Ein Buch wie das vorliegende liest man eher wie ein Enzyklopädie, immer aufs Neue, je nach persönlichem Fokus. Deswegen sind die folgenden Notizen nicht unbedingt systematisch, sondern meinen Interessen verpflichtet.
Innerhalb des ersten Teils bietet Osterhammel einen kommentierten bibliografischen Überblick über die Wahrnehmung Asiens im langen 18. Jhdt. Es handelt es sich überwiegend um amtliche Reisen, Gesandtschaften und Missionsreisen im Auftrag europäischer Regierungen. Wirkliche individuelle Abenteuerreisen treten zurück, auch weil viele Länder sich strikt abschalten (Japan Korea, teilweise China). In Persien ist das Reisen lebensgefährlich, Indien dagegen war weitgehend offen, ebenso wie das osmanische Reich.
„Koreaner reagierten beim Besuch der Europäer weder panisch noch mit dem kindlich-freudigen Enthusiasmus, der von «Wilden» zu erwarten war: Diese Leute betragen sich stolz, mit Gefaßtheit, Seelenruhe und einem Mangel an Neugier, der uns höchst bemerkenswert erschien. Statt dessen machten sie ihre Erwartungen unmißverständlich klar: Ein Mann brachte den allgemeinen Wunsch, wir möchten uns entfernen, dadurch zum Ausdruck, dass er ein Stück Papier wie ein Segel in die Höhe hielt.“
Man erwartete von Reisenden zuhause exakte Berichte und möglichst objektive Darstellungen dessen, was er gesehen hat. Subjektivistische Reflektionen waren bis ins 19. Jhdt. hinein eher verpönt.
„Der Linzer Jesuit Johann Grueber brach im April 1661 von Peking, wo er Mathematiker am kaiserlichen Observatorium gewesen war, in Richtung Indien auf. Am 8. Oktober 1661 erreichte er als erster Europäer die heilige Stadt Lhasa “
Perspektive von Bildungsreisenden: „Man tut all diesen Reisenden sicher nicht Unrecht, wenn man feststellt, dass sie sich für die Gegenwart der Länder, die sie durchquerten, weniger interessierten als für antike Ruinen und biblische Reminiszenzen. Türken und Araber waren lästig oder als Personal nicht zu vermeiden; auch die Phantasie, in einem griechischen Schafhirten den Nachfahren der perikleischen Griechen zu sehen, brachten selbst fanatische Philhellenen nur selten auf.“ Abenteuer wurde nicht gesucht, sondern ergaben sich durch Zufall: „Der achtzehnjährige Robert Knox wurde im November 1659 bei einem Schiffbruch gemeinsam mit seinem Vater, dem Kapitän des Schiffes, und sechzehn Besatzungsmitgliedern an die Küste von Ceylon (Sri Lanka) verschlagen und dort vom König von Kandy, Rajasimha II., gefangengenommen. Erst zwanzig Jahre später gelang Knox die Flucht in ein holländisches Fort an der Küste. Im September 1680 traf er wieder in England ein, ein angefangenes Manuskript in der Tasche.“
Den absoluten Sonderfall bietet der Bericht des Italieners Giovanni Francesco Gemelli Careri (1651-1725), der 1693-1698 als „erster Tourist“ eine staunenswerte Weltreise gewissermaßen mit „öffentlichen“ Verkehrsmitteln unternahm. „Gemelli Careri muß ein ungewöhnlich gewinnender Mensch gewesen sein“, schreibt Osterhammel. „Er besaß die Fähigkeit, an Orte vorzudringen, die anderen verschlossen blieben, und die Gabe, sich großzügig einladen zu lassen. Seine Reise führte ihn nach Ägypten, Palästina, Kleinasien, Persien, Indien (wo er das Lager des Mogulkaiser Aurangzeb besuchte) und Malakka. Von China sah er während eines achtmonatigen Aufenthalts nicht nur den Süden, sondern erreichte als einer von ganz wenigen Nicht-Missionaren und Nicht-Diplomaten sogar Peking. Obwohl einige der Jesuiten, die ihn für einen Geheimagenten des Papstes hielten, gegen ihn intrigierten, gelang ihm 1695 sogar der beispiellose Coup einer Audienz beim Kangxi-Kaiser. Auf einer der berühmten Manila-Galleonen überquerte er den Pazifik und von Mexiko reist er nach Europa zurück.“ Lange als Aufschneider unter Verdacht, hat sich später die Genauigkeit mancher seiner Beschreibungen erwiesen. Gemelli Careri blieb eine singuläre Figur. Als erster, von dem wir wissen, gelang ihm eine Weltumrundung mit den «Linien»-Verkehrsmitteln der damaligen Zeit.(1699/1700: 6 Bände Giro del Mondo)
Das Reisen im 18. Jahrhundert war lebensgefährlich. Es drohten Gefangennahme, Ausrauben und Morde, mehr noch Tode durch Krankheiten – Batavia, Banda Abbas und Bengalen galten als „Todeslöcher“. „Das Schiff läuft auf eine Sandbank auf; man verirrt sich mangels Karten, wird von Flöhen, Schnaken und Bremsen zerbissen, muß in bitterer Kälte oder in verräucherten Schwarzstuben übernachten. Zweimal verliert Gemelin Aufzeichnungen, Bücher, Instrumente und Bargeld durch Feuer. Schwer war es, Diener zu finden, auch Nachschub an gesunden und kräftigen Pferden war rar. Kamele und Esel taten in Arabien gute Dienste, Yaks im Himalaya. Georg Wilhelm Steller schrieb eine liebenswerte Hommage auf den Schlittenhund Pferde waren insgesamt wohl das wichtigste Fortbewegungsmittel.“
