Vor zehn Jahren verstarb die deutsche Demoskopin und Sozialwissenschaftlerin Elisabeth Noelle-Neumann. Ihr bekanntestes Werk war „Die Theorie der Schweigespirale“, das sie im Jahre 1980 erstmalig veröffentlichte. Seitdem gilt das Buch als ein Standardwerk der Demoskopie und Sozalwissenschaft.
Worum geht es in diesem Buch? Die „Theorie der Schweigespirale“ versucht den Kampf um die öffentliche Deutungshoheit sozialpsychologisch zu erklären. Ausgangspunkt der Theorie sind gesicherte sozialpsychologische Befunde zur Konformitätsforschung als da sind: (1) Die meisten Menschen fürchten soziale Isolation und behalten deswegen ständig das Verhalten Anderer im Auge, um einschätzen zungu können, welche Meinungen und Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit Zustimmung oder Ablehnung finden. (2) Gleichzeitig zeigen Menschen aversives Verhalten, wenn jemand etwas sagt, das von der öffentlichen Meinung, missbilligt wird. (3) Jemand, der sich also nicht sicher ist, ob er mit der öffentlich dominanten Meinung übereinstimmt, wird sich also eher zurückhalten, während andere, die öffentliche Unterstützung spüren, dazu neigen, ihre Meinung laut und deutlich zu äußern.
So kommt eine Schweigespirale in Gang, die dazu führt, dass bestimmte Meinungen weniger oder gar nicht mehr geäußert werden, weil ihre Vertreter fürchten, gegen einen herrschenden Meinungskonsens zu verstoßen. Die ausschlaggebende Rolle bei der Installation einer Schweigespirale spielen die Massenmedien und hier vor allem die überregionalen Zeitungen und Fernsehanstalten. Wenn die Medien wiederholt („kumulativ“) und übereinstimmend („konsonant“) ein Meinungslager unterstützen, ergibt sich der Eindruck einer überwältigen gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit, gegen die man nur um den Preis von Stigmatisierung und Auschluss protestieren kann. Meinungen, die laut und vernehmlich geäußert werden und nicht geäußerte Meinungen, die in der Schweigespirale verbleiben, haben allerdings nichts mit Mehrheits- und Minderheitsmeinung zu tun. Im Gegenteil: es zeigt sich immer wieder, dass massenmedial aktive lautstarke Minderheiten Meinungsdominanzen erringen, sich dann aber bei geheimen Wahlen darüber wundern, dass sie nicht auch politisch die Mehrheit erringen.
Soweit die Theorie, die die Autorin selbst noch kurz vor ihrem Tod auf die Politik angewendet hat. So ist die herrschende Dominanz des rotgrünen Zeitgeistes in nahezu allen Fragen (Energiepolitik, Europapolitik, Zuwanderungspolitik, Genderpolitik, Einmaligkeit der deutschen Schuld) ihrer Ansicht nach der massiven Unterstützung durch nahezu alle großen Zeitungen und Sendeanstalten zu verdanken. Diese Dominanz ist so überwältigend, dass selbst ehemals konservative Parteien wie die CDU/CSU aus Angst vor medialer Isolierung sich schrittweise an diese Positionen angenähert haben.
Nun ist es an der Zeit, die Theorie der Schweigespirale zu modifizieren bzw. den veränderten Bedingungen anzupassen. Denn neuartige Entwicklungen haben dazu geführt, dass ihre Geltung relativiert werden muss. Am besten lässt sich diese Veränderung am Beispiel der moslemischen Massenmigration 2015/6 darstellen. Wenn man will, kann man den Ablauf der Massenmigrationskrise mit Hilfe der Theorie der Schweigespirale in drei Phasen einteilen:
- DIE THEORIE DER SCHWEIGESPIRALE WIRD GLÄNZEND BESTÄTIGT
Ihren Höhepunkt erreichte die Erklärungskraft der Schweigespirale mit der Grenzöffnung von Bundeskanzlerin Merkel im September 2015. Hunderttausende Menschen, meist junge moslemische Männer, strömten im Schutz eines grotesk überdehnten Asylparagraphen unregistriert nach Deutschland, eine politische Katastrophe ohne Beispiel in der europäischen Geschichte, die normalerweise einen Volksaufstand hätte hervorrufen müssen. Doch eine unüberschaubare Zahl begeisterter Deutscher, angespornt von einem einheitlichen Chor praktisch aller großen Zeitungen und Sendeanstalten, begrüßte die „Migranten“ an den Bahnhöfen als wären sie das Salz der Erde. Alle großen Zeitungen und Medien zeigten rund um die Uhr kulleräugige Kindergesichter, die Kirchenglocken läuteten für die Flüchtlinge, Schulen machten ihre Turnhallen frei und veranstalteten Workshops zur Flüchtlingspolitik – mit einem Wort: nahezu alle etablierten gesellschaftlichen Gruppen mit medialer Außenwirkung inszenierten eine gleichförmige Jubelfeier über die unglaublichen Vorteile der moslemischen Masseneinwanderung. „Ein neues Wirtschaftswunder“ (Daimler Chef Dieter Zetsche) wurde verheißen, es wurde behauptet, dass die moslemischen Migranten „unsere Rente bezahlen“ würden (SPD Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann) dass es lauter Facharbeiter wären und dass wir mit „vielen jungen Menschen beschenkt“ würden (Göring-Eckart). Ein nordkoreanisch anmutendes Pro-Migrations-Mantra machte sich breit, dem gegenüber sich in den ersten Monaten praktisch kein Widerstand artikulierte. Zu groß war die Angst, als „Rechter“, „Nationalist“ oder gar als „Fremdenhasser“ oder „Nazi“ abgestempelt zu werden.
