Wenn noch jemand daran gezweifelt hat, dass auch demokratische Gesellschaften Mythen benötigen, den belehrt die Geschichte der Kennedys eines Besseren. Wie keine andere Familie der westlichen Welt kommen in dem Aufstieg und der Tragik der Kennedys die Glaubensbereitschaft, die Erlösungssehnsüchte aber auch der Voyeurismus der Massen zum Tragen. Robert von Rimscha hat hinter die Fassaden dieses modernen Mythos geblickt und eine kritische Familiengeschichte der Kennedys vorgelegt, die mit der Masseneinwanderung der Iren im 19. Jhdt. beginnt und mit dem Absturz von John F. Kennedy jr. zur Jahrtausendwende endet.
Alles begann mit den Großvätern, mit John „Honey Fritz“ Fitzgerald (1863-1950) und Patrick Kennedy (1858-1929), die sich als zunächst mittellose, dann erfolgreiche katholisch-irische Einwanderer innerhalb der Demokratischen Partei von Boston kennen lernten und bekämpften. Erst als sich ihre Kinder, Joseph Partrick („Joe“) Kennedy und Rose Fitzgerald ineinander verliebten und im Jahre 1914 heirateten, kamen die beiden Sippen zusammen, womit der 2. Akt der Kennedy Saga begann.
Dieser 2. Akt ist alles andere als eine erbauliche Passage, denn in der Darstellung des Autors figuriert „Joe“ Kennedy als eine durch und durch unsympathische Erscheinung. Vor dem Kriegsdienst im ersten Weltkrieg wusste er sich zu drücken, dafür machte er Millionen durch illegale Insidergeschäfte. Als ein bald steinreiches und einflussreiches politisches Schwergewicht fiel er dem Präsidenten Franklin D. Roosevelt derart auf den Wecker, dass dieser ihn auf den Botschafterposten in London abschob. Dort verbrachte er seine Jahre als der „schlechteste Botschafter, den die USA je gehabt hatte“ und betrog seine Ehefrau nach Strich und Faden in aller Öffentlichkeit. Kein Wunder, dass sich Rose in eine eiskalte Charaktermaske verwandelte, die ihren Gatten nur zum Zwecke der Fortpflanzung ran ließ, ohne sich um ihre auf diese Weise gezeugten neun Kinder sonderlich zu kümmern. Dafür ein kennzeichnendes Detail: als ihre älteste Tochter verhaltensauffällig wurde, ließen die Eltern das Kind kurzerhand lobotomieren, und steckten ihre dadurch seelisch entkernte Tochter lebenslang in ein Heim, ohne sie zu besuchen.
Derweil tingelten die beiden ältesten Söhne, Joe Jr. (geb. 1915) und John Fitzgerald („Jack“) Kennedy (geb. 1917) durch die Welt, immer auf der Suche nach Frauen und leicht zu erwerbenden Auszeichnungen, wobei der Joe jr. als ein unsympathisches Abbild seines Vaters auftrat, während der jüngere und schwächlichere John F. Kennedy als ein sympathischer Kobold eher nach auf seinen jovialen Großvater mütterlicherseits nachschlug. Absolut lesenswert in diesem Zusammenhang: JFKs Affäre mit der schönen Nazi-Sympathisantin Inga Arvad und seine Autoreisen durch das faschistische Mittel- und Südeuropa. Im zweiten Weltkrieg meldeten sich Joe und Jack sofort zur Armee, wobei John F. mit seinem Kanonenboot PT 109 die bekannten Heldentaten im Pazifik beging, während sein Bruder, in der tollkühnen Attitüde, es seinem Bruder gleichzutun, noch im letzten Kriegsjahr im Lufteinsatz umkam.
Nach dem Krieg vollzieht sich im 3. Akt des Kennedy Dramas der Aufstieg von JFK Schlag auf Schlag. 1947 wird er, gerade 29jährig, Abgeordneter im Repräsentantenhaus, 1953 Senator für Massachussets und 1960 Präsidentschaftskandidat der Demokraten. JFKs charismatische und freundliche Wesensart, verbunden mit einer notfalls bedenklosen Entschlossenheit, räumen ihm alle Steine aus dem Weg, so dass er im Jahre 1961 im Alter von nur 43 Jahren als erster katholischer Präsident der USA in das Weiße Haus einzieht. Zu einem amerikanischen Mythos wurden die Kennedys nach Meinung des Autors allerdings erst dadurch, dass sich der Durchbruch des Fernsehens genau in der Zeit vollzog, in der die Kennedys im Weißen Haus ihr „Camelot“ zelebrierten und die ganze Nation am Leben der First Family teilhaben ließen.