„Warren Hastings, der Generalgouverneur von Britisch-Indien, schickte 1774 George Bogle, dann 1783 Samuel Turner in diplomatischer Mission nach Tibet. „Eine der schönsten «Entdeckerfreundschaften» war die zwischen George Bogle -1746-1781 und dem damals etwa vierzigjährigen Teshoo Lama (oder Panchen Lama). Die beiden trafen sich zum ersten Mal am 8. November 1774 in Audienz in Schigatse und von da an bis zum 7. Dezember bei zahlreichen informellen Begegnungen, bei denen sie sich in Hindustani unterhielten, das der Teshoo Lama von seiner Mutter gelernt hatte, einer Verwandten der Rajas von Ladakh.“ Georg Bogle reiste 1774/5 im Auftrag von Warren Hastings nach Tibet, um die Möglichkeiten der Etablierung einer Handelsstraße nach China zu erkunden. ( das scheitert, erste Kontaktaufnahme der Briten mit den Chinesen erst 1793 im Zuge der Macartney Mission.) Bogle und Turner schrieben ausführliche, lebendige Berichte; derjenige Turners erschien 1800, der Bogles wurde erst 1876 aus dem Manuskript herausgegeben. Problem Langeweile: Samuel Turner wußte, wovon er sprach, wenn er neben Improvisationskunst die Geduld als die wichtigste Tugend des Reisenden empfahl: Er hatte 1783 ebenso wie schon 1774 sein Vorgänger George Bogle in tibetischen Klöstern Mühe, die Zeit totzuschlagen. Es quälen Einsamkeit, extreme Temperaturen ( die Schwierigkeit, bei Kälte mit klammer Hand zu schreiben), die Konsequenzen ungeeigneter Kleidung, die Qual eines rheumatischen Leidens, das Irrewerden an der eigenen Vision
Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts werden die Reisen gleichsam verstaatlicht, Reiseexpeditioen dienen dem nationalen Prestige (Pazifik, Afrika, Sibirien, Zentralasien bzw. Grat Game).
Reisen als Schule der Vorurteilslosigkeit. Reisen erscheint als das wahre Medium der Bildung. Das Ideal des vorurteilslosen Reisenden entsteht. „Der wahre Reisende ist jemand, der die Menschen wie seine Brüder liebt und gegenüber Freuden und Bedürfnissen unempfänglich ist, der jenseits von Größenwahn und Niedertracht steht, von Lob und Tadel, von Reichtum und Armut. Ohne sich an einen Ort zu binden, durcheilt er die Welt als Betrachter des Guten und des Bösen, ohne Rücksicht auf ihre Urheber und auf die einer bestimmten Nationen eigentümlichen Motive. Ist dieser Reisende gebildet, verfügt er über ein klares Urteil, dann erkennt er auf der Stelle das Lächerliche“. Anquetil-Duperron – 1731-1804 – (nach einer Indienreise um 1760 erster Übersetzer altiranischer Schriften „Avesta“) Anquetil-Duperron war einer der ersten, der von einer „Achsenzeit“ sprach (belegt die Ablösung vom eurozentrischen Denken). Merke auch sein Drei Phasenmodell des anspruchsvollen Reisens. Erstens: Vorbereitung, Reinigung von Vorurteilen, Hüten vor zu hohen Erwartungen. „Im zweiten Schritt von Anquetil-Duperrons Dreiphasenmodell des anspruchsvollen Reisens sieht sich der geläuterte Reisende vor die Realität gestellt. Er soll sie beobachten und möglichst exakt beschreiben. Die Aufgabe, die er sich stellt, ist «scharf und genau hinzusehen und klar, leidenschaftslos und wahrhaftig zu beschreiben In Anquetil-Duperrons Portrait des «wahren Reisenden» folgt auf die Selbstreinigung von Vorurteilen und die genaue Beobachtung mit den eigenen unbestechlichen Augen eine dritte Stufe: die des Urteilens. Erst durch die Anwendung seiner Urteilskraft wird der wissenschaftliche zum philosophischen Reisenden. Als solcher bewertet er, was er wahrgenommen hat, mißt er das Gesehene am Maßstab der Vernunft. Dieses Urteilen ist in weiten Teieln mit der Abfassung des schriftlichen Berichtes identisch. „Gerade weil der Reisende in einem Akt der Selbstpurifikation die eigenen niederen Motive unter sich läßt und beobachtetes Verhalten anderer nicht auf deren Motive (und ihren kulturellen Hintergrund) bezieht, gewinnt er eine spontane, gleichsam naive Urteilsfähigkeit.“ ??? Stimmt das denn ??? Von mir: naives Beobachterverhalten wie im Beahiviorismus, wozu das fürhen kann zeigt der Unsinn, den Margret Mead in Samoa verzapfte.
