Zu den ganz großen Umwälzungen der menschlichen Sozialanthropologie gehört der Siegeszug der Frauenemanzipation in den westlichen Gesellschaften. Was immer man von ihren verschiedenen Erscheinungsformen auch halten mag – dass die Gleichberechtigung der Frau in allen Bereichen unserer Gesellschaft Lebensrhythmus, Sexualität, Scheidungsraten und Fertilität auf das Nachhaltigeste verändert hat, wird niemand ernsthaft bezweifeln können.
Umso interessanter ist es aus heutiger Sicht auf jene weiblichen Pioniere dieser Bewegung zurück zu schauen, die seit dem 19.Jhdt. die scheinbar auf ewig festgefügte Vorherrschaft des Mannes erschütterten. In die erste Reihe solcher Pioniere gehört die französische Schriftstellerin George Sand, eigentlich Aurora Dupin (1804-1876), die die Welt nicht nur durch ihren Männernamen sondern auch ihre Hosen, ihren öffentlichen Zigarettenkonsum und ihre zahlreichen Liebschaften verblüffte. In dem vorliegenden Buch von Andre Maurois wird diese Galionsfigur der modernen Frauenbewegung in einer üppigen Biographie vorgestellt. Hunderte von Originalzitaten aus Briefen, Romanen oder Tagebüchern, ein Text von etwa 500 Seiten mit einer kaum überschaubaren Galerie von erst-, zweit- und drittklassigen Figuren werden aufgeboten, um dem Leser haarklein zu erzählen, „wie es denn gewesen ist“.
Alles begann mit August dem Starken von Sachsen, dessen monumentalen Lenden der Bastard Moritz von Sachsen entsprang, der es im 18. Jhdt. immerhin zum Marschall von Frankreich brachte. Er zeugte gleichsam beiläufig mit seiner Mätresse Marie Rinteau die Tochter Maria Aurora, die Großmutter George Sands. Deren Sohn Maurice Dupin ließ sich mit der zigeunernden Tänzerin Marie Antoinette Delaborde ein, und beider Affäre erbrachte 1804 als Resultat Aurora Dupin, aus der später die berühmte George Sand werden sollte. Man sieht: schon die Vorgeschichte der Dame hat es in sich, auch wenn der Lebenslauf Auroras sich zunächst noch konventionell anzulassen schien. Schon mit 18 Jahren wurde sie mit dem wohlhabenden Casimir Dudevant verheiratet, der sie aber nach einer kurzen Epoche der schwärmerischen Bewunderung und der Geburt zweier Kinder immer mehr anödete. So weit, so normal – doch zur Überraschung ihrer Umwelt will die junge Aurora sich mit dem Schicksal eines langsamen Verödens in einer lebenslangen ehelichen Agonie nicht abfinden. Temperamentvoll nach außen, im Innern aber unbeteiligt entwickelt sich die junge Ehefrau zu einer Kokotte, die es schnell zur Meisterschaft darin brachte, „ein Begehren zu wecken, das zu erfüllen, nicht im Mindestens in ihrer Absicht lag.“(S.103) Immerhin gelingt es ihr auf diese Weise ihren Ehemann eifersüchtig und so gefügig zu machen, dass er in eine kuriose „Ehecharta“ einwilligt, derzufolge er den halbjährigen Aufenthalt seiner Ehefrau in Paris finanziert.
