Eine unabhängige Gerichtsbarkeit gehört zu den edelsten Hervorbringungen der sozialen Evolution, und wo wäre die Gerichtsbarkeit unabhängiger als „God´s own Country“, wo der Richter gleichsam als Stellvertreter der allerhöchsten Werte waltet? Pustekuchen. Justitia ist zwar blind, aber ihre Exekutoren sind keineswegs davor gefeit, dahin zu schielen wo sie ihre Taschen füllen können. Das jedenfalls sind die Zustände in Scott Turows „Kindle County“, einem ländlichen Bezirk der USA, in dem fünf Richter, die unterschiedlicher kaum sein könnten, unter der Aufsicht eines Oberbosses, des gerissenen Brendan Tuohey, immer dann bei den Anwälten die Hand aufhalten, wenn ein Fall in einer bestimmten Weise entschieden werden soll. Robbie Feaver, ein eleganter Womanizer und erfolgreicher Schadenersatzanwalt, ein gut funktionierender Teil dieses Systems, erhält jedoch eines Tages überraschenden Besuch von Bundesstaatsanwalt Stan Sennett, der ihn vor die Wahl stellt wegen überführter Bestechung sofort in den Knast zu wandern oder dazu beizutragen, den ganzen korrupten Sumpf in Kindle County trocken zu legen und eine erhebliche Strafmilderung herauszuschlagen. Das ist der Plot dieser spannenden Geschichte, die den Leser durchaus über 500 Seiten bei der Stange hält, einer Justiznovelle, in der es nur so von getarnten FBI-Agenten, Abhöraktionen, größenwahnsinnigen Richtern und gefährlichen Polizisten wimmelt und die am Ende in ein überraschendes Finale vor der Großen Jury mündet. Aber der Roman ist nicht nur abwechslungsreich und spannend, sondern auch informativ: über das amerikanische Schadenersatzrecht, die forensische Arbeit des FBI aber auch über die schreckliche ALS-Krankheit, an der Robbies Frau Rainey leidet, gibt es mancherlei zu lernen, was über die eine oder andere Länge hinwegtröstet. Am Ende liegt der sympathische Robbie Feaver in seinem Blute, seine Frau wählt den Freitod, die bestechlichen Richter verschwinden hinter Gittern, nur der Oberbösewicht bleibt ungeschoren. So ist das Leben, denkt der Leser, freut sich, dass die Zustände vor unseren Gerichten ganz andere sind. Oder?