„Stamford Raffles sammelte 1811-16 als oberster Vertreter der brit. Kolonialmacht Material für seine Landesbeschreibung „History of Java“ (1817). Wieder einmal zeigte sich ein typisch britisches – Julius Caesar nachempfundenes – Diskursmodell: der Eroberer als Historiker und Ethnograph.“
Selten lassen Reisende durchblicken, was sie gefühlt haben. „weil das dem kulturell vorgegebenen Selbstbild des hyperaktiven, stets aufmerksamen Europäers widersprach und als ein typischer Gemütszustand der Wilden gesehen wurde“, Änderungen erst im 19. Jhdt. mit Chateaubriands Orientreise. „Der literarisch wirkungsvollste eines neuen Typs von subjektivistischem Bildungsreisenden, wie er zunächst nur am Mittelmeer auftrat, war der Dichter Chateaubriand, der 1806/7 eine Rundreise von und nach Paris über Venedig, Athen, Istanbul, Jerusalem, Alexandria und Tunis unternahm. Er pflegt neben der reinen Reisebeschreibung auch die Impression, d.h. erstmalig wird die Spiegelung der Welt im erlebenden Reise-Ich zum Thema
Thomas Mannings wunderliche Weltreise um 1815: Manning besucht Napoleon auf Sankt Helena. Was haben Sie besprochen? Und hat darüber, wieder daheim angekommen, keine Zeile veröffentlicht. Erst gut 30 Jahre später werden seine alten Skripte ediert. Inhaltlich sind sie eine Vorwegnahme eines modern anmutenden feuilletonistischem Reisejournalismus.
Wichtig: die Kenntnis der Sprache. im 19. Jahrhundert wird vom seriösen Reisenden verlangt, dass er Sprachkenntnisse besitze oder sich mindestens einen Sprachkundigen als Begleiter wähle. Auch möglich Pantomime und Gebärdensprache als Brücke, ebenso wie persönliche Sympathie. Entscheidende Brücke: medizinische Kenntnisse, Europäer als Heiler
Indem die Welt endlich wird, verschwinden die Fabelwesen, das Einhorn und die Menschen mit zwei Köpfen (der Yeti ist noch immer da)
Das Gegenteil dieses gehobenen Reisens (drei Stufen Modell) repräsentiert das Indienwerk von James Mill (Vater von John Stuart Mill), der selbst nie in Indien gewesen war und sich selektiv aus dem europäischen Textcorpus bediente. („Tacitus war auch nie in Germanien“)
Die pure Masse von Reiseberichten aller Art führt schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu ganzen Rezensionszeitschriften und immer neuen Zusammenfassungen und Anthologie. Dann bricht die Einheit von Geographie und Reisebericht auseinander. Der Reisebericht als solcher schält sich aus diesem umfassenden Kontext heraus (vgl. Sentimental Journey?)
Am Ende: „Hierarchiemodell der Zivilisationen“ als „entartete Aufklärung“: William Madsons berühmte Einteilung der Zivilisation aus seiner „Geschichte Sumatras“ „In die erste Kategorie würde ich selbstverständlich einige der Republiken des antiken Griechenland zu ihrer Blütezeit einschließen, daneben Rom im augusteischen Zeitalter und der Zeit kurz davor und kurz danach, Frankreich, England und andere hochentwickelte europäische Nationen während der letzten Jahrhunderte und vielleicht auch China. Die zweite Kategorie müßte die großen asiatischen Reiche auf dem Höhepunkt ihres Wohlstands umfassen: Persien, das Mogulreich und die Türkei, daneben verschiedene europäische Königtümer. Neben den Sumatranern und ein paar anderen Staaten des östlichen Archipels würde ich zur dritten Klasse die Nationen Nordafrikas und die zivilisierteren unter den Arabern rechnen. Zur vierten Klasse gehören die weniger zivilisierten Sumatraner und die Völker der neuentdeckten Südseeinseln, vielleicht auch die berühmten Reiche von Mexiko und Peru. Die tatarischen Horden und alle diejenigen Völker in den verschiedenen Erdteilen, die persönliches Eigentum und irgendeine Form dauerhafter Unterordnung kennen, stehen um eine Stufe über den Kariben, den Australiern (New Hollanders), den Lappen und den Hottentotten. Diese alle zeigen das Menschengeschlecht in seiner wildesten (the rudest) und würdelosesten Gestalt.“
Diese Skalierung lässt offen, ob sich die unteren Chargen höher entwickeln können. Außerdem ist hier die Ost-West Dichotomie noch nicht so maßgebend. Immerhin stellt sich der Autor dem Problem unterschiedlicher Zivilisationsniveaus