Jeder erlebt einmal seinen ersten „kultivierten“ Liebeskummer, d.h. einen Verlust, der uns zu der Frage treibt, wie denn so etwas Unfassliches wie das Ende einer Liebesbeziehung überhaupt möglich sei. Bücher werden gewälzt, Gespräche werden gesucht, um herauszufinden, warum mich die Gila verlassen hat. Das ist die Geburtsstunde der Kultivierung des Menschen aus dem Geist der unglücklichen Liebe.
Eines der Bücher, die bei dieser Kultivierung jugendlicher Kümmerlinge eine ungemein weite Verbreitung gefunden hat, sind die „Grundformen der Angst“ von Fritz Riemann. Hunderttausendfach verkauft bilden sie eine Art Katechismus der Selbsterkenntnis für frisch Verlassene und ein Vademekum für den Wiederaufstieg in eine neue, besser Zukunft.
Riemanns Grundansatz ist dabei von genialer Einfachheit ohne deswegen falsch zu sein. Er verdeutlicht die psychologischen Grundprobleme der menschlichen Existenz mit dem Verhältnis von Erde und Sonne. Die Erde als Trabant ist auf eine Umdrehung festgelegt, d. h. der Mensch ist auf eine Kultur und eine Gemeinschaft angewiesen, die ihm Halt und Fasson gibt. Zugleich verfügt der Planet auch über eine Eigenrotation, d.h. der Mensch ist nicht nur Trabant sondern auch eigenständiges Individuum. Auf jedem Planten herrschen Schwerkraft und Fliehkraft, d. h. jeder Mensch steht im Spannungsbogen von Beständigkeit und Veränderung.
Diesen vier Herausforderungen – Anpassung und Individuierung, Kontinuität und Wandel -unterliegt jedes Leben, und der gesunde Mensch zeichnet sich dadurch aus, dass er diesen Impulsen in angemessner, ausbalancierter Weise entspricht. Soweit die metaphorisch unterfütterte Persönlichkeitspsychologie. Nun kommt die Psychopathologie ins Spiel. Sobald ein Element außer Kontrolle gerät bzw. nicht bewältigt wird, beginnt die Krise. Riemann unterscheidet entsprechend seiner Kasuistik vier Fehlformen und parallelisiert sie mit klassischen Krankheitsbildern der modernen Therapie. Es gibt
– Personen, die sich weigern, sie selbst zu werden (Depressive)
– Personen, die sich weigern sich anzupassen (Schizophrene)
– Personen, die Angst vor Veränderungen haben ( Zwanghafte Neurotiker)
– Personen, die die Beständigkeit hassen (Hysteriker)
Was immer man zu dieser Parallelisierung auch sagen mag, Riemann bleibt dabei nicht stehen sondern fragt noch konkreter nach den Verhaltensweisen dieser Fehlangepassten speziell in der Liebe und der Aggression, also jenen beiden Phänomenen, in denen sich die Angst des Menschen am elementarsten manifestiert. So ist der depressive Mensch in der Liebe der typische Klammerer, er extrapoliert einfach seine eigenen Wünsche auf den Partner ( gut S. 66ff. ), der schizoide Mensch, der sich nicht anpassen möchte, ist der Kontrollfreak, der den Partner mitunter zum Objekt erniedrigt, ihn mit seinen Verlassenheitsgesten ängstigt und aus seinem eigenen Kranksein heraus niemals glauben kann, dass ihn sein Partner wirklich liebt. Der Zwanghafte behält seine Gefühle für sich, er desertifiziert seine Partnerschaft wie die Wüste Gobi, während der Hysteriker sich genau umgekehrt verhält: mit beträchtlicher Theatralik überschwemmt er sein Gegenüber mit seinen Emotionen, so dass sich dieser im siebten Himmel glaubt und lange braucht, bis er erkennt, dass diese Gefühle nur gespielt sind.
Was sich in dieser Zusammenfassung ein wenig holzschnittartig anhört, wird in dem vorliegenden Buch anhand zahlreicher Fallgeschichten plausibel gemacht. Auch wenn Riemann gerne psychoanalytische Topoi verwendet, sind seine Analysen gottlob viel umfassender angelegt: hier spricht ein Lebensberater, ein Weiser, der aus de Fülle seiner Praxis seine Lesern Hilfen anbietet.
Wie gesagt, ich habe dieses Buch vor vielen Jahren bei meinem ersten „kultivierten“ Liebeskummer mit Gewinn gelesen (auch wenn die Gila nicht zurückkam) und habe nun, vierzig Jahre später, bei einer Neulektüre keinen Grund, an meiner damaligen Wertschätzung irre zu werden. Das ideale Geschenk für Novizen der Liebe und auch als Wiederauffrischung für Erwachsene nicht zu verachten.