Ab 1831 lebt Aurora Dudevant auf diese Weise mit wechselnden Geliebten in Paris und beginnt, ihre seelischen Expressionen in Romanform zu veröffentlichen. Nachdem sie zusammen mit ihrem Geliebten Jules Sandeau „Die Nonne und die Schauspielerin“ unter dem gemeinsamen Pseudonym „J.Sand“ mit mäßigem Erfolg veröffentlicht hatte, schreibt sie den Roman „Indiana“ erstmals unter ihrem Künstlernamen George Sand. Dieser eigentliche Erstling hat sofort Erfolg, denn ihre romantische Apotheose der unbedingten Liebe, verbunden mit dem Anspruch der weiblichen Hautperson auf unbedingte Freiheit in der Liebe elektrisiert die Leserschaft. Es folgen in kurzer Zeit immer heftigere Liebschaften, die kaum verhüllt, ihn ihren Büchern abgespiegelt werden. „Ich träumte von den Umarmungen eines unbekannten Dämons, ich fühlte, wie sein heißer Atem feurig über meine Brust strich, und krallte meine Finger in die Schultern, in dem Glauben, dort den Biss seiner Zähne zu spüren. Ich schrie nach Lust, sollte sie mir auch ewige Verdammnis einbringen,“ schriebt sie in ihrem Roman „Lelia“. Ganz Paris nimmt aber nicht nur literarisch sondern auch faktisch an ihrem Liebesleben teil – alles munkelt darüber, dass sie am Bett ihres fieberkranken Geliebten Alfred de Musset mit einem jungen Arzt fremdging oder alles lachte über das Fiasko einer Liebesnacht mit Prosper de Merimee, in der der vermeintliche Don Juan vor der backfischhaften und verklemmten George Sand impotent das Weite suchte.
Solche Geschichten bietet das vorliegende Buch in überreicher, man könnte auch sagen: in ermüdender Anzahl, so dass man schließlich über die detailliert geschilderten Liasons immer flüchtiger hinwegliest. Pagello, Michel von Burgos, Mallefille – wer will sich all die Männernamen merken, wenn das Drehbuch der Affären doch immer das gleiche ist. George Sand, nach Saint Beuve schon in den Dreißigern „eine Frau mit Intelligenz aber einem dicken Hinterteil“ erwartete von ihren Geliebten geradezu göttliche Qualitäten – „wenn der Geliebte aber nicht der ersehnte Gott war, dann wurde er ein Götze, den es zu stürzen galt,“ (S. 161).
Wirklich gehaltvoll wird dieses hektische und unerfüllte Leben zwischen Klatsch und Tratsch und Sex erst, als George Sand nach ihrer Scheidung von Casimir Dedevant den sieben Jahre jüngeren Frederic Chopin trifft, einen genialen Musiker, der mit einer chronischen Schwindsucht stets am Rande des Todes komponierte und um dessen Gesundheit sich Georg Sand immerhin fast zehn Jahre lang (1838-1848) verdient machte. Nun wird die Liebesmegäre zur Glucke, die neben ihren beiden Kindern Maurice und Solange auch Chopin wie ein drittes Kind behandelt, so dass die schwache sexuelle Komponente dieser Beziehung schnell verkümmert. Die ausführliche Beschreibung dieser Affäre im 6. Kapitel bildet einen der Höhepunkte des Buches.
Nach Chopins Tod im Jahre 1849 wird es liebestechnisch ruhiger um George Sand. Nun lebt sie hochgeachtet im Zweiten Kaiserreich Napoleons III, verkehrt mit den großen Geistern ihrer Zeit, ehe sie, schon in der 3. Republik, im Jahre 1876 im Alter von 72 Jahren verstirbt. Flaubert und mit ihm ganz Frankreich weinen an ihrem Sarg, und auch für den Autor erscheinen bei der abschließenden Würdigung nur die allerhöchsten Adjektive angebracht.
Wer das Buch bis zum Ende aufmerksam gelesen hat, wird an der überragenden literarischen Bedeutung von George Sand allerdings seine Zweifel haben. Wirklich bedeutsam ist sie meiner Ansicht nach nur als Symptom, als erste machtvolle Verdichtung einer epochalen Zeittendenz, die heute unter den Überschriften Gleichberechtigung, Gender, Emanzipation zu festen Pflöcken des Zeitgeistes geworden sind. Als die große Kokotte, die sie war, wird man ihr immerhin zugute halten müssen, dass sie am Ideal der unbedingten Liebe bis zum Exzess festhielt – auch wenn diese unbedingte Liebe, wie sie einmal schrieb, manchmal nur fünf Jahre, fünf Monate oder auch nur fünf Minuten dauerte.