Die Finanzkrise des Jahres 2008ff. wird sich zukünftigen Generationen neben den Anschlägen des 11. September als das epochale Gründungsereignis des 21. Jahrhunderts darstellen. Ebenso wie der Westen mit dem islamistischen Terrorismus noch lange nicht fertig ist, werden die Folgen der Finanzkrise die Welt noch lange beschäftigen – möglicherweise bis hin zum Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems einschließlich der Europäischen Währungsunion.
So etwa lässt sich das Fazit zusammenfassen, das der Ökonom Hans Werner Sinn am Ende seines Buches über den „Kasino Kapitalismus“ formuliert. Wie aber hat es soweit kommen können? Wen diese Frage umtreibt und wer wirklich eine differenzierte Antwort jenseits des Niveaus von SPIEGEL-Dokumentationen sucht, ist bei dem vorliegenden Buch gut aufgehoben.
Sinn wählt als zentralen Problemaspekt zur Krisenerklärung ein Phänomen, das mit dem Aufstieg des kapitalistischen Wirtschaftssystems untrennbar verbunden ist: die Haftungsbeschränkung. Niemals so Sinn, hätte der Kapitalismus einen solchen Wohlstand erwirtschaften können, wenn seine Akteure bei ihren Geschäften beständig mit der existentiellen Pleite hätten rechnen müssen. Erst die Haftungsbeschränkung in Gestalt von KG, AG und GmbH erlaubte wagemutigste Innovationen, weil der Haftungsdurchgriff nur auf das Geschäftskapital und nicht auf das Privatvermögen möglich war. So weit so gut. Aber wie steht es mit den Banken? Banken, so Sinn, besitzen eine doppelte Haftungsbeschränkung – zunächst in Gestalt ihrer rechtlichen Form als Aktiengesellschaft, sodann in der besonderen Relation von Bilanzsumme und Eigenkapital. Banken als die unverzichtbaren monetären Fristentransformateuere jeder Volkswirtschaft bewegen mit ihren Geschäften ein Vielfaches, oft das Dreißig- und Vierzigfache ihres Eigenkapitals, und wenn es einmal wirklich kracht, d. h. wenn etwa 10 % der Bilanzsumme verloren gehen, ist das Eigenkapital ( 4-8%) sofort vernichtet. Diese strukturelle Gefährdung des Bankgeschäftes dürfte den meisten Menschen nicht klar sein – die Experten aber drängen deswegen seit langem auf eine Erhöhung der Eigenkapitalquoten, ohne sich trotz Basel I, II und demnächst Basel III wirklich durchsetzen zu können. Amerikanische Investmentbanken, Zweckgesellschaften oder Hedgefonds waren sogar von den laschen Basel-Regeln ganz oder teilweise befreit.
Die Finanzkirse entstand nun dadurch, dass dieser strukturellen Unterkapitalisierung der Banken inklusive ihrer Haftungsbeschränkung auf Seiten der Kreditnehmer in den USA eine zweite, verhängnisvolle Haftungsbeschränkung der Hauskäufer gegenüberstand. In den USA können die Hauskäufer erstaunlicherweise, wenn sie ihre Hypotheken nicht bedienen können, einfach die Schlüssel abgeben und die Bank mit dem nicht abgezahlten und wertgeschrumpften Haus allein lassen. Selbst für vollständig Mittellose existierte auf der Grundlage dieses fragwürdigen Rechtsinstitutes bei einer Hausfinanzierung überhaupt kein Risiko: entweder der Wert des Hauses stieg (was bis 2007 der Fall war, dann waren sie fein raus) oder der Hauswert fiel bzw. die Mittellosen konnten die Raten nicht mehr bezahlen, dann gaben sie einfach die Hauschlüssel ab und machten sich vom Acker. Nach einer Clinton Novelle zum „Community Reinvestmant Act“ aus dem Jahre 1996 wurden die Banken sogar auch aus Gründen der Antidiskriminerung aufgefordert, Hypothekenkredite gerade an solch vollständig insolvente Kunden zu verleihen ( No Income, No Job, No Essets-Ninja Kredite“). Falls sich die Banken weigerten, mussten sie sich mit vom Staat erlaubten Einzel- und Gruppenklagen auseinander setzen. Der heutige US-Präsident Barack Obama selbst begann seine Karriere als Anwalt für solch zweifelhafter Ninja Kredite.
