Im Mittelpunkt des vorliegenden Romans steht Hans van der Broek, ein verheirateter Mann in den Dreißigern, der bei einer Investmentbank in New York als gut verdienender Ölanalyst beschäftigt ist. Seit den Anschlägen vom 11.9.2001 fühlt sich seine Frau Rachel in New York unwohl, ob aus Terrorangst oder aus ehelichem Überdruss bleibt zunächst unklar. Dann kommt es, wie es kommen muss: ohne ihrem Mann ein hinreichendes Mitspracherecht einzuräumen, verlässt sie mit ihrem kleinen Sohn Jake New York und kehrt zu ihren Eltern nach London zurück.
Ein fast zwei Meter großer und gut verdienender Mittdreißiger im Big Apple – ist das nicht wunderbar? möchte man nun denken. Doch weit gefehlt. Der sensible Hans leidet unter der Trennung von seiner Familie zum Gotterbarmen. Einsam betrachtet er sich das Haus der Schwiegereltern im entfernten London über Google Earth oder flaniert ziellos durch die Straßen der Stadt. Wie es der Autor will, lernt er dabei den Kariboamerikaner Chuck Ramkissoon kennen, das genaue Gegenteil von Hans, dem es als agile, risikobereite und phantasiebegabte Persönlichkeit gelingt, den deprimierten Hans mit Hilfe des Criskettspieles zu revitalisieren. Cricket als Therapie? Das klingt gut. Hans wird heimisch im Kreis einfacher Leute, spürt die Wonnen der Gemeinschaft und scheint langsam zur Ruhe zu kommen.
Aber nur, bis er bei einem seiner Europaflüge entdeckt, dass sich seine Noch-Ehefrau Rachel in London in einen stadtbekannten Koch verliebt hat und mitsamt ihrem kleinen Sohn in dessen Loft gezogen ist. Das haut rein. Hans sagt seiner Cricketwelt Adieu und zieht nach London, wo er kurz darauf (als der neue Liebhaber Rachel den Laufpass gibt) auf eine demütigende Weise wieder zum Zuge kommt. Die Ehekrise ist überstanden, das wiedervereinigte Paar kauft sich sogar ein neues Haus, und wenn sie nicht gestorben sind, dann zanken sie noch immer.
Mit Chuck Ramkissoon allerdings nimmt es ein böses Ende. Schon vor der Rückkehr Hans van den Broeks nach London hatte er sich als eine Art Freizeitgangster geoutet, nun findet man ihn ermordet im Hudson. Alle Pläne des agilen Jamaikaners hatten sich in Luft aufgelöst, am Ende ist es so, als hätte es ihn nie gegeben.
Was sich in dieser Zusammenfassung als kompakte Geschichte anhört, wird in dem vorliegenden Buch allerdings sehr verschachtelt und mit zahlreichen Einschüben erzählt. Die Kindheit in Den Haag, Hans van den Broeks Mutter, seine Kollegen in der Investmentbank, seine Cricketspiele und seine Ehekrise, sein Zusammenleben mit zahlreichen schrägen Figuren im sagenhaften Chelsea-Hotel und die Atmosphäre im New York nach dem 11.9.ergeben insgesamt eine dicht und gut erzählte Geschichte samt satt ausgeleuchtetem Bühnenbild.
Nur – was will sie uns sagen? In den teilweise enthusiastischen Rezensionen unserer Feuilletongiganten war immer wieder von der wunderbaren Symbolik die Rede, mit der der Autor das Schicksal Hans van der Broeks mit den Geheimnissen des Cricketspieles parallelisiert. „Was war ein Inning“, reflektiert Hans an einer Stelle, „wenn nicht eine einzigartige Gelegenheit die variable Welt mittels Anstrengung; Geschick und Selbstbemeisterung in die Schranken zu weisen?“ (S. 218) Das klingt gut. Fungiert also das Cricket in dem vorliegenden Buch als ein Symbol der Weltbewährurng? Dann wäre Hans Rückkehr zu seiner Frau und die Beendigung des Cricketspieles einer Kapitulation vergleichbar. An einer anderen Stelle schwärmt Chuck Ramkissoon vom Cricket als einem Spiel, das die Aggressionen der Völker durch seinen friedlichen Ritualismus besänftigen könnte. (S.260) Muss man das ernst nehmen? Oder spiegeln Werfer und Fänger beim Cricket den Antagonismus von Mann und Frau wieder, wobei amüsanterweise der magische Dritte immer anwesend ist?
Das Buch ist voller solcher Anspielungen, die aber insgesamt auf einer fast banalen Ebene verbleiben – und dass aus einem ganze einfachen Grund. Denn niemand wird auf der Grundlage des vorliegenden Romans die Cricketregeln wirklich verstehen (es ist mir auch unter Zuhilfenahme diverser Lexika nicht gelungen), weswegen auch aus den Regeln dieses Spieles keine vertiefte Einsicht über den Roman erwachsen kann.
Bleibt der Cricketplot also insgesamt uneingelöst, tut das dem Roman erfreulicherweise keinen Abbruch. Denn Joseph O´Neills Geschichte lebt von ihrer ungemein poetischen Sprache und der imaginativen Einbildungskraft, mit der der Autor seinen sensiblen Protagonisten die Welt und seine Zeit betrachten lässt. Wunderbar, die Reflexionen über die „Müdigkeit“ als Symptom der Ehekrise auf Seite S.31. Über die Anti-US-Hysterie der Europäer nach dem Ausbruch des Irakkrieges heißt es “Viele meiner Bekannten hatten die zurückliegenden ein, zwei Jahrzehnte in einem Zustand intellektueller und psychischer Sehnsucht nach einem solchen Augenblick verbracht.“(S.126).
Für Hans van den Broek sind diese Ereignisse im Fernhorizont unerheblich. Ihn interessiert nun sein Sohn, „die einzig mögliche Paginierung“ seines Lebens (S. 291). Und über die Ehe vertritt er am Ende eine fast fatalistische Meinung.“ Heirate unbedingt, denn am Ende wirst Du entweder glücklich sein oder zum Philosophen werden.“(S. 229 ). Ein empfehlenswertes Buch – nicht unbedingt, wegen der Cricket-Metaphorik sondern wegen einer Sprachkraft und einer psychologischen Einfühlungskraft, wie man sie selten findet.