Manche Bücher kennt man bereits, bevor man sie gelesen hat. So erging es Angela Merkel mit Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ und manchen Kommentatoren mit Sieferles „Finis Germania“. Wie man aber inzwischen weiß, gehen solche Schüsse leicht nach hinten los. Das Publikum erweist sich als reifer als seine medialen Verächter, greift zum Buch und liest. So erging es auch dem Buch „Kontrollverlust“ des ehemaligen CDU-Mitgliedes Thorsten Schulte, das sich mittlerweile fest auf der SPIEGEL Bestseller-Liste etabliert hat.
Was aber ist so Anstößiges an diesem Buch, das die WELT eine Werbeanzeige verweigert und Thalia das Buch nicht auf seiner Verkaufsfläche präsentieren will? Die Antwort: nichts. Jedenfalls nicht für Menschen, die sich über die Lage des Landes informieren wollen und eine Antwort darauf suchen, wie sie ihr Vermögen in Zeiten wirtschaftlicher Turbulenz schützen können. Und genau darum geht es in dem vorliegenden Buch, das sich sachlich mit zwei Schwerpunkten beschäftigt.
Der erste, krisendiagnostische Teil bietet nicht mehr und nicht weniger als ein Faktenkompendium aller Rechtsbrüche und Fehlentwicklungen der letzten Jahre auf engstem Raum. Derart kompakt präsentiert besitzt das Buch tatsächlich Schockpotenzial, was manchen Hüter der öffentlichen Meinungshoheit möglicherweise dazu verführte, allzu schnell die Stigmatisierungstaste zu drücken. Aber nichts an dem, was Schulte zur schleichenden Einführung der Transferunion, der finanziellen Repression, der extremen Verschuldung der öffentlichen und private Haushalte im Euroraum, der widerrechtlichen Grenzöffnung für die millionenfache Zuwanderung Geringqualifizierter schreibt, ist falsch. Diese und ähnliche Fehlentwicklungen repräsentieren in der Sichtweise des Autors einen staatlich organisierten Angriff auf die individuelle Freiheit des Bürgers, gegen den man sich wehren muss. Dass Thorsten Schulte in diesem Drehbuch Angela Merkel, Martin Schulz und Mario Draghi sehr dezidiert die Schurkenrollen zugeteilt hat, dürfte zu der demonstrativen Ignorierung durch den journalistischen Mainstream beigetragen haben.
Doch glaubt man dem Autor, dürfte es bald noch schlimmer kommen. In einem sogenannten „Geheimplan Europa“, über den die FAZ im Mai 2017 berichtete, sollen sich die europäischen Eliten bereits über die Einführung eines europäischen Finanzministers, gemeinsame Euroanleihen, eine Ausweitung der Bankenunion und eine europäische Arbeitslosenversicherung verständigt haben. Ein ambitionierter Plan, der die europäischen Bürger, insbesondere die Deutschen, in bisher ungeahnter Weise zur Kasse bitten wird. Und hier kommt das Bargeld ins Spiel, dessen Erhaltung Schulte in besonderer Weise am Herzen liegt. Denn erst seine Abschaffung mache es den Bürgern unmöglich, staatlichen Enteignungsmaßnahmen auszuweichen. Nach der Abschaffung des Bargeldes wäre eine Flucht vor den Negativzinsen durch Bargeldhortung ebenso ausgeschlossen wie die Weigerung, für zu erwartende Staats- und Bankenpleiten mit einem Teil seines Vermögens zu haften. Die Dystopie vom „gläsernen Menschen“ würde Wirklichkeit, denn alle Aktivitäten von jedermann wären über die Kartentransaktionen lückenlos nachvollziehbar. Oppositionelle könnten einfach vom Netz genommen und sozial und ökonomisch „ausgeknipst“ werden. Was immer man von diesem Szenario auch halten mag, seine bedrohliche Struktur als realistische Möglichkeit herausgearbeitet zu haben, gehört zu den Hauptvorzügen des Buches.
Soweit die Lage. Aber was kann man tun? Mit dieser Frage beschäftigt sich Schulte im zweiten Teil des Buches und bietet ein fundiertes Einmaleins der Vermögensberatung in schwierigen Zeiten. Von der Empfehlung einer permanenten Bargeldreserve (“Kommt der Cash, benötigen sie Cash“) über die Diskussion der Vor- und Nachteile des Immobilienkaufes bis zu den Regeln des Anleihen- und Aktienerwerbs wägt der Autor jede Anlageklasse nach ihren Vor- und Nachteilen ab. Besonders empfehlenswert erscheinen dem Autor Edelmetallanlagen, wobei er das Silber gegenüber dem Gold bevorzugt, weil es im Vergleich zum Gold historisch preiswert sei. Vom Erwerb etwa der weitverbreiteten Xetra-Gold-Zertifikate rät Schulte ab, weil sie im Ernstfall leicht durch den Staat konfisziert werden können. Man sieht, der Autor geht tief ins Detail und schreckt auch nicht davor zurück, seine Leser mit Einzelheiten zu Termingeschäften auf dem Silbermarkt oder EFT-Indices zu traktieren. Die eine oder andere Banalität („Schließen sie ihre Türen ab“) oder häufige Hinweis auf die eigenen Videos wird man dem Autor unter diesen Umständen gerne nachsehen.
Insgesamt ist Thorsten Schulte eine anregende und gelungene Gesamtschau geglückt, deren Pointe sich erst ganz am Ende erschließt. Denn der Titel „Kontrollverlust“ zielt nicht auf den „Kontrollverlust“ der verantwortlichen Politiker, denen die Kontrolle über das Gemeinwesen entgleitet (Im Gegenteil: Sie scheinen das, was sie tun, nach Meinung des Autors mit vollem Bewusstsein der Folgen zu tun), sondern der „Kontrollverlust“ bezieht sich auf den Bürger, der mitten in der Krise die Kontrolle über sein Vermögen zu verlieren droht. Und eben hier liegt die Stärke und der Schwerpunkt des Buches: es ist ein Kursbuch darüber, was man beachten muss, wenn man sein Vermögen und damit seine Freiheit in der Krise bewahren möchte.