Für den gutwilligen Liberalen westlicher Provenienz gehört es zu den größten Rätseln der Gegenwart, dass junge Muslime, denen in den USA und in Europa kostlose Studienplätze, Sozialhilfe oder Resozialisierungsprogramme angeboten werden, stattdessen lieber mit Flugzeugen in Wolkenkratzer fliegen oder auf Weihnachtsmärkten und Bahnhöfen Splitterbomben hochgehen lassen wollen. Updikes Werk Terrorist“ ist der literarische Versuch, dieses Rätsel ein wenig aufzuhellen. Sein Ansatzpunkt ist dabei jedoch nicht in erster Linie eine Attacke gegen den Islam (obwohl die im Buch zitierten Koran-Suren z. T. schockierend sind) sondern – viel origineller – eine Kritik der westlichen Gesellschaft.
Mit den Augen des jungen und durchaus sympathisch daherkommenden Muslimen Ahmed, dem Sohn einer irischstämmigen Amerikanerin und eines durchgebrannten ägyptischen Austauschstudenten, erblickt der Leser plötzlich seine eigenen Zivilisation als ein Spielfeld der Sexbesessenheit, der Kriminalität, der Verantwortungslosigkeit und des Werteverfall. Ahmeds Lehrer an der New Prospekt Highschool sind durchweg Heuchler und Witzfiguren, die nur fröhlich werden, wenn sie in ihre kleinen Autos steigen und vom Schulgelände fliehen können. Ahmeds Mitschüler sind verlogen und verhurt, und das einzige an das sie glauben, ist die sofortige Bedürfnisbefriedigung durch möglichst ungehemmten Spontankonsum. Selbst Ahmeds Mutter, die ein leben zwischen ihrem Krankenschwesternberuf, ihrer dilettantischen Malerei und ihren Sexaffären vergeudet, bleibt von der Kritik des frommen Sohns nicht veschont.
Das Gegenbild zu Ahmeds aufrichtiger Verachtung der Gottlosigkeit der westlichen Gesellschaften ist Jack Levy, ein von Gott abgefallener Jude, der als Beratungslehrer an der New Prospekt High Arabo- und Afroamerikaner davon abzuhalten sucht, in die Kriminalität abzudriften. Auch Jack Levy leidet an der Gesellschaft, meisterhaft dargestellt in seiner gutmütigen aber monströs dicken Frau Betty, die schließlich so fett wird, dass sogar der Sex zwischen den Eheleuten unmöglich wird. Ahmed und Levy treffen also in einer Welt aufeinander, die keinerlei Brücken mehr verbindet. Als Ahmed seinem Berater gegenüber äußert, die westliche Kultur sei gottlos“, antwortet Levy spontan mit Gottseidank“, ohne zu erkennen, dass Ahmed gerade den tiefsten Grund für seine eigene, für Levys existentielle Misere offen legte. Gottvertrauen und Zuversicht sind also Jack Levy keine Option, und so bleibt ihm nur die Verzweiflung bis zum Ende seiner Tage.
Ahmed aber gerät in die Fänge eines Mullahs der örtlichen Mosche, der ihn schrittweise für eine terroristischen Anschlag in Stellung bringt, der zum Jahrestag von September 11 den Lincolntunnel unter dem Hudson zum Einsturz und den Tod Tausender unschuldiger Menschen herbeiführen soll. Wie dieser Anschlag mit Hilfe einer libanesischen Familie, einem Lastwagen und einer Unmenge Dynamit geplant und vorbereitet wird, gehört zu den atmosphärisch dichtesten Passagen des Buches.
Natürlich soll an dieser Stelle nicht verraten werden, wie die Handlung endet. Nur soviel: wirklich psychologisch überzeugend ist das Ende nicht – aber der Liberale ist ja Optimist und glaubt an das Gute im Menschen. Aber auch ohne das literarisch wenig überzeugende Finale ist das Buch ein Lesegewinn erster Güte -meiner Ansicht nach aber nicht so sehr als ein Buch über den Islam und den Terrorismus sondern über die die Not des Menschen in unserer gottlosen Gesellschaft.