Ich habe die vorliegende Erzählung in einem Rutsch durchgelesen, weil mich das Thema, aber auch die Art, wie es entwickelt wurde, auf der Stelle gefesselt hat. Die Erzählung handelt von einem Mathematiklehrer, der durch eine Nachhilfeschülerin verleumdet wird, was eine Reihe unangenehmer Folgen mit sich bringt. Aus einem scheinbar beiläufigen Ereignis entwickelt sich ein bedrohliches Szenario, ohne dass den Protagonisten irgendeine Schuld trifft.
Oder etwa doch? Und zwar die Schuld, sich gegen die Verleumdung nicht rechtzeitig zur Wehr gesetzt haben. Tatsächlich kultiviert der Protagonist gegenüber den Unverschämtheiten, die ihm zustoßen, ein geradezu quälend sanfte Wesensart, eine Haltung, in der ihn sein Studium der sieben Weisen der Antike merkwürdigerweise noch bestärkt. Als angehender Philosophie- und Mathematiklehrer wollte er sich allzeit „apollinisch“ d. h. selbstbeherrscht verhalten, wollte sich sich nicht affizieren lassen von der Unverschämtheit, ohne zu erkennen, dass ein Schuss „dionysischen Verhaltens“, sprich: ein kräftiger Tritt in den Hintern, für den, der es verdient hat, ab und an die Dinge gerade gerückt. Erst am Ende der Erzählung hat man das Gefühl, dass der Protagonist sich dieser Haltung annähert. Jedenfalls tritt e gewaltig in die Pedale.
Ohne dass es der Autor aufdringlich unter die Nase reibt, steckt in dieser finalen Wendung auch ein gutes Stück Ethik. Denn, um es mit Hermann Melvilles „Billy Budd“ zu sagen, trägt jeder Mitschuld am Bösen, der es ohne Gegenwehr geschehen lässt. Was mir darüber hinaus an dem vorliegenden Buch in ganz besonderer Weise gefallen hat, ist die Betulichkeit der Sprache, die mit der Betulichkeit der Psychologie des Hauptdarstellers wunderbar harmoniert. Das nenne ich mal Einheit von Inhalt und Form.