Theroux: Mein geheimes Leben

„Ich habe alles zweimal“, sagt Andre Prevant, der Protagonist des vorliegenden Romans an einer Stelle des Buches: zwei Zahnbürsten, zwei Häuser, zwei Frauen. Das ist in etwa auch der Plot des Buches, so wie er auf dem Klappentext zu lesen steht – die Geschichte vom Doppelleben eines Schriftstellers zwischen London und Boston. Das ist aber gar nicht wirklich das, was das Buch beschreibt. Doch von Anfang an.

Der kleine Andre Prevant ( dem dem Theroux in einer Vorbemerkung ausdrücklich behauptet, er sei nicht mit ihm identisch ) wächst in der Nähe von Boston auf, ist Messdiener und wäre durch das Vorbild eines ungewöhnlichen aber charismatischen Geistlichen beinahe ein Priester geworden. Dann aber verschlägt es ihn doch nur als Bademeister zuerst in einen vornehmen Club, dann in eine öffentliche Badeanstalt, wo er Lucy seine erste Liebe kennen lernt und schwängert. All das geht unerfreulich aus, die üblichen Schrecken und Enttäuschungen der Jugend suchen auch den jungen Andre heim, der das alles wacker, aber auch mit einem üblichen Ressentiment gegen die Besseerestellten zu nehmen weiß. In Afrika, wohin  es ihn in seinen frühen Zwanzigern  als Angehörigen des so genannten Peace-Corps verschlägt, gehört er dann selbst zu den Bessergestellten, und wie es sich für bessergestellte Westler in der Dritten Welt gehört,  beginnt er wahllos herum zu vögeln. Jeden Tag nimmt er eine andere blutjunge Afrikanerin mit in seinen Bungalow, er erfreut sich an der Unkompliziertheit ihrer Lust („In Afrika muss das Vorspiel erst noch erfunden werden“), an der Biegsamkeit ihrer Körper und ihrer Spontaneität („Los, nimm hier unter diesem Baum“). Aha, denkt man, das treiben also die jugendlichen Weltbeglücker, die auf UNESCO-Kosten den Völkern der Welt helfen, an ihrem Feierabend. Natürlich lernt der junge Andre auch weiße Frauen kennen, eine an der Elfenbeinküste, einige in Kenia eine andere  in Malawi, aber das sind alles nur die typischen nervtötenden Zicken. Alle – mit Ausnahme von Jenny. Die ist zwar noch viel komplizierter als alle anderen, aber die liebt der junge Andre nun einmal, und sie wird dann auch geheiratet und die Mutter seines über alles geliebten kleinen Sohnes.

Nun haben wir mehr als die Hälfte des Buches hinter uns, sind gut unterhalten worden, fragen und aber, wo denn das „geheime Leben“ stecken soll. Aber weiter: Andre Prevant will etwas Großes schreiben und macht sich deswegen auf eine Eisenbahntour durch Asien  ( Paul Theroux und der Grand Railway Bazar lassen grüßen – aber das hat natürlich alles mit Andre nichts zu tun ). Zurückgekehrt nach monatelanger Reise wird er allerdings merkwürdig kühl empfangen und bemerkt zu seinem Schrecken, dass sich seine Frau eine ganze  Garnitur neue Unterwäsche zugelegt hat. So etwas bedeutet niemals etwas Gutes – und tatsächlich: Andre kommt einer Affäre seiner geliebten Jenny auf die Schliche. Die nun folgenden fast einhundert Seiten Eifersuchtsdrama gehören zu den schwächeren  Passagen des Buches –  was soll dabei geheim oder ungewöhnlich sein – alltägliche Kost die ein wenig melodrmatisch daherkommt.

Am Ende aber renkt sich alles wieder ein, allerdings weiß sich Andre zu rächen. Er hält sich nun eine Geliebte in Boston, eine überkandidelte Ziege, in deren Gegenwart sich der Protagonist in Wahrheit nur nach seiner Ehefrau sehnt (kennen wir das nicht alle?). Finale und Endpunkt des Buches ist dann eine doppelte Indienreise, die Andre zuerst mit seiner Geliebten und dann mit seiner Ehefrau unternimmt. Er besucht mit beiden im Abstand von nur wenigen Monaten  genau die gleichen Plätze und Freunde und wundert sich darüber,  wie unterschiedlich die beiden reagieren. In der Idee ein völlig unwahrscheinlicher Plot, denn natürlich fliegt die Sache auf, in der Durchführung aber nicht uninteressant (wie etwa reagieren die beiden Frauen, mit denen ich schlafe, etwa auf den Anblick des Tadsch Mahal? Und wie gefällt mir das? ). Mit der Entdeckung der Geliebten durch die Ehefrau endet das Buch. Wie die Geschichte weitergeht, ist nicht sonderlich schwer zu erraten: immer weiter im Kreis, von Geliebter zu Geliebten wird das Ehepaar Prevant hin und her pendeln und wenn sie nicht gestorben sind, dann gehen sie noch heute fremd.

Man sieht, keine sonderlich ungewöhnliche Geschichte, und von einem sonderlich geheimen Leben, das über das Ausmaß des alltäglichen sozialen Mimikis hinausreicht, kann nicht die Rede sein.  Aber das Buch ist ungewöhnlich gut geschrieben, Theroux, den wir schon als Meister die Dialoge aus seinen Reisebüchern kennen, zeigt sich auch hier als Genie der Rollenprosa, die Charakterisierungen sind witzig und treffend, und mit Ausnahme der Eifersuchtsepisode kommt praktisch nirgendwo Langweile auf. Außerdem besticht Theroux auch in dem vorliegenden Buch durch eine Reihe blitzgescheiter Anmerkungen, lauter kleinen Aphorismen, die gleichsam nebenbei in die Handlung purzeln. Nur ein Beispiel unter vielen: „Jenny fehlte mir, doch ich fehlte mir auch selbst,“ heißt es an einer Stelle. „mir fehlte jener andere Mensch, der ich in ihrer Gegenwart war.“(S.364)

Aber hat das Buch auch einen literarischen Wert? Meiner Ansicht nach ja, denn über seine formalen Qualitäten hinaus hält Theroux in dem Buch sich selbst und damit dem repräsentativen Mittelklassevögler seiner Gegenwart einen recht plastischen Spiegel vor. So bin ich eben, scheint Andre Prevant zu sagen: ich muss immer neue Länder sehen, immer neue Frauen beschlafen, sonst geht es mir schlecht. Darüber zu moralisieren, erscheint einem nach der Lektüre des Buches so, als wolle man über die Gravitation meckern. Auch dass der Autor das vielleicht gar nicht sagen wollte und seinen Protagonisten als Typus eher unfreiwillig decuvierte, spricht nicht gegen den Rang des Werkes.

 

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