Zu den ärgerlichen Begleiterscheinungen politischer Kontroversen gehört das sogenannte „virtue signalling“. Darunter versteht man die Unsitte, bei jeder sich bietenden Gelegenheit dem Gesprächspartnern, gefragt oder ungefragt, die eigene Moral unter die Nase zu reiben. Diese Expressionen haben nichts mit Informationen zu tun, sondern dokumentieren den Wunsch, die eigene Zugehörigkeit zum herrschenden Mainstream zu zeigen. Positiv konnotierte virtue signalling-Topoi sind „Nachhaltigkeit“, „Vielfalt“ „Weltoffenheit“ oder „Soziale Gerechtigkeit“. Negatives Virtue Signalling betreffen die „AfD“, „Pegida“, „rechts“ oder „Putin“. Kein negatives vitue signalling kommt jedoch an pejorativer Kraft dem Trump-Topos gleich. Kindergärtenrinnen, Krankenschwestern, Schüler, Studenten, Journalisten oder Lehrer, Dicke und Dünne, Junge und Alte, Gebildete und Ungebildete, Konservative und Progressive finden zueinander in einer großen Volksgemeinschaft der habituell ausgedrückten Verachtung. Nur Emmanuel Goldstein, die literarische Feindfigur in George Orwells „1984“ kommt Donald Trump an medialer Verachtung gleich.
Das vorliegende Buch des ehemaligen New York Times Autors Doug Wead „Donald Trump. Die wahre Geschichte seiner Präsidentschaft“ versucht dieses vorherrschende Bild eines transatlantischen Gottseibeiuns zu konterkarieren. In 22 Kapiteln und auf knapp fünfhundert Seiten bietet der Autor eine völlig anderes Bild der Trump-Präsidentschaft, wobei ein Protagonisten sichtbar wird, der mit dem Donald Trump, wie ihn die europäische Mainstreampresse seit Jahren vorführt, kaum etwas gemeinsam hat. Ein mitfühlender Trump, der sich anders als Obama für die Befreiung der zahllosen amerikanischen Geiseln einsetzt, die in der ganzen Welt gefangen gehalten werden? Ein demokratischer Trump, der vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen dem menschenverachtenden Mullah-Regime, das auf seine eigene Bevölkerung schießen lässt, die Leviten liest. Ein wirtschaftlich erfolgreicher Präsident, unter dem die Kurse an der Walstreet neue Höchststände und die Arbeitslosenzahlen neue Tiefstwerte erreichen. Das hat der deutsche Leser in dieser Kompaktheit noch nicht gelesen, und das Erstaunlichste ist: es stimmt.
„It´s the Economy, stupid“ lautete das Erfolgsrezept Bill Clintons. Daran gemessen, kann Donald Trump auf eine beachtliche Leistungsbilanz verweisen. Er hat durch seine Steuerreform die Auslagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland gestoppt und zusammen mit Kanada und Mexiko einen im Vergleich zur alten Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) für die USA erheblich vorteilhafteren Deal ausgehandelt. Laut den Daten der US Finanzbehörden sind die Einkommen von 90 % der US Bürger unter der Trump Präsidentschaft gestiegen – bei den Reichsten vielleicht stärker als in der Unterschicht, doch der Aufschwung erfasst nahezu alle Bevölkerungsschichten. Sogar auf dem Feld der Außenpolitik ist das prophezeite Desaster ausgeblieben. Im Gegenteil: im Konflikt mit dem Iran hat sich Trump bei der Krise an der Straße von Hormuz als besonnen erwiesen. Im Verhältnis zu Nordkorea hat man die Phase des Säbelrasselns verlassen und ist in die Phase der Verhandlungen eingetreten. Sogar im Handelsstreit mit China deutet sich eine Lösung an.
Warum dann der unbändige Hass der etablierten Eliten auf Donald Trump, der sich mittlerweile bis zur puren Entmenschlichung gesteigert hat? Nach Meinung des Autors speist sich dieser Hass aus der fundamentalen Angst des Establishments vor einem gänzlich anderen Politikmodell. Denn das Politikmodell, das Trump -und mit gewissen Einschränkungen auch Johnson oder Bolsonaro -verkörpern, ist genau das Gegenteil der Bilderberger-Anywhere-Demokratie der neoliberalen Eliten. Es ist das Modell einer populistischen Regierung, die sich vollkommen unbekümmert durch die heiligen Kühe des Mainstreams zuerst an den Bedürfnissen der eigenen Bevölkerung orientiert. Kein Zweifel, dass dieses Modell bei der Wählerschaft verfängt. Fast 15 Millionen Amerikaner hatten bis 2016 ihre Jobs durch chinesische Exporte und die Auslagerung von Produktionsstätten nach Mexiko und andere Billiglohnländer verloren. Dagegen nichts unternommen zu haben und die arbeitende amerikanische Bevölkerung mit diesen weltwirtschaftlichen Schleusenöffnungen allein gelassen zu haben, war die größte Hypothek der Obama-Clinton Regierung. Insofern traf Trumps Wahlkampfslogan „Make America great again“ genau den Nerv eines gesamtamerikanischen Bevölkerungskonglomerats, das sich dem sozialen Abstieg gegenübersah.
Allerdings soll auch nicht verschwiegen werden, dass Doug Wead in seiner Begeisterung für Donald Trump die eine oder andere kritische Betrachtung vermissen lässt. Über die enorme Ausweitung der Staatsverschuldung ist in dem vorliegenden Buch wenig zu lesen. Über den rüden Ton, mit dem Trump seine Gegner angeht, auch über sein mitunter befremdliches Auftreten, das gerade für Konservative schwer erträglich ist, wird der gnädige Schleier der Nichterwähnung gelegt. Für den Autor scheint dergleichen allerdings zweitrangig zu sein, denn – so der Tenor seiner Darstellung – bei einem Präsidenten kommt es nicht darauf an, ob dem Publikum sein Auftreten und sein Standing gefällt – in dieser Hinsicht wird Barack Obama immer unschlagbar bleiben – sondern darauf, welche Ergebnisse seine Politik für seine Wähler erbringt. Und in dieser Hinsicht braucht sich Donald Trump nicht hinter seinen Vorgängern zu verstecken. Für Doug Wead gehört die Trump-Ära sogar zu den bislang erfolgreichsten Präsidentschaften der neueren amerikanischen Geschichte.
Inwieweit sich der Leser diese Bewertungen und Lesarten zu Eigen macht, bleibt ihm selbst überlassen. Aber als ergänzende, korrigierende Informationsquelle gegenüber der Einseitigkeit des allgegenwärtigen Trump-Bashings ist das Buch sein Geld auf jeden Fall wert.