- DIE SCHWEIGESPIRALE IN DER KONFRONTATION MIT DER REALITÄT
So wäre es wahrscheinlich geblieben, wenn sich nicht spätestens ab dem Jahreswechsel 2015/6 immer deutlicher die katastrophalen Auswirkungen der Grenzöffnung im alltäglichen Leben der Menschen gezeigt hätten. Die Massenübergriffe von jungen Migranten auf der Kölner Domplatte waren nur der Anfang. Vergewaltigungen, Morde, Terrorangriffe und ein immenser Anstieg der Alltagskriminalität ließen sich kaum noch übersehen. Parallel dazu aber nahm das öffentliche Sprechverbot immer groteskere Formen an – bis hin zur Beschimpfung protestierender, also aus der Schweigespirale ausbrechender Bürger als „Pack“ „Mischpoke“ oder „Schande für Deutschland“, und das nicht von irgendwelchen Lohnschreiberlingen sondern von Kabinettsmitgliedern. Möglicherweise hätte die geballte Kraft des rotgrünen Merkel-Mainstreams ausgereicht, ein massenhaftes Ausbrechen aus der Schweigespirale zu verhindern, wenn nicht ein neuer Faktor hinzugekommen wäre, den es in Noelle-Neumanns Zeiten in dieser Form nicht gegeben hatte: eine sich über das Netz organisierende Gegenöffentlichkeit. Vertreter der bislang schweigenden
Mehrheit gründeten Foren, tauschten sich aus und machten die Erfahrung, dass sie nicht alleine waren, sondern dass ihr Protest von Millionen geteilt wurde. Das Netz befreite die Akteure aus der Schweigespirale, gab Rückhalt, verhinderte Vertuschungen (wie etwa bei der Kölner Silvesternacht) und entlarvte Beschönigungen derart, dass selbst die großen Medien einer realitätsnäheren Berichterstattung kaum noch ausweichen können. Die Schweigespirale zerbrach.
Dass sich dabei auch unendlich viele Wirrköpfe und Sonderlinge zu Wort meldeten, kann das legitime Anliegen der Selbstartikulation einer bislang schweigenden und maßgeblichen Bevölkerungsgruppe nicht relativieren.
- DER KAMPF GEGEN DAS NETZ ALS VERSUCH DIE ALTE MEINUNGSDOMINANZ WIEDER HERZUSTELLEN
Erstaunlicherweise nehmen die Eliten das Ende der Schweigespirale nicht zum Anlass, nunmehr auf einem politisch erweiterten Themenfeld um neue Mehrheiten zu ringen. Stattdessen werden die Anliegen der aus der Schweigespirale befreiten Akteure kollektiv als „postfaktisch“ „zurückgeblieben“ oder „fremdenfeindlich“ herabgesetzt. Unter dem Deckmantel eines vermeintlichen Kampfes gegen „Hatespeech“ soll die Artikulation „falscher Meinungen“ (so der Bundestagsabgeordnete Grosse-Brömer vor kurzem) im Ansatz verhindert werden. Am Gesetz vorbei wurden bereits von Justizminister Maas eine stasiähnliche Löschbrigade für Facebookeinträge ins Leben gerufen, offiziell mit dem Auftrag, Hasskommentare zu löschen, tatsächlich aber mit der Intention, die Etablierung einer konkurrenzfähigen Gegenöffentltichkeit im Netz zu stören. Ein Gesetz zur Bekämpfung von sogenannten Fake-News befindet sich in Vorbereitung.
Selbstverständlich sind all diese Versuche demokratietheoretisch aufs höchste bedenklich. Demokratietheoretische Erwägungen haben aber eine herrschende Minderheit noch nie davon abgehalten, um ihre Macht auch mit unfairen Mitteln zu kämpfen. Ob ihr das gelingen wird, darf bezweifelt werden. Das Netz hat die Schweigespirale erschüttert, wenn nicht aufgelöst, der Geist ist aus der Flasche, der Kaiser ist nackt, nun gilt, es ihm neue Kleider zu besorgen. Mit anderen Worten: die Zeit des Mundtotmachens mit Hilfe einer brachial perpetuierten Schweigespirale ist zu Ende. Nun gilt es zu diskutieren und mit demokratischen Verfahren zu einer Lösung zu kommen, mit der alle und nicht nur der bisher herrschende politisch korrekte Mainstream leben können.