Kein Wunder, dass die Banken versuchten, diese zweifelhaften Hypothenforderungen wieder loszuwerden. Das machten sie mit ihren Verbriefungen, wobei sie gute und schlechte Hypothekenforderungen so lange durchmischten, bis sie sie von den überforderten ( und letztlich kollaborationswilligen) Rating Agenturen als AAA Wertpapiere gekennzeichnet wurden. Diese Wertpapiere wurden nun europäischen Anlegern und vor allen den deutschen Landesbanken (mit ihren vollkommen überforderten Politiker-Aufsichtsräten) als scheinbar hypothekengesicherte und pfandbriefähnliche Top-Sicherheiten verkauft. Alle großen und kleinen Banken der Welt (außer denen in Japan und China) gründeten Zweckgesellschaften, die lt. Basel I und II keinerlei Eigenkapitaldeckungsvorschriften unterlagen, um mit kurzfristig und zinsgünstig aufgenommenen Geldern die hochprozentigen „AAA“ Schrottpapiere zu kaufen. Dabei drehten sie zur Freude ihrer Muttergesellschaften auf der Grundlage der zunächst noch sprudelnden Zinserträge zuerst ein gewaltiges Rad, rissen aber dann in der Krise ihre Muttergesellschaften mit in der Abgrund. Die Deutsche Bank hat diesen Crash übrigens nur deswegen überlebt, weil sie ihre Schrottpapiere bei der AIG, dem weltweit größten und praktisch nullkapitalisierten Rückversicherer versichert hatte und weil Präsident Obama diese Firma mit einer 100 Milliarden Finanzspritze (natürlich schuldenfinanziert!) vor der Pleite bewahrte
Die Rettungspakete, die die Staaten nach dem Zusammenbruch dieses planetarischen Schneeballsystems seit 2008 auflegen mussten, haben das internationale Finanzsystem zwar vorläufig gerettet, die Staaten aber selbst in eine finale Verschuldungskrise getrieben, die jetzt erst richtig hochkocht. Die USA stehen am Rande der Zahlungsunfähigkeit und haben mit Unterstützung der Federal Reserve mit der planmäßigen Inflationierung begonnen (auch hier Barack Obama ganz vorne dabei!), Deutschlands Zinsenlast pro Jahr hat mit über 70 Mrd Euro inzwischen fast die 3 % Grenze erreicht, die sich das Land nach den Maastricht-Kriterien verschulden darf. Dass es unter diesen Umständen nicht in der Lage ist, überschuldete EU-Mitglieder per Transferunion zu finanzieren, versteht sich für Sinn von selbst, wird aber von den politischen Eliten (auch für diese gilt leider der Haftungsausschluss!) geflissentlich ignoriert. Hinzu kommt, dass der Gesamtschaden der Krise in Höhe von etwa 4.000-5.000 Mrd. Euro (!) gerade erst einmal ein Bruchteil, 1.200 Mrd Euro, überhaupt buchhalterlich erfasst wurde. Der Rest tickt wie eine Ansammlung von Zeitbomben in Bad Banks und Anlagebüchern (mittlerweile sogar in der EZB) vor sich hin, und niemand weiß, wann diese Bomben hochgehen werden.
Diese hier nur sehr verkürzt und ohne die aufschlussreichen Statistiken und Tabellen wiedergegebene Argumentation kann den Leser wahrlich das Gruseln lehren. Und dabei hat Sinn in seiner Höflichkeit das Schlimmste ausgespart: die Wirtschaftssysteme und Staaten, die unter der Last dieser Zivilisationskrise schier zusammenzubrechen drohen, werden noch immer von den gleichen Raffzähnen in den Bankvorständen und den gleichen Ahnungslosen in den Regierungen geleitet, die in ihrer Inkompetenz die Krise verursachten. Man kan sich also ziemlich sicher sein: Das dicke Ende kommt noch!
Man kann das vorliegende Buch uneingeschränkt empfehlen, weil es Schluss macht mit der allgemeinen Schönfärberei in Politik und Staatsmedien und enflich Ross und Reiter nennt. Dass es nebenbei auch als eine hervorragend geschriebene Einführung in Bankbetriebslehre und allgmeine Volkswirtschaftslehre zu lesen ist, halte ich für einen weiteren Vorteil. Ich fürchte es hat nur einen einzigen Nachteil: es wird bei derzeit herrschenden Dominanz des politisch-medialen Verdummungskomplexes ohne jede Wirkung bleiben.