Natürlich gab es zwischen der Medieninszenierung, der großen Politik für die Kennedy Brüder auch noch genug Zeit für Sexabenteuer aller Art, die den Präsidenten allerdings in eine unappetitliche Berührungsnähe mit der Mafia brachte. In diesem Kontext muss die Affäre der Kennedys (Jack und Joe – echte Brüder teilen eben alles!) mit Marilyn Monroe in einem besonders obskuren, fast kriminellen Licht erscheinen Übrigens hatten die Frauen im Kennedy Clan, von Rose über Jackie bis Ethel ganz generell nichts zu lachen: sie waren auf die Öffentlichkeit und die Fortpflanzung abonniert, die Leidenschaft lebten die Herren anderswo aus. Absolut ernüchternd auch, was von Rimscha über die Beziehungen der Brüder zur Mafia schreibt, der offenbar in den Plänen der Kennedys eine Jokerrolle bei der Ermordung von Castro zukommen sollte.
Mit der Ermordung JFKs in Dallas scheint der Aufstieg der Kennedys abrupt zu enden – Bobby Kennedy besitzt bei weitem nicht die Aura seines Bruders, und ehe er sich versieht, findet er sich durch den verhassten Lyndon B. Johnson in jeder Beziehung ausgebootet. Erst seine Hinweindung zu den Minderheiten des Landes, seine enthusiastische Entdeckung der Bürgerrechtsfrage ab 1966 und seine Ermordung im Vorwahlkampf von 1968 machen aus ihm einen zweiten Mythenträger, der die Phantasie der Massen beflügelte – wobei von Rimscha mit Fug und Recht bezweifelt, ob Kennedy den Wahlkrampf gegen Nixon 1968 tatsächlich gewonnen hätte.
Bei dem dritten Bruder, Teddy Kennedy, dem „dicken“ Kennedy, der schon in der Schule von seinen Mitschülern gehänselt wurde, kann man das beobachten, was Max Weber als die „Veralltäglichung des Charismas“ beschreibt. Seit Ted Kennedys Fahrerflucht in der Bucht von Chippaquaddick und dem Tod seiner Liebesgespielin war er politisch erledigt. Müde und verspätete Versuche, sich für höhere Ämter als den des Senators von Massachusetts nominieren zu lassen, schlugen fehl, so dass mit ihm und seiner Abdriftung in die äußerste linke Ecke der demokratischen Partei der Kennedy Mythos zu enden schien. Doch nur scheinbar, wie von Rimscha meint, denn als der letzte Träger des „Mythos von Camelot“, JFK jr. in der Blüte seiner Jahre 1999 mit seinem Flugzeug ins Meer stürzte und starb, erstarrte die Nation noch einmal wie schon in den sechziger Jahren.
Das Buch endet schließlich mit einer Schilderung der bescheidenen politischen Erfolge von Kennedys der zweiten Reihe, aber auch mit einer Auflistung all der Drogen- und Sexskandale, in die die Bobby-Kinder und -Neffen verwickelt wurden. So entpuppen sich am Ende die Kennedys als durchaus durchwachsende Sippe, aus der nur die Ausnahmeerscheinung JFK sein einnehmendes Wesen und sein Bruder Bobby durch die Hoffnungen herausragte, die er in den Minderheiten erweckte. Von Rimscha erzählt all das sprachlich unambitioniert und ohne sonderliche Anteilnahme, was in meinen Augen ein Vorzug ist, auch wenn diese Methode beim Leser eine Bereicherung und Verarmung zugleich erzeugt – eine Bereicherung an Information und Durchblick, eine Verarmung an Illusion und Gutgläubigkeit. Der Mythos bleibt dabei auf der Strecke und das ist wahrscheinlich auch gut so.