohlfeile Eiapopeia, wenn er als säkularisierter Jude fordert, dass alle Menschen, gleich welcher Religion oder Ethnie in einem freiheitlichen und nichtrassistischen  Israel leben sollten. Das hört sich gut an, wird aber nicht möglich sein, denn an einer entscheidenden Frage kommt  auch der mittlerweile Neunzigjährige Abba Naor  nicht vorbei:  „Bin ich dann überhaupt ein Jude?“ fragt er sich an einer Stelle, um sogleich zu antworten: „Diese Frage muss ich nicht beantworten, denn Christen und Moslems lassen mir gar keine andere Wahl als Jude zu sein.”

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