Das an ergreifenden und tragischen Geschehnissen so übervolle Buch der Weltgeschichte kennt nur wenige Dramen, die an Exemplarität, Individualität und Wechselhaftigkeit an den Untergang der Römischen Republik heranreichen. Große Männer, groß in ihrer Ambition, ihrer Begabung, aber auch in ihrer bedenkenlosen Grausamkeit, treten auf, aber auch Halunken, Schläger, Heuchler und Gelehrten spielen ihr Spiel inmitten der mörderischen Zentrifuge und die meisten gehen in ihr zugrunde. Die Zeit zwischen den Gracchen und Augustus tritt dem Leser unserer Tage wie ein Lehrstück über die conditione humaine entgegen. Suilla und Marius, Cäsar, Pompejis und Oktavian greifen nach den Sternen, während sich Straßenschläger wie Milo und Clodius, Haudraufs wie Mark Anton, Psychopathen wie Catilina oder Moralisten wie Cato, Brutus oder Labienus auf den unteren Etagen tummeln. Inmitten dieser erstaunlichen Komparserie nimmt Macus Tullius Cicero eine Sonderstellung ein, nicht nur, weil wir über ihn und seine Schriften in erster Linie über die Abläufe unterrichtet sind, nicht nur, weil er selbst ein Gelehrter von epochalen Graden war, sondern auch, weil er sich in der Politik versuchte, die ihn emportrug und zerschmetterte.
Das vorliegende Buch von Wolfgang Schuller beschriebt den Lebensweg Ciceros von seiner Geburt im Jahre 106 vdZ bis 43 vdZ in einer packenden, gut lesbaren Darstellung, ohne irgendwo seicht zu werden. Es ist die Geschichte eines herausragenden Rhetors, Schriftstellers und Philosophen, der weltgeschichtlich wirksam wurde, indem er die griechische Philosophie dem römischen Denken erschloss und damit bis auf unsere Tage weiterwirkt. Er kam als „homo novus“ aus keiner großen Familie, stieg innerhalb der römischen Staatsverwaltung aber schnell auf bis zum Konsulat und bemühte sich trotz aller Versuchungen um ein ehrenwertes Leben. Als Anwalt verlor er die Gerechtigkeit nicht aus den Augen, als Statthalter verzichtete er auf die üblichen Ausplünderungen der Provinzen, als Konsul rettete er das Gemeinwesen vor der Verschwörung des Catilina.
Gab es denn gar keine Schwächen, mag der Leser fragen? Doch, eine gewisse Eitelkeit quälte den großen Mann, so dass noch Seneca ein Jahrhundert später anmerkte: „Er berichtete von seinen Großtaten nicht ohne Grund, aber leider ohne Ende“. Seinen Zeitgenossen Crassus, Pompejis und vor allen Dingen Cäsar war er an politischer Intelligenz jedoch nicht gewachsen, wozu allerdings auch seine moralischen Skrupel das ihre beitrugen. Vor allem an Cäsar, dem Mann der Epoche, der ihn so turmhoch überragte, hat er sich zeitlebens abgearbeitet. Cicero rühmte Cäsars Bildung, seine Bücher, seine Redekunst, erhob aber immer entschiedener die Stimme gegen ihn, als Cäsar sich nach seinem Sieg im Bürgerkrieg daranmachte, die Republik zu zertrümmern. Eine interessante Frage ist, ob er das auch gemacht hätte, hätte er sich nicht auf Cäsars Langmut und „clementia“ verlassen können. Als letzte republikanische Autorität war er einer der Stichwortgeber der Cäsarmörder, ohne direkt zu ihnen zu gehören. Sein ungeschicktes Taktieren zwischen Oktavian, dem Senat und Mark Anton reißt ihn dann nach Cäsars Tod innerhalb kürzester Zeit in den Abgrund. Sein Leichnam wird durch die Straßen geschleift, noch nachträglich werden dem Toten die Hände abgehackt, mit denen er so viel Lesenswertes geschrieben hatte. Gerade dieser Tod erscheint dem Autor, der mit seiner Sympathie nicht hinter dem Berg hält wie das Siegel eines ehrenwerten Lebens. „Es war ein gutes Leben,“ schreibt Schuller im letzten Satz des vorliegenden Buches , „es war ein Tod, der ihn und sein Wirken ehrte.“