Wagner: Habseligkeiten

Das vorliegende Buch des deutsch-rumänischen Schriftstellers Richard Wagner beschäftigt sich mit einem der heute fast völlig verdrängten Kapitel der deutschen Geschichte: der Auswanderung und der Rückkehr volksdeutscher Siedler nach und aus Osteuropa. Zwischen dem 17. und 19. Jhdt waren  Hunderttausende, in ihrer Gesamtheit vielleicht Millionen Deutsche auf Einladung fremder Regierungen an die Wolga, an Schwarze Meer, in die Dobrudscha,  in die Bukowina, an die Donau und nach Siebenbürgen ausgewandert, um in der Fremde eine neue Heimat zu finden.  Richard Wagners Vorfahren waren von Ulm aus mit dem Schiff ins Banat gereist, wo sie auf der Grundlage typisch deutscher Einsatzfreude und Verbissenheit   diese Region in eine der „Kornkammern des Balkans“ verwandelten. Da hört sich wie eine Erfolgsgeschichte an, war aber im Detail geprägt von Habgier, Neid und Missgunst, der  Mitgift alles Menschlichen und im Großen von den Unwägbarkeiten der Geschichte, zwischen denen die volksdeutschen Siedler im 20. Jhdt fast zerrieben wurden.  Diese Abläufe in literarisch glaubhafter Weise auf die Ebene nachvollziehbarer Handlungen und überzeugender Charaktere herabzubrechen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die das vorliegende Buch in eigenwilliger Weise angeht.

Erzählt wird der Roman aus der Perspektive eines Ich-Erzählers, der sich anlässlich einer Reise in den rumänischen Banat an die Geschichte seiner Familienangehörigen und an seine Jugend erinnert. In einem immer gleichbleibenden kauzigen Stil springt der Erzähler zwischen  den Zeiten hin und her, von den Urgroßeltern, die nach Amerika auswanderten und in den Banat zurückkehrten, zu seinen Erlebnissen in der Budapester Halbwelt, vom Schweineschlachten und Besaufen, vom Handwerkervater, von Nationalsozialisten und Kommunisten bis zur Gegenwart des Auswanderers als Bauleiter in Deutschland. Das einfache dörfliche Leben  kommt ebenso zu seinem Recht, wie die Mauscheleien zwischen Zigeunern, verfeindeten Familien und korrupten Beamten. Ihre Kollaboration mit dem Nationalsozialismus  müssen die Banater Schwaben nach dem Zweiten Weltkrieg bitter büßen. Der Vater des Erzählers  wird wie Tausende andere nach Russland  verschleppt und kehrt als ein anderer zurück. Weil unter Ceausescu, dem „Analphabeten“ die Lebensumstände immer unerträglicher werden, versuchen immer mehr Volksdeutsche das Land zu verlassen, wobei sie hinnehmen müssen, dass sie nach einem Ausreiseantrag stigmatisiert werden. Am Ende gelingt dem Ich-Erzähler die Ausreise, seine Eltern aber bleiben zurück, weil sie sich von „ihrem“ Banat nicht trennen können. Einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen die Szenen, in denen der Autor beschreibt, wie erfolgreich sich kommunistische Spitzel und Mörder in die neue Zeit retten konnten.

Zwei Vorzüge des vorliegenden Buches sind besonders herauszustellen: die Darstellung von Komik und Lokalkolorit des dörflichen Lebens einerseits und der Einbezug der großen Geschichte als unaufdringlich mitentfaltetes Bühnenbild der Familiengeschichte. Der Duktus ist zugleich humorvoll und melancholisch. Wagners  stakkatoartige Erzählweise mit ihren kurzen, aneinandergereihten  Sätzen besitzt etwas Bäuerliches, sie ist kurz und lakonisch (mitunter aber extrem prägnant), was dem Erzählten (fast) immer angemessen ist und der Fantasie des Lesers hinreichenden Raum lässt.

 

 

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