Den Weisen kann man daran erkennen, dass er zwischen allen Stühlen sitzt, sagt ein altes Sprichwort. Peter Scholl Latour, der hochangesehene Nestor des deutschen Jounralismus, sitzt aber nicht zwischen allen Stühlen sondern gleichsam auf einem Thron, von dem aus die Mächtigen der Welt wenig Gnade bei ihm finden. Ganz gleich, ob es sich um die linken Gutmenschen handelt, die es deutsche Wehrpflichtige in unverantwortlicher Weise in einen potentiellen afghanischen Hexenkessel schicken oder um die amerikanischen Neokonservativen, die ein unilaterales Weltimperium errichten wollen und doch nur blinde Elefanten in einem weltweiten Porzellanladen sind – alle politischen Richtungen spielen ihr Spiel nach ihren Interessen und ihnen ist nur eines gemeinsam: dass sie ihre egoistischen Ziele mit dem Mäntelchen des Gemeinwohls drapieren, allen voran der amerikanische Präsident Bush, der „Evangelikale“, der in manichäischer Manier des „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ die Welt in Gut und Böse einteilt und auf dem Hintergrund dieses simplifizierten Weltbildes und dem Einsatz der ungeheueren amerikansichen Macht den größtmöglichen Schaden verursacht. Wohlgemerkt, Scholl-Latour gehört nicht zu den Gelegenheitspazifisten, die anlässlich einer bevorstehenden Bundestagswahl ihre Friedenssehnsucht entdecken, er ist dem amerikanischen Volk mit tiefer Sympathie verbunden, ebenso wie dem Orient und insbesondere auch dem französischen Kulturkreis – aber er ist eben kein „terrible simplificateur“, er ist ein Kenner der Details, der seinen Lesern Exkurse über Zarathustra, Ali und Hussein, Mani und Mazdak die Siebener- und die Zwölfer-Schia nicht erspart, denn im Vorderen Orient verklammern sich wie in kaum einer anderen Region der Erde Internationales und Lokales, Heiligkeit und Schurkentum, Zufall und Geschichte. Was Scholl-Latour, der in seinen Büchern kein zweiter Hintergrundwissen und gelebte Reporterexistenz zu vereinigen weiß, zum Irak, zu Afghanistan, dem Iran und dem Libanon schreibt ist zu komplex um es auch nur resümierend zusammenzufassen. Aber die einfachen Fragen, mit denen der Autor linkes wie rechtes Schablonendenken quer bürstet, sind schon beeindruckend. Was sagt der glühende Anhänger von Präsident Bush wohl dazu, dass die amerikanische Irakinvasion den Untergang der kleinen christlichen Kirchen des Orients möglicherweise besiegeln wird? Und was sagen die glühenden Anhänger des türkischen EU-Beitritts dazu, dass noch nie in der Geschichte so viele Moscheen in der Türkei gebaut wurden wie gerade jetzt, da dieser Staat an die Türe des verweltlichten Europas klopft, dass den christlichen Gott aus seiner Verfassung streichen will? Je weiter man sich in die Lektüre vertieft, desto deutlicher wird: weder in Orient noch Okzident gibt es einfachen Wahrheiten: Kurden, Haschemiten, Wahhabiten, Baath-partei. Assyrer, Drusen, Maronniten, Turkmenen, Hazari, Tadschiken und Paschtunen sind nur einige aus der unübersehbaren Anzahl kollekitver Akteuere. die sich weder vom Pentagon noch von sonst einer Macht wie Schachfiguren hin- und herschieben lassen. Scholl Latours Sympathie gehört dagegen den Persönlichhkeiten, deutschen oder britischen Soldaten, die verantwortungsvoll und unprätentiös ihren Dienst versehen, seine Hochachtung gehört den Tapferen und Aufrechten in den Bergen Afghanistans oder im Libanon, die ihrer Wahrhiet, gleich in welcher Religion sie vormuliert wurde, folgen. Diese Figuren, wirkliche Menschen, hinter all den Mystifiaktionen und Verdummungsstrategien, die durch den Äther schwirren, dem Publikum nahe zubringen, ist ein weiterer Vorzug dieses herausragenden Buches.