Da sage noch jemand, die Literatur sei kein Spiegel unserer Zeit. Da werden die Menschen immer älter, und die Romanciers legen einen Altersroman nach dem nächsten vor. Das Merkmal dieser Altersromane. sei es „Schmidt“ von Begley, Martin Walsers „Angstblüte“, John Updikes „Landleben“ Per Pettersons „Pferde stehlen“ oder besonders krass Garcia Marquez „Geschichte von den kleinen Hürchen“ haben alle eines gemeinsam: den Niedergang der Erektion bei gleich bleibender Inspiration. Der alternde Meister erlebt seine letzte Liaison mit einer jugendlichen Geliebten halb aus Trotz, halb aus Verzweiflung, ehe die Inkontinenz beginnt. Philip Roth, mit seinem „Sterbenden Tier“ und dem „menschlichen Makel“ der unbestrittene Meister dieses Genres, ist in dem vorliegenden Buch nun noch einen Schritt weitergegangen. Nicht mehr die entschwindende Lust steht im Mittelpunkt der Betrachtung sondern das beängstigende Näherrücken von Sterben und Tod. Diesem herannahenden Ende vorgeschaltet ist die Biografie der Hauptperson, die vor den Augen des Lesers eine „Jedermann“-Biographie durchlebt. „Im Gegensatz zu dem, was seine Frau überall herumerzählte, hatte er nicht nach der uneingeschränkten Freiheit gehungert, alles und jedes tun zu können. Ganz und gar nicht. Während er verabscheute, was er hatte, hungerte er nach etwas beständigem. Er war nicht der Mann, der wünschte, zwei Leben zu leben. Weder die Beschränkungen noch die Bequemlichkeiten eines angepassten Lebens waren ihm zuwider.“ Namenlos-Jedermann ist glücklich, wenn er fit wie ein Fisch durch die Brandung schwimmen und hin und wieder ein kleines Abenteuer genießen kann. Er hat zwei Söhne, die ihn verachten, und eine Tochter, die ihn liebt, und besitzt einen leidlich interessanten Job in der Werbebranche. Allerdings unterliegt er wie „Jedermann“ der Altersverhexung der Sexualität und verlässt seine zweite Ehefrau Phoebe, um eine Frau zu heiraten, die seine Tochter hätte sein können. „Nur flüchtig kam ihm der Gedanke, dass es sich um eine Wahnidee handeln könnte, wenn man als Fünfzigjähriger glaubte, es sei möglich, ein Loch zu finden, dass alles andere ersetzen könnte.“ Als er seinen Irrtum entdeckt. Ist es zu spät. „Er hatte die hilfsbereiteste Frau, die man sich vorstellen konnte, gegen eine Frau eingetauscht, die unter dem leisesten Druck zusammenbrach.“ Jedermanns Problem, kann man da nur sagen. Aber es gibt kein Zurück mehr. Bald hat er die alte und die neue Frau verloren und steht allein vor der Unendlichkeit des Ruhestandes. Malkurse, Diskussionen, Lesen – alles ist langweilig und sinnlos, nur eines ist noch von Interesse: der immer deutlicher werdende körperliche Verfall. Der Tod, im bisherigen Verlauf seines Lebens in seinen verschiedenen Erscheinungsformen nur als kuriose Episode gegenwärtig, rückt als Gebrechlichkeit immer näher an ihn heran. Bekannte begehen Selbstmord oder sterben an Krebs, und er selbst, der längst das Schwimmen in der Brandung aufgegeben hat, muss sich immer gefährlicheren Herzoperationen unterziehen. Wirklichen Trost gibt es weder in der Kunst, noch in der Familie, und schon gar nicht in der Religion. „Religion war eine Lüge, die er schon früh im Leben durchschaut hatte, er nahm Anstoß an allen Religionen, ihr abergläubisches Getue schien ihm sinnlos und kindisch, was er nicht ausstehen konnte, war ihre komplette Unerwachsenheit. Mit Hokuspokus über den Tod und Gott und obsoleten Himmelsphantasien hatte er nichts zu schaffen. Es gab nur einen Körper, geboren, um zu leben und zu sterben nach Bedingungen, geschaffen von Körpern, die vor ihm gelebt hatten und gestorben waren“. Womit wir beim bitteren Kern des Themas sind: der Unausweichlichkeit des Todes ohne den Trost der Religion. „Das Alter ist keine Schlacht, es ist ein Massaker“ heißt es dazu an einer zentralen Stelle des Buches. Allerdings sind es Massaker, die vorwiegend die andere erleiden. Es leiden und sterben immer nur die anderen und auch das, sei es aus Pietät oder Konzept, literarisch reichlich weichgespült. Der Protagonist kommt dagegen ganz gut über die Runden, was ihm natürlich jeder gönnen wird. Wirklich ertragen muss er in der Hauptsache nur die Migräne seiner zweiten Ehefrau, einige Operationen, eine unangenehme lokale Betäubung und diverse Kanülen. Am Ende wacht er dann bei einer Operation, in die er guten Mutes ging, einfach nicht mehr auf. Da kann ich nur sagen: Einen solchen Tod wünsche ich mir auch.